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Berlin: Schauplatz der Geschichten

90 Jahre Rathaus Schöneberg: Ein Ort historischer und filmischer Ereignisse

Vor dem Trauzimmer bittet die Hausverwaltung, „vom Streuen von Reiskörnern, Konfetti und Blumen abzusehen“. Reinigungskräfte sind rar, also wird nun unter freiem Himmel gehuldigt. Da flattern die Rosenblätter über den Bürgersteig, einige erreichen den Wochenmarkt, huschen zu Schmidts Imbiss, wo eine Frau mit ihrem Hund unterm Arm gerade in eine „Currywurst gegen das Vergessen“ beißt – Metzger Schmidt teilt uns mit, dass die im Curry enthaltenen Farbstoffe gegen Alzheimer helfen.

Der gemütliche Markttag in Schöneberg findet vor einem weltbekannten Gebäude statt, man kann auch sagen: vor historischer Kulisse. Das Rathaus! Links vom Eingang ruft uns zwar eine Schrifttafel das größte Ereignis, das es hier gab, in Erinnerung. Aber es ist nun schon 41 Jahre her, dass John F. Kennedy am 26. Juni 1963 einigen hunderttausend Berlinern auf dem damaligen Rudolf-Wilde-Platz zurief: „Als freier Mann bin ich stolz darauf, sagen zu können: Isch bin ein Börlinör.“

Die Gegenwart besteht zunächst einmal darin, dass es in der wohl schönsten Kantine Berlins, dem goldverzierten Ratskeller, Hackbraten gibt; der Duft strömt durch die riesenhafte Eingangshalle, die dem Besucher Hochachtung abnötigt und Ehrerbietung gegenüber dem Werk jener beiden Architekten, deren Namen in die Majolika-Kacheln im Foyer eingebrannt sind: Peter Jürgensen und Jürgen Bachmann.

Repräsentativ und zweckmäßig zugleich sollte das Rathaus für die rasch wachsende, wohlhabende Stadt sein, Oberbürgermeister Dominicus legte – es war in Schöneberg, im Monat Mai 1911 – den Grundstein, zum anschließenden Festessen trafen sich die Honoratioren in dem von den beiden Architekten erbauten Restaurant des Zoologischen Gartens. Die SPD-Fraktion blieb der Sause fern, der Gastwirtsverein bedauerte im „Schöneberger Tageblatt“ , dass der Magistrat solch Zweckessen bei einer Berliner Aktiengesellschaft abhielt: „Zur Pflege des Bürgersinns trägt dieses nicht bei. Wir dürfen erwarten, daß bei solchen Anlässen die Festlichkeiten in Schöneberg abgehalten werden.“

„Prunklos, schmucklos, ganz dem heiligen Ernst der eisernen Zeit entsprechend“ verlief am 10. August 1914 die erste Sitzung der Stadtverordneten im neuen Hause. Es war Krieg, der OB Dominicus saß mit zahlreichen Stadtverordneten schon im Zug zur Front, es gab also praktisch keine Einweihung damals, und deshalb feiern die heutigen Schöneberger den 90. Geburtstag ihres Hauses am Samstag mit einem Sommernachtsball im Willy-Brandt-Saal und in der Brandenburg-Halle.

Dann kann man die Prächtigkeit der gutbürgerlichen Ausstattung bewundern: den holzgetäfelten Sitzungssaal der Abgeordneten, die Brandenburg-Halle, in der eine Fusion mit dem Umland bildlich vollzogen ist, und die Bibliothek, so gediegen, dass die Filmemacher diese Location schon vor vielen Jahren entdeckt haben. Hier spielte Klaus Kinski im „Indischen Tuch“ von Edgar Wallace mit Elisabeth Flickenschildt und Hans Clarin in dem vermeintlichen Schloss-Milieu. Franka Potente („Lola rennt“) schrie nicht in irgendeinem Casino, sondern im Foyer, Til Schweiger war hier im Max-Schmeling-Film zugange, Lehrer Dr. Specht drehte im gediegenen Ambiente; „Wolffs Revier“, „Im Namen des Gesetzes“ und „Aimee und Jaguar“ sind weitere „Rathaus-Filme“. Nicht wundern, wenn Männer in NS-Uniformen durchs Foyer laufen – alles Komparserie.

Echt waren der Schah von Persien und die Königin von England bei ihren Berlin-Visiten – im Rathaus saßen über 40 Jahre lang Bezirks- und Stadtregierung, mit der Einheit kam der Karriereknick. Geblieben ist seit Dominicus’ Zeiten der Schreibtisch des Bürgermeisters – und die Erinnerung an große Zeiten mit Ernst Reuter, Willy Brandt, Richard von Weizsäcker. Gegenwärtig sind das Läuten der Weltfreiheitsglocke um 12 Uhr mittags und Kennedys Rednerpult von damals. Das kann man ausleihen – für 36 Euro pro Tag.

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