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Aline Henkys (links) und Leonie Beckmann sind zwei Gründerinnen der Initiative Restlos Glücklich, einer Initiative gegen die Lebensmittelverschwendung.

© Doris Spiekermann-Klaas

Restaurant-Vision in Berlin: Lebensmittelretter wollen Reste à la carte servieren

18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen jährlich im Müll – obwohl man vieles noch essen könnte. Viele Initiativen versuchen, noch genießbare Lebensmittel zu retten. Sechs Berliner wollen jetzt mit Crowdfunding-Hilfe ein Restaurant eröffnen.

Auf der Speisekarte locken Chicorée-Salat mit Kapern-Sardellen-Dressing und Zucchini-Muffins mit Bärlauch-Gemüse. Die Gaststätte ist in warmes Licht gehüllt und alle Tische sind besetzt.

Die Einrichtung besteht zu 100 Prozent aus gespendeten Möbeln, die Lampen glühen aus Naturstrom und, das ist das Wichtigste, alle Speisen bestehen aus Lebensmitteln, die eigentlich in die Tonne hätten wandern müssen.

Noch ist dieses Restaurant eine Vision, eine Fantasie, doch sechs Berliner tüfteln seit bald einem Jahr daran, sie umzusetzen.

Und das kam so: Es ist ein windiger Oktobertag, als die Berliner Umweltwissenschaftlerin Anette Keuchel das Restaurant Rub&Stub in Kopenhagen besucht. Hier wird ausschließlich mit Lebensmitteln gekocht, die der Handel nicht mehr will. Keuchel ist vom Konzept begeistert. So sehr, dass sie bei ihrer Rückkehr nach Berlin entscheidet: So was muss es hier auch geben.

Ihre erste Verbündete wird Freundin Leoni Beckmann. Die 27-Jährige hat gerade ihr Studium der Politikwissenschaft abgeschlossen. Ihr gefällt die Idee, ein Restaurant mit wechselnden „Reste-à-la-Carte“-Menüs zu gründen.

Keine verdorbenen Lebensmittel

„In Berlin gibt es eine große Szene, die sich gegen Lebensmittelverschwendung engagiert“, sagt Beckmann. Essensretter nennen sie sich, da sie ihre Produkte direkt von Wochenmärkten, Supermärkten und Bauern bekommen. Die Händler stellen sich als Reste-Lieferanten zur Verfügung – die sogenannten Foodsaver „retten“ das Essen vor dem Müll. Vor allem achten die Retter streng darauf, keine verdorbenen Lebensmittel zu verwenden, sondern nur Dinge, die noch genießbar sind. „Oft werden Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum erst in Wochen abläuft, weggeworfen, da die Kunden eher zum frischen Produkt greifen“, sagt Beckmann.

Lebensmittelretter gibt es inzwischen viele. „Aber das eher bedrückende Thema positiv zu sehen und mit Genuss zu verknüpfen, das gibt es noch nicht“, sagt Beckmann. Inzwischen umhüllt Sommerhitze die Hauptstadt und aus der reinen Idee eines Restaurants ist weit mehr geworden. Mittlerweile haben sich vier weitere Mitstreiter gefunden, die zusammen mit Keuchel und Beckmann in den Konferenzräumen des Social Impact Lab, einem Kreuzberger Gründerzentrum, an der konkreten Realisierung der besonderen Gaststätte arbeiten. Schaffen sie es, dass das Lokal im Herbst seine Türen öffnet, wird es das erste Restaurant Deutschlands, das nur mit Lebensmittelresten kocht – „Restlos glücklich“ soll es heißen.

Spendensammlung soll 50.000 Euro in 40 Tagen bringen

Damit das klappt, braucht die Initiative noch Geld. An diesem Dienstag startet sie deshalb eine Kampagne, bei der per Crowdfunding auf der Internet-Plattform startnext.com für das Projekt gespendet werden kann. Das Ziel: In 40 Tagen 50.000 Euro sammeln.

Jährlich werden in Deutschland rund 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das gab der WWF in einer Studie bekannt, die im Juni veröffentlich wurde. Allein zehn Millionen Tonnen Lebensmittel aus privaten Haushalten und der Gastronomie landeten in der Tonne. Strikt sortieren Bauern und Supermärkte schiefe Gurken, unförmige Tomaten oder verbeulte Äpfel aus. Obst und Gemüse, das noch absolut genießbar ist und nur eine andere Optik als die sogenannte A-Ware hat, die im Laden landet.

„In unserem Lokal wird es keine Verschwendung und keine Essensreste geben“, sagt Aline Henkys, die Designerin des Teams. Gelingen soll das beispielsweise mit kleineren Portionen – verbunden mit der Möglichkeit, kostenlos einen Nachschlag zu bestellen. Der Gewinn der Gaststätte, die ausdrücklich keine Konkurrenz zu den Berliner Tafeln sein soll, die Essen an Bedürftige verteilen, soll direkt in Bildungsprojekte fließen, sagt Henkys. Damit wollen sie Workshops und Lernprojekte in Schulen finanzieren. „Schon früh sollen Kinder den richtigen Umgang mit Essen lernen“, sagt Henkys.

Plattform Foodsharing hat 22 öffentliche Kühlschränke aufgestellt

Die 27-jährige Zehlendorferin stieß im Januar zur Initiative. Zuvor engagierte sie sich als Lebensmittelretterin bei Foodsharing, einer Plattform, auf der überschüssige Lebensmittel kostenlos angeboten werden können. Sie haben inzwischen 22 Kühlschränke in allen Bezirken aufgestellt, wo Lebensmittel ausgetauscht werden können – zum Beispiel weil jemand in den Urlaub fährt oder Reste nicht allein schafft.

Bei Foodsharing lernte Aline Henkys auch, sich einfach bei Betrieben wie Bäckereien vorzustellen, und diese um Produkte zu bitten, die sonst weggeworfen würden. Die Initiative ist mittlerweile in ganz Deutschland aktiv – und ziemlich erfolgreich. Gründer Raphael Fellmer, der in Berlin lebt, erzählt, dass täglich knapp 1000 solcher Abholungen bei Supermärkten, Metzgern oder Markthallen stattfinden. „Vergangene Woche feierten wir zwei Millionen Kilogramm geretteter Lebensmittel“, sagt er. Die Idee mit dem Restaurant findet Fellmer folglich „mehr als begrüßenswert“.

Initiative sucht noch passende Räumlichkeit

Im Restlos Glücklich soll es Gerichte für jedermann geben. Leoni Beckmann betont, dass es kein Restaurant nur für Vegetarier oder gar Veganer wird. „Die Leute sollen einfach merken, dass das Essen lecker ist, obwohl es jetzt eigentlich im Müll wäre“, sagt Beckmann und lacht. Da wird es auch mal Fisch oder Fleisch geben, das im Laden überschüssig war. Die passende Räumlichkeit hat das Team allerdings noch nicht gefunden. Ihre Wunschorte wären Kreuzberg, Neukölln oder Prenzlauer Berg.

Weitere Informationen zum Reste-Restaurant gibt es unter: restlos-gluecklich.berlin.

Den Link zur Spendensammlung finden Sie hier.

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