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Im Aufbruch. Der Berliner Büchertisch muss seine Räume am Mehringdamm verlassen.

© Mike Wolff

Share Deals auf dem Berliner Immobilienmarkt: Wie Investoren den Kreuzberger Büchertisch ausbooteten

Ein Firmennetz, das Steuerparadiese in ganz Europa verbindet, macht eine karitative Einrichtung obdachlos. Anrüchige Finanzdeals verändern in Berlin ganze Kieze.

Es blieb natürlich nicht unbemerkt. Nachdem der Berliner Büchertisch im Juli die Kündigung für sein Hauptgeschäft am Mehringdamm erhalten hatte, berichteten Medien aus ganz Berlin über die drohende Verdrängung. „Wir hoffen, dass es eine Lösung geben wird“, sagte Mitbetreiberin Cornelia Temesvári damals dem Tagesspiegel.

Nur leider hilft alle Aufmerksamkeit nicht gegen eine schlichte Wahrheit: Wer verschenkt – wie die 2004 gegründete Kreuzberger Institution zuletzt jährlich rund 100.000 Bücher an Schulen, Kitas, Gefängnisse und viele weitere mehr –, bekommt auf dem Berliner Mietmarkt immer weniger geschenkt. Längst gehört ein großer Teil der Häuser im Innenstadtbereich keinen lokalen Eigentümern mehr, mit denen sich, in welcher Form auch immer, reden ließe. In den Fondsgeflechten, die wie bedrohliche Wolken über dem Immobilienbestand hängen, ist keiner, der eine Ausnahme machen könnte, ohne gegen die Regeln eines anderen zu verstoßen, dem er mehr verpflichtet ist als Berliner Altmietern.

Der Besitzer des Gebäudes, in dem der Büchertisch 500 Quadratmeter mietet, die Firma Taliesin Property Fund, ansässig auf der Kanalinsel Jersey, hat notwendigerweise andere Pläne als ein Festhalten am Status quo. Mit 4150 Quadratmetern in bester Lage im Bergmannkiez lässt sich schließlich Einträglicheres machen als soziale Arbeit.

Dabei gibt es zwischen der Kiezgröße und der Investitionsfirma auf den ersten Blick erstaunlich viele Parallelen. Beide wurden Mitte der 2000er Jahre gegründet; beide agieren rein privatwirtschaftlich und erhalten keine Förderungen; beide wollen viel in Berlin erreichen. Die einen wollen so viele Bücher wie möglich an bildungsferne Leser bringen, die anderen so viel Gewinn wie möglich an Berlin-ferne Anteilseigner ausschütten. Am Ende wird der Büchertisch Tausenden sozial schwachen Menschen das Lesen nahegebracht und Taliesin aus 23 Millionen Euro Startkapital in 15 Jahren idealerweise 500 Millionen Euro gemacht haben. Beides auf seine Art eine fantastische Leistung.

Mit 52 Gebäuden, die aktuell 267 Millionen Euro wert sind, ist Taliesin ein mittlerer Investor. Er ist aber in vielfacher Hinsicht beispielhaft: Er sieht Immobilien als reine Kapitalanlage an und verfolgt konsequent seinen Plan, alle 1740 Wohn- und Gewerbeeinheiten einzeln zu verkaufen. Und auch bei der Steueroptimierung ist er durchschnittlich: Sie ist zwar abenteuerlich, aber völlig legal. Und lukrativ: Trotz jährlicher Mieteinnahmen von mehr als 10 Millionen Euro zahlt Taliesin ähnlich viele Steuern wie der gemeinnützige Büchertisch mit seinem Umsatz von 750.000. Wie genau das bei Taliesin alles funktioniert? Kommen Sie mit auf eine Reise in die Welt entfesselter Buchhalter!

