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Jugendrichterin Kirsten Heisig: "Deutsche werden dafür härter bestraft"

Der Ton zwischen Migranten und Einheimischen wird rauer – selbst im Gerichtssaal fehlt es bei Angeklagten an Respekt. Jugendrichterin Kirsten Heisig über Pöbeleien im Gerichtssaal und das Fehlen von Schuldgefühlen.

Jugendliche Straftäter sollen schneller vor Gericht. Bislang gab es dazu nur im Rollbergviertel ein Modellprojekt, das die Jugendrichterin Kirsten Heisig mitentwickelt hat. Nun wollen Staatsanwaltschaft und Polizei, wie berichtet, wegen der positiven Erfahrungen beschleunigte Verfahren in ganz Neukölln und auch in Friedrichshain-Kreuzberg möglich machen. Derzeit sind manche jugendliche Straftäter von der Justiz nur schwer zu beeindrucken – wie auch ein vor kurzem von Richterin Heisig verhandelter Fall zeigt.

Wie weit sind Sie mit der Verfahrensbeschleunigung in Neukölln?

Ich habe erfreut zur Kenntnis genommen, dass die Staatsanwaltschaft und die Polizei das Vorhaben ausweiten wollen. Das geht allerdings nur unter Beteiligung der zuständigen Richter. Dazu soll es in der kommenden Wochen einen runden Tisch geben, damit wir mehr Fälle beschleunigt verhandeln können.

Wie nötig es ist, schnell zu urteilen, damit noch ein Schuldgefühl vorhanden ist, haben Sie erst kürzlich wieder erfahren.

Dabei ging um einen Vorfall aus dem September 2007, dessen Bearbeitung bis zur Hauptverhandlung leider etwas längere Zeit in Anspruch genommen hat. Im Oberdeck eines Busses, der durch Kreuzberg fuhr, wurden einige deutschstämmige Frauen von drei türkisch-stämmigen Jugendlichen beleidigt – und zwar unmotiviert. Die jungen Männer schrieen, man müsse die Deutschen vergasen und deutsche Frauen „ficken“. Einer war kurze Zeit darauf auf eine junge Frau losgegangen und hatte sie verletzt. In der Hauptverhandlung zeigte sich, dass dies die geschädigten Frauen erheblich in Mitleidenschaft gezogen hat. Dafür bekam der Haupttäter vier Wochen Dauerarrest. Ein Mittäter muss für zwei Wochen in Arrest, ein Dritter muss einen Arbeitseinsatz verrichten.

Die drei Angeklagten pöbelten während des Verfahrens weiter.

Einer der Angeklagten, ein türkischstämmiger junger Mann, versuchte in der Verhandlung, die geschädigte Zeugin anzugreifen. Er schrie sie an: „Dreckskind, ich ficke Deine Mutter, ich mach’ Dich fertig!“ Das ist dann doch ein ungewöhnlicher Vorgang in einem Gerichtssaal. Er war nur deshalb von einer Verletzung der Frau abzuhalten, weil zwei Wachtmeister hinter ihm saßen, die ihn erst einmal gebändigt haben. Die Wachtmeister waren im Raum, weil dem jungen Mann anschließend ein Haftbefehl eröffnet werden sollte, wegen versuchten Totschlags – auch da war eine junge Frau das Opfer.

Hoffen Sie, dass das nächste Verfahren im erwähnten Fall schneller erfolgt?

Eher nicht. Der Hauptangeklagte sitzt erst einmal in Untersuchungshaft, wegen versuchten Totschlags. Alle müssen vernommen werden. Der Staatsanwalt wird erst einmal Ermittlungen aufnehmen.

Was treibt so einen jungen Mann zu derartigen Äußerungen?

In dem speziellen Fall vermute ich, dass er ein Problem mit Frauen hat. Er wird wohl in dem Totschlagsverfahren psychiatrisch begutachtet werden. Ansonsten ist man als türkischer oder arabischer Heranwachsender im Kiez in der Mehrheit. Da erlaubt man sich gegenüber der Minderheit eher mal so einen Spruch als in Steglitz-Zehlendorf.

War diese Wut-Explosion des Angeklagten die einzige Besonderheit?

Nein, der Sachverhalt, um den es ging, hat nach meiner Auffassung eine Besonderheit: Wenn ein türkischer Staatsangehöriger sagt, man müsse die Deutschen vergasen, ist das eine Beleidigung. Wenn ein Deutscher so über Türken redet, ist das eine Volksverhetzung. Die wird härter bestraft und macht sich schlechter im Strafregister.

Sind die Begriffe, die Sie zitiert haben, in bestimmten Milieus typisch für den Umgangston zwischen Migranten und Deutschstämmigen?

Ich beobachte das zunehmend, dass man sich je nach Herkunft gegenseitig die Ehre streitig macht. In Lichtenberg trifft es den Türken. In Neukölln und anderen Bezirken, wo die Migranten in der Mehrheit sind, trifft es die Deutschstämmigen. Das ist eine unerfreuliche Auseinanderentwicklung.

Die Fragen stellte Werner van Bebber

Kirsten Heisig ist Jugendrichterin in Neukölln. Sie sorgt sich um die Möglichkeiten der Justiz, kriminelle Jugendliche zu beeinflussen. Raschere Verfahren, meint sie, zeigen mehr Wirkung.

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