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Unterm Berliner Himmel. Viele Fahrgäste am Hauptbahnhof haben kein Dach über dem Kopf, obwohl die ursprüngliche Planung für alle eines vorsah.

© Thilo Rückeis

Pro und Contra: Soll das Dach am Hauptbahnhof verlängert werden?

Konzernchef Grube ist dagegen, das Dach wie ursprünglich vorgesehen zu verlängern - obwohl wegen Schäden jetzt ohnehin Hand angelegt werden muss am Berliner Hauptbahnhof. Was meinen Sie? Diskutieren Sie mit!

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Es war eine schöne Idee: Fahrgäste aus der 1. Klasse bei Regen oder Schnee von einem Schirmserviceteam abholen oder zum Zug bringen zu lassen. Verwirklicht hat die Bahn den Vorstoß der damaligen Bahnhofsmanagerin aber nie. Und so werden die Kunden mit den teuersten Fahrkarten am Hauptbahnhof auch heute noch nass, wenn es schüttet. Denn ausgerechnet die Wagen der 1. Klasse halten beim langen ICE außerhalb des verkürzten Daches. Dabei soll es auch bleiben; eine in den kommenden Jahren erforderliche Sperrung der Gleise will die Bahn nicht nutzen, um das Dach doch noch zu verlängern.

Zwischen 54 Millionen Euro und 58 Millionen Euro würde es kosten, das Dach auf die einst vorgesehene Länge von 430 Metern zu bringen, sagte Bahn-Chef Rüdiger Grube dem Tagesspiegel. Jetzt misst es lediglich 321 Meter. Das Geld müsste aus dem Topf genommen werden, den der Bund für Investitionen bei der Bahn füllt.

2007/2008 hatte sich auch der Bundestag mit dem Dach des Hauptbahnhofs beschäftigt, dessen Kürzung während des Baus vom damaligen Bahn-Chef Hartmut Mehdorn angeordnet worden war. Er wollte Geld und Zeit sparen, denn der Bahnhof sollte zur Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland fertig sein. Den Terminplan hat man dann auch geschafft; gespart hat man aber nicht viel, denn auch das Ändern der Baupläne verschlang eine Menge Geld. Und die Teile fürs komplette Dach waren bereits produziert und mussten auch bezahlt werden. Heute lagern sie unter den Viadukten am Ostbahnhof.

Das Verlängern des Daches ist aber nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein logistisches Problem. Um bauen zu können, müsste ein aufwändiges Gerüst errichtet werden, weshalb die Gleise zumindest vorübergehend gesperrt werden müssten. Auch dagegen hat sich die Bahn bisher gewehrt. Doch nun sind Sperrungen unumgänglich.

Am Hauptbahnhof müssen, wie berichtet, Verbindungsteile der sogenannten festen Fahrbahn aus Beton komplett erneuert werden, weil sich Schrauben gelockert haben. Jetzt wurde zunächst repariert und das Tempo auf den Fern- und Regionalgleisen auf 40 km/h gedrosselt, doch 2015 sollen neue Teile eingebaut werden, was nur in Sperrpausen möglich ist. Ob es dann auch möglich wäre, in dieser Zeit das Gerüst für eine Dachverlängerung aufzustellen, ist – noch – nicht geprüft worden. Noch steht auch nicht fest, wie lange der Verkehr beim Aus- und Einbau der Verbindungsteile, die das Gewicht der Züge aufnehmen und so die Schienen an den Brückenübergängen entlasten, unterbrochen werden muss.

Zumindest von außen fällt das verkürzte Dach, an dem sich auch Thomas de Maizière gestört hatte, als er noch als Chef des Bundeskanzleramts in einem Büro mit Blick auf den Hauptbahnhof saß, eines Tages kaum noch auf, wenn es von mehr oder weniger schönen Gebäuden verdeckt wird, Das Bundesbauministerium hatte sich 2008 für die Verlängerung eingesetzt, den Abgeordneten des Bundestages waren die Kosten dann aber doch zu hoch. Klaus Kurpjuweit

PRO Dachverlängerung

Nicht jeder Fehler lässt sich im Nachhinein beheben. Insofern ist die aktuelle Diagnose ein Wink des Schicksals: Wenn die Gleisanlagen am Hauptbahnhof nach nur sechs Jahren saniert werden müssen, ist das die Gelegenheit, die schon seit 2006 fertigen Scheiben aus dem Depot zu holen und das Dach zu vollenden. Das bisherige Hauptargument dagegen, nämlich die Sperrung der Strecke, hat sich angesichts der nun ohnehin fälligen Arbeiten erledigt. Die Kosten sind harmlos im Vergleich zu der Milliarde, die das Bauwerk gekostet hat. Wie gut jenes Geld angelegt war, zeigt der stete Strom begeisterter Besucher: Der Hauptbahnhof zählt zu Recht zu Berlins bedeutendsten Sehenswürdigkeiten.

Wenn die Bahn das Geld fürs Dach in die Hand nähme, könnte sie ihr Image nicht nur bei den Touristen pflegen, sondern auch bei den Berlinern, die sie seit Jahren mit dem Chaos bei der S-Bahn drangsaliert. Natürlich wäre das Geld auch in all den Stationen quer durch die Stadt gut angelegt, die die Bahn verkommen und versiffen lässt. Aber man wird ja bescheiden – und wäre deshalb froh, wenn wenigstens der Hauptbahnhof nicht mehr den Eindruck vermittelt, dass die Bahn wirklich an allem spart. Dass der Bahnhof allmählich zwischen Betonkisten im Kreissparkassenstil verschwindet, ist zwar schade. Aber wer auf sein eigenes Äußeres nicht mehr achtet, weil die Nachbarn ebenfalls verlottern, gibt sich auf. Stefan Jacobs

CONTRA Dachverlängerung

Es hat was Berlinisches, zu unserer geerdeten Hauptstadt passendes, dass es hier die Reisenden der 1. Klasse trifft. Denn sie sind es meistenteils, die wegen des verkürzten Dachs am Hauptbahnhof im Regen stehen. Noch einmal bis zu 58 Millionen Euro Steuergeld in die Hand nehmen, um auch diesen Herrschaften einen trockenen Abgang zu sichern? Nüschte!

Bei Bedarf einen Regenservice anzubieten, das entspräche korrekter Berlindialektik. Reisenden gegebenenfalls einen Schirm in die Hand zu drücken oder sie kurz und unkompliziert mit aufgespanntem Schirm zu begleiten – das hätte etwas jovial Zupackendes, unservil Serviceorientiertes, alltäglich Zuvorkommendes, das besser zu unserer Bahn und zu unserer Stadt passt als alle bemühten Freundlichkeitsoffensiven.

Wenn die Bahn irgendwann doch noch ein bisschen Geld ausgeben will, dann sollte sie sich eines anderen Hauptbahnhofsproblems annehmen. Vor allem im Untergeschoss ist es saukalt, und es zieht. Zugluft in geschlossenen Räumen ist viel tückischer, als sich kernig unter freiem Himmel zu bewegen. Dass auf den unteren Bahnsteigen eine gewölbeartig einzuziehende Decke helfen könnte, wie in der ursprünglichen Gerkan’schen Planung vorgesehen, daran zweifeln Experten. Aber es wäre gut, noch ein paar beheizte Aufenthaltsräume zu schaffen oder zumindest hier und da noch einen windgeschützten Bereich. Utopisch teuer wäre das nicht. Markus Hesselmann

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