1. Sie beschlossen, Millionen zu verdienen

Warum genau Mitte des letzten Jahrzehnts drei englische Geschäftsleute zusammenkamen, um in Berliner Immobilien zu investieren, ob sie die rasante Entwicklung der Stadt vorausahnten oder hier nur einen möglichen Versuch von vielen sahen, möglichst viel Geld zu verdienen, wird man wohl nie herausfinden. Diese Leute reden nicht gern, zumindest nicht darüber. Was sich zurückverfolgen lässt: dass im Herbst 2005 drei Firmen mit dem Namen Taliesin auf drei europäischen Inseln gegründet wurden. Eine auf Jersey, eine auf Zypern und eine in Großbritannien.

Die Taliesin Property Fund auf Jersey war bereits damals als Dreh- und Angelpunkt der Firmenarchitektur konzipiert. Auch heute, in einem auf über 30 Firmen angewachsenen Geflecht, bleibt sie zentral. Bei ihrer Geburt standen ihr großzügige Geldgeber zur Seite, die sie mit 23,6 Millionen Euro Startkapital ausstatteten. Davon stammen nur zwei Millionen Euro von den drei Gründern. Was ihnen an Kapital fehlte, kompensierten sie mit ihren Netzwerken, was ihnen an Kompetenzen fehlte, holten sie sich dazu.

Einer der Gründer scharte fünf weitere Geschäftsleute um sich. Er und ein anderer waren Hedgefonds-Manager, ein Dritter hatte lange mit internationalen Immobilien gehandelt, ein Vierter stand einer lokalen Berliner Immobilienfirma vor und leitet eine große Briefkastenverwaltungsfirma auf Jersey, ein Fünfter war ein hochverdienter Top-Buchhalter und Risikospezialist, der letzte ein Finanzanwalt. Da es hier nicht um Personen, sondern um ein System geht, werden keine Namen genannt.

2007 wird die Taliesin Property Fund an der Londoner Börse eingeführt. Ihr Plan ist, so viel Fremdkapital wie möglich zu nutzen, genau dafür sind Börsen geschaffen. Die Statuten der Firma erlauben ihr, Kredite aufzunehmen, die ein Zehnfaches des Gebäudewerts darstellen. De facto sind jetzt Berliner Häuser mit dem Londoner Finanzmarkt verbunden.

Denn zu diesem Zeitpunkt besitzt Taliesin in Berlin bereits 30 Gebäude, die 48 Millionen Euro Wert sind. 2012 kauft man zudem einen großen Anteil der Phoenix-Gruppe aus Luxemburg. Mit ihm verdoppelt Taliesin seinen Wohnungsbestand. Er ist jetzt 174 Millionen Euro wert.

Seitdem blieb die Zahl der Berliner Häuser, von denen Taliesin den Löwenanteil besitzt, bis auf eins stabil, der Wert hingegen kletterte 2015 auf 267 Millionen Euro. Kaufte die Gruppe 2006 für durchschnittlich 945 Euro pro Quadratmeter ein, ist heute jeder ihrer 119.000 Quadratmeter 2240 Euro wert. Der Plan ist, mindestens zu 3750 Euro zu verkaufen. Das gelang 2015 bereits mit der Warschauer Straße 76, laut Eigenangaben ein Machbarkeitstest. Der Gewinn lag bei 4,3 Millionen Euro.

2. Wie Berlin jährlich Millionen entgehen

Ein Haus gewinnbringend zu verkaufen, ist ein gutes Geschäft. Es wird noch besser, wenn man schon im Einkauf Steuern sparen kann: Hier steht Taliesin exemplarisch für eine Tendenz, die für immer mehr Unbehagen bei Steuerbehörden und Privatkäufern sorgt. Während in vielen Städten die Grunderwerbssteuer für Käufer einzelner Wohnungen – darunter auch die Kunden, die sich in nicht allzu ferner Zukunft ein Stück aus Taliesins sorgsam filettierten Beständen sichern werden – steigt und steigt, zahlen Player wie Taliesin die sechs Prozent, die gerade etwa in Berlin anfallen, einfach – genau – gar nicht.

