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Berlin: Perfektion in Blüte

Barocke Baumpracht sieht so aus: identischer Wuchs, maximale Symmetrie. Darüber wacht im Schlosspark der Orangeur – Oliver Philipps Traumjob

Von Susanne Leimstoll

Am Morgen nach einer Diskonacht ging er mit seinem Kumpel zum Ausnüchtern in den Schlosspark Charlottenburg. Sie lagen auf der Wiese, guckten in die Bäume. Da, erzählt Oliver Philipp, habe er gesagt: „Später mal will ich mich um die Palmen kümmern dürfen, die im Schinkelpavillon stehen.“ Als er sich im Jahr 2000 weg vom unkreativen Job des Steine schleppenden Landschaftsgärtners auf die Stelle bei der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten bewarb, sie tatsächlich bekam und es hieß, sein Einsatzort sei Schloss Charlottenburg, dachte er: „Ach, was für’n Zufall.“ Aber die Zufälle hörten nicht auf, und anderthalb Jahre später war er, wo er als Gärtnermeister hin wollte, auf dem Posten des Orangeurs, zuständig für Barockpracht in Kübeln. Sein Wunsch aus einer Partynacht vor 26 Jahren: erfüllt.

Ende April: Im großen Palmenhaus der Schlossgärtnerei, die abseits vom Park unter einer Autobahnbrücke liegt, werden Lorbeer und Oliven, Zitrus, Oleander und Kirschmyrthe mit Klassik berieselt. Zuhause hört Oliver Philipp gern Hardrock, volle Dröhnung; seinen Bäumen tut er das nicht an. Der Mann, einszweiundneunzig, hundertfünfzehn Kilo, schiebt sich durchs Dickicht der Baumriesen, manche 4,20 Meter hoch in Eichenkübeln mit 1,40 Metern Durchmesser, prüft im Vorbeigehen, wie feucht die Erde ist, knipst mit Daumen und Zeigefinger einen schiefen Trieb ab. Ein Barockgarten verlangt höchste Perfektion: 50 Lorbeerbäume, alle gleich hoch, alle die gleiche Kugelkrone. 56 Oleander, alle in Kelchform. 24 Kirschmyrthen, nicht mehr höher als vier Meter, seit beim letzten Transport Baustellenrohre die Spitzen geköpft haben.

Mitte Mai: Das große Palmenhaus ist leer, die Baumriesen stehen davor aufgereiht. Da kriegen sie Licht von allen Seiten und gewöhnen sich an die noch frischen Temperaturen. Die Kirschmyrthen mickern noch ein bisschen, schieben rotes Laub, der Kälte wegen. In ein paar Wochen wird es grün sein. „Die Bäume werden alle mit der Rosenschere geschnitten, schräg in den Trieb rein“, sagt Oliver Philipp. „Die Heckenschere macht die Blattränder braun. So wollen wir die im Garten nicht präsentieren.“ Was nicht perfekt wächst, darf nicht raus, wird in der Gärtnerei noch gepäppelt. Es ist alles spät dran dieses Jahr, die ersten drei Monate waren lichtarm. „Da denkste, jetzt hastet druff, und denn bremst eenen die Natur“, sagt Oliver Philipp, geboren in Tempelhof. Aber er lächelt milde zu seinen Bäumen hinüber. „Ist eben ein Spiel mit Leben, was wir hier betreiben.“

Seit Ende Mai stehen die 670 Bäume im Barockgarten, etwa 300 davon im Parterre, mit dem Tieflader hingeschafft, jeder an seinen Platz gewuchtet. Wie Soldaten in einer Reihe, eine Schlossgesellschaft in Gruppe, identisch im Wuchs. „Für meinen Anspruch ist das wichtig“, sagt Perfektionist Philipp. „Wir wollen nicht die besten sein, aber so gut wie möglich.“ Im Sommer teilt sich die Belegschaft das Bewässern: jeder Kübel bekommt alle zwei Tage sein Nass. Bei jedem kontrolliert der Orangeur Wuchs und Wurzelballen, kennt jeden, spielt den Doktor, sieht, ob die Schädlinge in Schach gehalten sind. Weiß, welcher Oleander an welchem Ort eher die rote Spinne bekommt. Wässern, düngen, schneiden. Dem Altbestand darf nichts passieren.

Am meisten liebt er den Spätsommer. Wenn die Granatäpfel Früchte tragen und der Korallenstrauch ihn mit einer zweiten Blüte beglückt, geht Oliver Philipp das Herz auf. „Im letzten Frühjahr“, sagt er, „haben wir die Pflanzen schon blühend rausgebracht. Das war relativ perfekt.“

Im Winter ist mehr zu tun, umkübeln und vor allem: die Nachzucht. Als der Schlossgarten 2000 vom Land an die Stiftung gegeben wurde, erbte sie den Orangeriebestand. Manches ist aussortiert, von 900 Pflanzen stehen noch 660 im Garten. Die Verpflichtung heißt: nichts nachkaufen müssen, alles selbst ziehen.

Haus vier ist die Babystation der Gärtnerei. Dort kuscheln 50 selbst kultivierte Oleander-Hochstämme, 100 Zitrusbäumchen, an denen schon Austriebe von Veredelungen sprießen. Eine Anlage fährt quietschend alle paar Minuten Luken auf und zu, Sonnensegel vor und zurück, sichert 25 Grad. Einmal pro Tag werden Boden und beheizte Tröge nass gemacht. Die Tontöpfe stehen auf feuchten Matten. Zehn bis 15 Jahre dauert es, bis aus dem Samenkorn ein blühender Baum wird. „Theoretisch ziehe ich hier schon die Pflanzen für meinen Nachfolger“, sagt Philipp. Die Silhouette legt er früh fest, kämpft beim Zitrus um jeden Kronast. Austriebe an den Oleandern werden nach der Blüte zurückgeschnitten. Er baut die Krone auf, luftig, nicht so dicht wie bei dem Zeugs aus Baumärkten. „Als Grundgerüst reichen drei Triebe, sechs oder acht Hauptäste.“ Das Wurzelwachstum muss stimmen, das Substrat zum Standort passen. Das Wetter muss er abschätzen, Licht und Schatten berücksichtigen. Zitrusbäume sind ein sensibles Volk, zug- und wasserempfindlich. Man pflegt die alten barocken Bitterorangesorten. Sie variieren in Blattform und Frucht: die Schale glatt, gestreift oder pickelig. Die Bäumchen präsentiert Oliver Philipp als Schmankerl im Park. Besucher reißen manchmal Früchte samt Kronast ab. Das tut ihm weh. Er erntet sie vorsichtig. „Daraus haben wir Bittermarmelade gemacht“, sagt er. „Die auf Brötchen mit doppelt geschlagener Sahne: mmmhh!“

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