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Schicke Mitte: Berlin entdeckt den Litfaß-Platz

Litfaß-Platz – wo soll der sein? Nicht weit vom Hackeschen Markt. Dort entstand ein neues Quartier Hotels, Läden, Restaurants, Cafés: Das geschichtsträchtige Areal hat ein schickes Gesicht bekommen.

Der Taxifahrer stutzt. Der Stadtplan sagt gar nichts, und auch der sonst so redselige Kauperts-Straßenführer schweigt – den „Litfaß-Platz“ kennt kaum einer. Dabei fahren vier Straßenbahnlinien direkt vorbei, und wer durch die Spandauer Straße zum Hackeschen Markt und weiter zu den bekannten Höfen läuft, kommt ebenso an diesem quadratischen Gedenkort für Herrn Litfaß vorüber wie derjenige, der vom früheren Bahnhof Börse zur Rosenstraße geht. Da fällt er direkt in die Hotels „Adina“ und „Alexanderplaza“ oder trifft auf das Denkmal für jene mutigen Frauen, die am 27. Februar 1943 vor dem Haus 2 bis 4 erfolgreich für die Freilassung ihrer dort nach der Nazi-„Fabrikaktion“ eingesperrten jüdischen Männer protestiert hatten. Noch mehr Geschichte? Gegenüber dem Platz stand einst die Garnisonkirche, deren Reste 1962 abgeräumt wurden – nun ist da wenigstens eine Info-Tafel am leeren Garnisonkirchplatz und gegenüber das gerade eröffnete Restaurant Garnison-Bräu, rustikal, helle Tische und Stühle und hohe Fenster, durch die die DDR ihren langen Schatten auf den Platz wirft – als roter Giebel der breiten Wohnscheibe Spandauer Straße.

„Ich finde interessant zu erleben, wie dieser Platz entstanden ist, wächst und hoffentlich immer belebter wird“, sagt die Serviererin vom Garnison-Bräu, während sie die Matjes mit Bratkartoffeln, mit Süppchen und Bier (für siebenfünfzig) auf den Tisch stellt. Nebenan, im „Pure Origins Kaffee“, schlängeln sich Rohre durchs Lokal, vorbei an rohen, unverputzten Wänden. „Alles Absicht, das bleibt so“, sagt Oliver Schirmer, während er gekonnt ein Herz auf den weißen Cappuccino zaubert. „Die Gegend belebt sich nun von Tag zu Tag.“ Bald sitzen die Leute draußen, der Platz ist groß genug, sieht aus wie eine Tanzfläche. Wer weiß, „vielleicht stell’n se da noch paar Liegestühle auf“, ahnt der Wachmann vor dem Haus der Bauherren-Firma IVG und lacht. „In Berlin is doch allet möglich, wa?“

Zunächst ist das hier ein Platz mit Ladenflair: „Spikkies“ bieten Bio-Food am Spieß, es gibt eine Apotheke um die Ecke, eine Drogerie, eine Tee-Bar, noch ein Café, moderne Thaiküche, und Gas. Viel Gas. Die Gasag ist in ein rotes Haus mit Klinkerbändern ins Hackesche Quartier gezogen und direkt am Platz, zur Anna-Louisa-Karsch-Straße, wird für Vermietung von Gewerberäumen geworben – von Wohnräumen ist leider nichts zu sehen. Hier wurde von der IVG Immobilien AG für 160 Millionen Euro ein Gewerbeviertel hingestellt, und wer die Gegend vorher kannte, darf allen Beteiligten eine kleine blühende Landschaft bescheinigen. Vor drei Jahren, als der Bau begann, war hier ein wilder Parkplatz, eine traurige Stadtbrache in bester Lage.

Das Glanzstück am Platze ist aus hellem und geschwärzten Glas, hat sechs Geschosse, erinnert in seiner geschwungenen Fassade an einstige Bauhauszeiten, zeigt sich klar, transparent, glasnostig und schnörkellos. Der Bau von Ivan Reimann ist für Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe „das eleganteste schwarze Haus, das ich kenne“. Es gehört der Werbeagentur „Scholz & Friends“, die ist mit ihren 400 Mitarbeitern vor drei Wochen aus ihren Büroetagen über dem Kaufhaus „Lafayette“ und aus der Wöhlertstraße an den Platz nahe dem Hackeschen Markt gezogen. „Das Orchester der Ideen ist nun unter einem Dach vereint“, schwärmt Geschäftsführer Klaus Dittko von dem international tätigen Kommunikationsriesen. Das fröhliche Mit- und Untereinander der Kollegen gehört hier zum Arbeitsprinzip: Neben der Rolltreppe zum Lichthof hängen Kinderbilder sämtlicher Mitarbeiter, und im digitalen Firmenschriftzug über dem Eingang steht anstelle vom Firmengründer Jürgen Scholz der täglich wechselnde Name eines Mitarbeiters, heute ist Fräulein Anderson an der Reihe, also steht da „Anderson & Friends“. „Der Platz hat deutlich an Leben gewonnen“, sagt der Werbeprofi Klaus Dittko, „und das Schöne: Mit ein paar Schritten ist man auf der Museumsinsel, in dieser Oase mitten im Trubel von Berlin.“ Litfaß-Platz 1 steht über dem Eingang der Ideenschmiede, die den Namen vorgeschlagen hatte, „schließlich war Ernst Litfaß ein früher deutscher Werbeprofi, als er 1855 die ersten von 150 ,Annonciersäulen‘ aufstellt.“, sagt Klaus Dittko. Volker Hobrack, Chef der Gedenktafelkommission, hatte dem Namen zugestimmt, andere Bezeichnungen für dieses private Gelände blieben außen vor: „Spielplatz“ sollte es heißen, „Gelber Platz“ oder „Am Ziel“.

Aber wo ist eine leibhaftige Litfaßsäule, jenes Produkt im Straßenbild, das dem Unternehmer, der auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof im Ehrengrab der Stadt ruht, zur Unsterblichkeit verhalf? Sie kommt noch, dick und rund, mitten auf den Platz: Fünf Meter 25 hoch, in Beton gegossen, mit Autogramm und einer goldenen Krone. Nachts wird die Säule dann angestrahlt: 24 Stunden Litfaß und eine dauernde Erleuchtung für dieses Städtchen in der Stadt.

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