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Castor-Protest: Schottern gegen den "Wahnsinn"

Berlins Atomkraftgegner trainieren am bundesweiten "Schienenaktionstag" den Widerstand gegen den für Anfang November geplanten Transport. Den Unterstützern drohen Anzeigen.

Auf einmal geht alles sehr schnell. Etwa 20 Castor-Gegner stürmen auf die Gleise einer stillgelegten Bahnstrecke nördlich des Berliner Hauptbahnhofs. Mit bloßen Händen oder Arbeitshandschuhen – manche haben sich auch kleine Bretter mitgebracht – machen sie sich am Schotter des Gleisbetts zu schaffen. Einige wühlen ihn mit den Händen unter den Schienen hervor und transportieren ihn mit den Füßen weiter, andere werfen die Steine sofort weit hinter sich. Der Effekt, den sie alle gemeinsam erzielen, ist in jedem Fall eindrucksvoll: Binnen weniger Minuten hängt auf einer Strecke von mehreren Metern die Schiene über tiefen Ausbuchtungen in der Luft, getragen nur noch von den Bahnschwellen. Ein Zug könnte hier jetzt nicht mehr passieren, von einem Castor ganz zu schweigen.

Dass der hier heute vorbeikommt, ist eher unwahrscheinlich – aber Berlins Castor-Gegner trainieren am bundesweiten „Schienenaktionstag“ bereits den Widerstand gegen den für Anfang November geplanten Transport von der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague ins Zwischenlager Gorleben. Dem „Schottern“ – als „Widerstandstechnik“ so alt wie die Transporte selbst – kommt dabei diesmal eine besondere Bedeutung zu: Mit der „Kampagne Castor schottern“ möchten militante Kernkraftgegner die Streckenzerstörung auf dem 45 Kilometer langen Schienenstück zwischen Lüneburg und Dannenberg dieses Jahr in den Mittelpunkt ihrer Aktionen stellen. „Wir möchten das Schottern neben Sitz- und Treckerblockaden als Form des zivilen Ungehorsams salonfähig machen“, sagt Tadzio Müller, Sprecher der Kampagne und Aktivist einer Berliner Klimagruppe.

Dass die Zeiten dafür günstig sind, davon ist Müller überzeugt: Angesichts der fadenscheinigen „Propaganda“ gegen erneuerbare Energien seien immer weniger Menschen bereit, den „kapitalistischen Wahnsinn“ der Atompolitik der Bundesregierung zu akzeptieren. Auch sonst sieht Müller – mit Blick auf das Bahnprojekt Stuttgart 21 – die Zeichen der Zeit auf Umbruch stehen: „Wir sind auf dem Weg dahin, dass die Leute sich nicht mehr damit zufriedengeben, einmal alle vier Jahre ein Kreuz zu machen“, ist der bekennende „Linksradikale in Anführungszeichen“ sicher.

Unbeeindruckt von alledem zeigt sich indes die Staatsanwaltschaft Lüneburg: Die erstattet derzeit massenhaft Strafanzeigen wegen des Tatbestands des Aufrufs zur „Störung öffentlicher Betriebe, möglicherweise auch der Sachbeschädigung und der Zerstörung von Bauwerken“ gegen alle Unterzeichner einer Online-„Absichtserklärung“.

Auf www.castor-schottern.org. haben 1234 Privatpersonen, Verbände und Organisationen bereits unterzeichnet (Stand: Samstag, 14 Uhr), darunter auch viele Berliner. „Wer sich da mit eigenem Namen einträgt, ruft schon sehr eindeutig zu einer Straftat auf“, ist die Sprecherin Angelika Klee überzeugt. Tadzio Müller sieht das naturgemäß anders: „Wir rufen zu nichts auf, wir machen bloß publik, dass wir beabsichtigen, etwas zu tun.“ Sowieso hänge die Form des juristischen Nachspiels, die Ankündigung und Aktion haben werden, sehr von der politischen Entwicklung ab: „Das Ziel ist, dass wir so viele sind und so einen breiten Rückhalt haben, dass niemand ohne Gesichtsverlust gegen uns vorgehen kann.“

Wie viel Rückendeckung der harte Kern derer, die Sachbeschädigung in Kauf nehmen, letztlich bekommt, wird laut Müller auch davon abhängen, wie weit sich der „bürgerliche Widerstand“ der reinen Demogänger solidarisiert. In Berlin sind Aktivisten und Demonstranten an diesem Sonnabend noch zwei gänzlich verschiedene Gruppen: Während ab 13 Uhr ein breites Bündnis unter dem Motto „Durch Kreuzberg kommt der Castor nicht!“ zwischen Mariannen- und Heinrichplatz demonstriert, üben Müller und Co noch das „Durchfluten“ von Polizeiketten. jos

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