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Konflikt ums Tacheles: Räumung von oben herab

Der fünfte Stock des Tacheles wurde geräumt – samt Bildern eines Künstlers. Die Besetzer fürchten weitere Aktionen und beklagen Willkür des Eigentümers.

Die etwa 30 schwarz gekleideten Männer vom Sicherheitsdienst kamen unangemeldet. Sie räumten das fünfte Obergeschoss im Tacheles – und zwar einschließlich der Bilder der Ausstellung des weißrussischen Künstlers Alexander Rodin. Rodins Oberlippe zittert, als er die Szenen vom Mittwochmorgen schildert. „Sie haben die Tür aufgebrochen, mich lautstark umringt und aus dem Raum geschubst“, sagt der 64-Jährige. Seine Werke habe er nicht mitnehmen dürfen. Er und die verbliebenen Besetzer werfen den Besitzern, der HSH Nordbank und Zwangsvollstrecker Holger Schwemer, Willkür vor. „Hier findet eine kalte Räumung statt, bei der das Tacheles scheibchenweise klein gemacht werden soll“, sagt Martin Reiter, der für die Künstler spricht.

Die Nordbank weist die Vorwürfe zurück. Sie ist Gläubiger einer Tochterfirma der Fundus-Gruppe, der das Gebäude seit 1998 gehörte. Es handele sich um eine zivilrechtliche Maßnahme des Zwangsverwalters, der vom Gericht eingesetzt wurde und nicht im Namen der Bank tätig geworden sei. Der Zwangsverwalter und seine Anwaltskanzlei wollten sich dazu nicht äußern. Amtsgerichtssprecher Ulrich Wimmer erklärte, dass das Amtsgericht aktuell keine Maßnahmen des Vollziehers veranlasst habe und auch nichts anstehe.

Bis 2008 verfügten die rund 50 Künstler in den noch immer bestehenden Ateliers über einen symbolischen Mietvertrag von 50 Cent pro Monat. Als 2009 die HSH Nordbank die marktübliche Miete verlangte, meldete der Künstlerverein Tacheles e.V. Insolvenz an. So wurden Mieter zu Hausbesetzern – und wo vorher das Mietrecht galt, blieb nun nur noch ein Gewohnheitsrecht der langjährigen Nutzer. Wenn Hausbesitzer solche Besetzer loswerden wollen, müssen sie vor Gericht eine Räumungsklage gegen sie durchsetzen. Solche Klagen sind im Fall des Tacheles – auch gegen Rodin – eingereicht, aber noch nicht entschieden.

Laut Rechtsanwalt Michael Schultz, der die Räumung des Tacheles im Auftrag eines unbekannten Investors vertritt, ist die Räumung trotz des laufenden Prozesses rechtmäßig, sofern kein Besitzer festgestellt werden könne. Bisher seien jedoch ständig neue Künstler aufgetreten, die Ansprüche auf Teile des Areals erhoben hätten. Auch gegen den Künstler Rodin gebe es eine Räumungsklage. Im Laufe des Verfahrens habe dieser erklärt, nicht Besitzer der Flächen zu sein. Dies bestätigt auch Tacheles-Sprecherin Linda Cerna. „Und da es im fünften Stock keinen Besitzer gibt, hat der Zwangsverwalter die Räumung veranlasst. Denn dazu ist er verpflichtet, um das Eigentum zu sichern“, sagte Schultz.

Bereits im Oktober hatte der Sicherheitsdienst geräumte Flächen auf der Freifläche nebenan mit einem hohen Zaun absperren lassen, um neue Besetzungen zu verhindern. Doch sind die Werkstätten über einen Umweg weiter erreichbar. Zwei der drei Budenbesitzer haben den Platz bereits verlassen. Der Kiosk wird jetzt vom Zaun eingerahmt. „Wir haben nun befristete Mietverträge, die alle drei Monate verlängert werden. Wie lange das noch so geht, wissen wir nicht“, sagt Mitarbeiterin Mualla Yildirim.

Spätestens Ende des Jahres soll das ganze Ruinen-Areal geräumt sein, sagt Rechtsanwalt Schultz. Nach Tagesspiegel-Informationen hat das Amtsgericht Mitte für den 31. Januar 2012 eine weitere Zwangsversteigerung angesetzt. Der erste Termin war im April geplatzt. Augenscheinlich solle das Haus für die Zwangsversteigerung geräumt werden, um den Kauf für Großinvestoren attraktiver zu gestalten, sagte Cerna. „Wir sind mit unserem Anwalt in Kontakt und wollen die Bilder Rodins zurück.“ Das fordert auch der Loveparade-Erfinder Matthias Roeingh alias Dr. Motte. „Es kann nicht angehen, dass im 21. Jahrhundert Künstlern gegenüber nackte Gewalt wieder opportun ist.“

Die meisten Besucher wissen von nichts, als sie vor der verschlossenen Tür im fünften Stock stehen. „Wir haben gehört, dass das Tacheles geschlossen werden soll und wollten es unbedingt noch einmal sehen“, sagte Tieme de Wit aus Holland. Nun bewachen zwei Sicherheitsleute die Räume im fünften Stock. Rodin hat seine Arbeit in die Etage darunter verlegt. Mit Kopien seiner Werke arbeitet er jetzt an einer „verhafteten Ausstellung“, die auf die Vorgänge im Tacheles aufmerksam machen soll. Gerade sei sein neuer Bildband erschienen, weshalb er auch seine Bilder zeigen wolle, sagte der Künstler. „Ich hoffe, dass ich mein Eigentum bald zurückhabe.“

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