zum Hauptinhalt
Viele Eltern wollen nicht, dass ein homosexueller Mensch mit ihren Kindern in Kontakt ist. (Symbolbild)

© Foto Lino Mirgeler/dpa

Kampf um Toleranz in Berliner Kita: Eltern protestieren gegen schwulen Erzieher

Ein Homosexueller wird in Berlin-Reinickendorf Erzieher in einer Kita mit muslimischen Eltern. Das löst wütende Proteste aus. Was passiert, wenn zwei Welten aufeinander treffen.

Die Geschichte mit dem Wurm war natürlich spannend. Der Wurm lag auf der Rutsche des Kita-Spielplatzes, Christian Berger* nahm ihn vorsichtig weg, und die Kinder beobachteten jede Bewegung. So richtig einordnen konnten sie dieses Tier ja nicht. „Ist das eine Raupe?“, fragte ein Vierjähriger. „Nein“, antwortete Berger, der Erzieher, „das ist ein Regenwurm.“ Dann legte er ihn in die Wiese.

Der 36-Jährige* hatte an diesem Tag den Morgenkreis geleitet, er stand mit den Kindern an Rutsche und Sandkasten, er machte seinen Job, mehr nicht. Und er machte ihn offenbar gut. „Die Kinder streiten sich, wer mit mir an der Hand gehen darf.“

Körperkontakt wird als Problem gesehen

An der Hand gehen? Körperkontakt? Heikles Thema. Die Kinder wissen ja nicht, dass Eltern wegen Christian Berger massiv protestierten. „Sie gingen auf die Barrikaden“, sagt die Geschäftsführerin der Kita in Reinickendorf. Sie protestierten gegen Bergers Anstellung, sie drohten mit einer Unterschriftenaktion, sie fürchteten um ihre Kinder. Es waren muslimische Eltern. „Die kommen aus einer anderen Welt“, sagt die Geschäftsführerin. In dieser Gedankenwelt ist jemand wie Christian Berger eine latente Gefahr.

Denn Christian Berger ist homosexuell.

Die Eltern sind Muslime

Die Geschichte des Erziehers Berger ist die Geschichte über das Aufeinanderprallen von zwei Welten. Sie steht immer noch für alltägliche Erfahrungen, sie steht für viele Geschichten, die ähnlich ablaufen. „Wir sind doch in Berlin, wir sind doch im 21. Jahrhundert, da geht doch so etwas nicht“, sagt die Geschäftsführerin, die nicht genannt werden möchte, und die vier Kitas leitet. Die Kita, in der Berger nun arbeitet, hat mit einer Ausnahme nur Kinder von muslimischen Eltern. Die Eltern kommen aus dem arabischen Bereich, aus Russland, der Türkei, aus Rumänien. „Für einige von ihnen ist ein Homosexueller automatisch ein Kinderschänder“, sagt Berger.

Warum sollte die Frage, wen jemand liebt, eine Auswirkung auf dessen Berufstätigkeit haben? Vielmehr sollte man nachfragen, wen ein Bewerber hasst. Das wäre wesentlich relevanter.

schreibt NutzerIn oyama

Die Eltern, die ihn massiv ablehnten, haben die Kita inzwischen verlassen. Sie gingen auch auf Druck der Geschäftsführerin. Die hatte Berger angestellt, weil das Erzieherteam ihn wollte, weil er bei seiner Hospitanz einen guten Eindruck machte, weil die Geschäftsführerin sagt: „Die sexuelle Orientierung eines Menschen hat niemanden zu interessieren. Für mich zählt seine Arbeit.“ Abgesehen davon verstieße eine Ablehnung aus solchen Gründen gegen das Gesetz.

