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Blick ins Museum.

© promo

Museum: Rot für die Welt

Jetzt mal Farbe bekennen: Ein Museum in Wilmersdorf dokumentiert den Siegeszug des Lippenstifts. Den Gründer kennt man aus dem Fernsehen. Und er hat eine Botschaft.

Wie ein Museum wirkt das nicht. Raufasertapete, Teppichboden, man will sich am Eingang die Schuhe ausziehen. „Fassen Sie das mal an, meine Damen“, sagt René Koch, er wird an diesem Nachmittag noch häufiger „meine Damen“ sagen. In seiner Hand hält er einen Stein aus gebrannter Erde, wer den anfeuchtete und sich die abgeriebene Farbe ins Gesicht schmierte, sah verführerisch aus, vor zwei Jahrtausenden in Ägypten. Heute klebt die Farbe an René Kochs Finger, er kriegt sie gar nicht mehr ab. Kleopatra hatte zwei Sklavinnen, erzählt er. Die mussten ihrer Herrin immer auf die Lippen beißen, für mehr Volumen. „Damals gab’s ja noch kein Botox, meine Damen.“

Es sind fast nur Frauen gekommen zur Führung durch das erste Lippenstiftmuseum der Welt, hier in der Helmstedter Straße in Wilmersdorf. Der einzige männliche Besucher erklärt, seine Gattin habe ihn hergebracht. Nein, sagt er, „mitgeschleift“ sei nicht der passende Ausdruck. René Koch führt die Gruppe in den Nebenraum. Er hat immer noch etwas Farbe am Finger.

Früher haben diese Finger Hildegard Knef geschminkt, Joan Collins, Claudia Schiffer und viele andere. 40 Jahre lang war René Koch Visagist der Stars, er hat in Berlin, New York und London gearbeitet, sein Beruf machte ihn selbst prominent. Jetzt ist er 65 und betreibt das Museum. Er sieht aus wie der gepflegte Vater von Peter Fox.

Die Ausstellung kann man nur samstags besuchen, nach Anmeldung zu einer Führung. Die meiste Zeit sitzt man bequem um einen langen Tisch, in der Mitte liegen Kekse und Salzkringel. Eigentlich ist das ein Esstisch. Denn René Koch wohnt hier, zwischen Vitrinen voller historischer Lippenstifthülsen, Puderdosen und Flakons, an den Wänden hängen alte Werbeplakate. Nerven die manchmal, die ganzen Exponate? „Überhaupt nicht, sie sind Teil meines Lebens.“

René Koch hat Raritäten in seiner Wohnung. Eine alte Spieluhr aus Sterlingsilber, gefertigt in Sankt Petersburg, im Griff versteckt sich ein Lippenstift. Hildegard Knefs falsche Wimpern, sie war eine enge Freundin, zu ihrer Hochzeit schenkte er einen Lippenstift. Auf der Esszimmer-Kommode stehen Schminkstifte aus der DDR, „Disco Blue“ zum Beispiel für 49 Ostpfennig, die Besucher schauen amüsiert, ein bisschen mitleidig. Eine Frau freut sich, sie hatte „Disco Blue“ früher selbst im Gesicht.

Viele Sammlerstücke fand Koch bei Antiquariaten oder im Internet, manches bekam er geschenkt. Jeden Sonntag klappert er Flohmärkte ab, neulich erst stieß er auf einen Lippenstift mit Puderdose im Tiffany-Style. Gleich ab damit in die 80er-Jahre-Vitrine.

Aber eigentlich geht es hier nicht um die Beschau seltener Objekte. René Koch hat eine Botschaft. Sie lautet: „Der Lippenstift ist Politikum.“ Weil Frauen die rote Farbe als Waffe einsetzen können – und Verführungskraft ist gleich Macht. Kein Wunder, dass es stets Männer waren, die Lippenstifte schlecht redeten, ihre Trägerinnen zu Huren abstempelten, die rote Farbe am liebsten verbannen wollten. Und im Prinzip sei das heute immer noch so. Doch, Männer mögen Lippenstifte, sagt René Koch. Aber nur an der Geliebten oder der Frau, der sie auf der Straße hinterhergucken. Der eigenen Ehefrau sagen sie: „Schatz, das hast Du doch gar nicht nötig.“ Die Runde nickt. Koch weiß, wovon er spricht.

Die meisten kennen den Museumschef aus dem Fernsehen. Dort gibt er manchmal Styling- und Schmink-Tipps, erklärt, was gegen trockene Haut hilft. Und er ist so freundlich und notorisch gut gelaunt, dass man denken könnte: Dieser Mann trägt doch eine Maske. Wer ihn jetzt in seinem Esszimmer erlebt, wie er sich für die Erfindung der drehbaren Hülse begeistert, wie er von „Jäckschn“ und „Täschschen“ schwärmt und alles „verführerisch“ findet, der weiß ganz sicher: René Koch spielt nicht. Er muss einer der herzlichsten Menschen in dieser Stadt sein.

Ratschläge gibt es heute beim Glas Champagner, das gehört zu jeder Führung dazu. Etwa zum Thema Farbwahl: je dunkler die Garderobe, desto kräftiger der Lippenstift. Ein gängiger Fehler sei: nicht genügend Auswahl haben. Jede Frau sollte mindestens fünf Stück besitzen, sagt Koch. Ein bisschen geschminkt ist er heute selbst, er hat sich eingecremt und Selbstbräuner aufgetragen. Einen Lippenstift für den Mann? „Sein Lippenstift ist doch die Krawatte.“

Im Flur hängen Papiere mit roten Kussmündern drauf. Die sind von Prominenten, extra fürs Museum angefertigt. Ulla Kock am Brink hat ziemlich schräg geküsst. Marianne Rosenbergs Mund war weit offen, Brigitte Nielsens extrem voll. Manche Besucherinnen haben Notizblöcke mitgebracht. „Beauty-Tagebuch“ notiert eine und unterstreicht es doppelt. Das ist auch so eine Empfehlung von Koch: Buch darüber zu führen, wann man sich welches Produkt kauft. Um hinterher Sätze sagen zu können wie: „Mit dieser Creme bin ich lange ausgekommen!“ Zwei Besucherinnen haben heute rote Wangen. Bei der einen kommt es bloß vom Champagner, schwört die. Aber Franziska hat zu viel Rouge aufgetragen. Koch greift zum Puder und macht fix drei, vier Handbewegungen, und aus allen Ecken des Raumes kommen erstaunte Ahs.

Manchmal veranstaltet Koch Themenabende in seinem Museum. Zur Lesung aus dem Buch „Warum sind alle netten Männer schwul?“ kamen 50 Leute, ausnahmsweise sogar Männer. Für seinen Hildegard-Knef-Abend hatte Koch so viele Anmeldungen, er musste 100 Interessierten absagen.

Gegen Ende wird René Koch richtig ernst: „Meine Damen“, sagt er, „eines möchte ich loswerden“. Es sei keine Sünde, Lippenstift zu benutzen. Schließlich dürften heute in ganz Europa keine Tierversuche mehr unternommen werden, um ein neues Produkt zu testen. „Kein Kaninchen muss leiden.“ Danach geht es rüber vor den großen Spiegel, Schminktipps für jede. Der einzige Mann in der Runde will schon mal nach Hause. War aber interessant, sagt er.

Dieser Text wurde erstmals in unserem Schwester-Magazin „Zitty“ veröffentlicht. Das Lippenstiftmuseum findet man in der Helmstedter Straße 16, Wilmersdorf, Führungen nur nach Anmeldung unter Tel. 854 28 29, www.lippenstiftmuseum.de

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