"Schmaler Grat für Homosexuelle"

Aber hier geht es nicht erster Linie um Paragrafen, hier geht es um Emotionen. „Als Homosexueller bewegt man sich auf einem schmalen Grat“, sagt Berger. Er hatte es in seiner früheren Kita erlebt. Da sagte ihm eine Mutter: „Sexualität ist natürlich ein Thema bei Eltern. Die haben Angst.“ Eine Mutter beobachtete ihn damals sehr genau. Berger versteht das sogar. „Sie wurde vergewaltigt, sie hatte Angst, dass ihrem Kind so etwas auch passiert. Die ist traumatisiert.“ Es sind ja auch sensible Punkte, zweifellos. „Du fasst die Kinder an, du wickelst sie, du siehst sie nackt“, sagt Berger. Andererseits ist das der normale Job eines Erziehers.

In der Reinickendorfer Kita von Berger schaukelte sich das Problem hoch. Dass er homosexuell ist, sagte er eher beiläufig in einem lockeren Gespräch mit der Leiterin der Kita, bei der er sich beworben hatte. Im Einstellungsgespräch spielte dieser Punkt natürlich keine Rolle. Bei diesem offiziellen Gespräch war nicht bloß die Kita-Leiterin, sondern auch die Geschäftsführerin. Berger hatte schon eine Hospitanz hinter sich, er machte auf die Leiterin einen guten Eindruck. Und sie gab Berger dann telefonisch eine Zusage. „Das war falsch“, sagt die Geschäftsführerin, „sie sollte lediglich nach seinen Gehaltsvorstellungen fragen.“

Eltern wollen Unterschriften sammeln

Die Eltern kannten Berger bis dahin nicht. Bei einem Elternabend verkündete die Kita-Leiterin, dass ein Mann neu als Erzieher komme. Damit schon begannen die Probleme. „Ein paar Eltern fühlten sich überrumpelt“, sagt die Geschäftsführerin. Widerstand formierte sich. „Wir wollen nicht, dass ein Mann unsere Kinder wickelt oder zur Toilette begleitet“, sagten einige empört. Zudem erfuhren die Eltern – nach Aussage der Geschäftsführerin von der Kita-Leiterin –, dass Berger schwul ist. Die Kita-Leiterin lehnte ein Gespräch mit dem Tagesspiegel ab.

Rund ein Dutzend Mütter und Väter saßen bei dieser Versammlung, ein Teil von ihnen schwieg, ein anderer empörte sich. „Sie sagten, sie würden nicht mehr kommen, wenn man einen Homosexuellen einstelle“, sagt die Geschäftsführerin, die verspätet zu dem Elternabend kam. „Sie würden Unterschriften gegen seine Einstellung sammeln.“ Die anwesenden Erzieher waren ihrerseits empört, Berger allerdings fehlte. Er war nicht eingeladen.

Auch der Erzieher benötigt einen Schutzraum

Kurz darauf trennte sich die Geschäftsführerin von den aufgebrachten Eltern. Deren Kinder besuchen nun eine andere Kita. Und sie sagte Berger, er habe den Job. Doch der lehnte erst mal ab, empört wegen der Proteste. Seit Kurzem arbeitet er doch in der Kita. „Ich bin nicht nachtragend. Und man hatte mir gesagt, dass alles geklärt ist. Viele Eltern waren schockiert, als sie von den Protesten gehört hatten. Sie stehen zu mir, die Erzieher auch.“ Druck und Misstrauen spürt er trotzdem, jetzt erst mal als Mann. „Eltern schauen ständig: Fasst der mein Kind richtig an? Tut er ihm auch nichts.“ Berger ist fast schon genervt. „Wir werden ständig überwacht. Wir können uns ja schon gar nicht mehr normal um die Kinder kümmern. Wir nehmen denen die Chance, sich normal zu entwickeln.“ Aber dann stellt er sich auch die Frage, wer da eigentlich hilfsbedürftig ist. „Ich brauche ja auch einen Schutzraum.“

Übertrieben? Gerade hat Berger in der U-Bahn zufällig den Dialog zwischen zwei Männern verfolgt. Einer sagte: „Wenn mein Kind einen schwulen Erzieher hätte, fände ich das widerlich.“

* Name und Alter geändert

Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie dem Queerspiegel in den sozialen Netzwerken:

Zur Startseite