Denn statt Gebäude kaufen Firmen wie Taliesin längst andere Firmen, die Gebäude besitzen. Zumindest teilweise. Der Kniff: Wenn sie von der Firma maximal 95 Prozent kaufen, ist keine Grunderwerbsteuer fällig, da sie ja kein vollständiges Gebäude gekauft haben. Die einzige Bedingung: Die restlichen, mindestens fünf Prozent muss eine Firma kaufen, die keine Verbindung zur ersten hat. Berlin entgehen dadurch laut einer Studie der Beratungsfirma Aengelvelt, die die „Immobilien Zeitung“ zitiert, circa 200 Millionen Euro Steuern pro Jahr; allein 2015 wurden hier Immobilien im Wert von vier Milliarden Euro als Share Deal gekauft. Tendenz steigend.

Bei der Umwandlung ihrer Immobilien in Firmen wählen Investoren natürlich das Gesellschaftsrecht des Landes, das die besten Konditionen bietet. Luxemburgische oder zypriotische Gesellschaften gehören zu den beliebtesten, auch weil Briefkastenfirmen dort erschwinglich sind. Und von denen kommen schließlich bei solchem Portfolio-Redesign schnell ein paar zusammen, was dann Geld in der Verwaltung kostet. Auch auf dieser Ebene werden Discounter bevorzugt.

Ein Drittel von Taliesins Portfolio ist im Besitz von neun Firmen in Luxemburg, die alle Phoenix heißen. Die 93 Prozent der Phoenix-Gruppe, die Taliesin 2012 für 22 Millionen Euro kaufte, stammten aus einem überbewerteten Kreditpaket der Bank Lehman Brothers. Die restlichen sieben Prozent wurden von einer Firma aus Jersey gekauft, die Sophia Holdings. Ersparnis mit dem damaligen Satz von fünf Prozent: 1,1 Millionen Euro. Mit dem heutigen Satz von sechs Prozent hätte Taliesin sogar 1,32 Millionen Euro gespart.

In Berlin wurden zuletzt viele größere Käufe als Share Deals getätigt: Das Ku’-Damm-Karrée gehört jetzt einer deutschen, einer luxemburgischen und einer panamaischen Firma; die ADO Properties S.A. kaufte im Sommer knapp 2000 Wohnungen für 218 Millionen Euro nach diesem Modell, wie der Tagesspiegel berichtete. Allein bei diesen zwei Käufen entgingen Berlin 22 Millionen Euro Grunderwerbsteuer.

Dass den Ländern so viel Geld vorenthalten bleibt, lässt sie nicht vollkommen kalt: Hessens Finanzminister Thomas Schäfer kündigte im Mai an, noch im Jahr 2016 eine Initiative für die Reform der Share-Deals-Regelung vorzulegen, sekundiert wurde er übrigens von seinem Berliner Kollegen Matthias Kollatz-Ahnen. Noch hat das allerdings zu nichts geführt – vielleicht auch, weil Steuern auf Firmentransaktionen vom Bund geregelt werden. Im Bundestag aber machten sich zuletzt nur die Grünen mit einem Antrag im Juni explizit stark gegen die Deals. Für die Bundesländer bleibt es vorerst einfacher, den Satz der lokalen Grunderwerbsteuer zu erhöhen. Zur Erinnerung: 2006, als Taliesin seine ersten Deals eintütete, lag die in Berlin noch bei 3,5 Prozent.

3. Im EU-Steuertunnel

Nun ließe sich an dieser Stelle nicht völlig zu Unrecht anmerken, dass das eingangs kurz skizzierte Firmengeflecht gar nicht vonnöten ist, um Share Deals zu tätigen. Dafür reicht letztlich eine Firma, die die restlichen fünf Prozent kauft.

Doch wenn Buchhalter Dirigenten sind, dann hat Taliesin echte Karajans des Kapitalismus verpflichtet – und die geben sich natürlich nicht damit zufrieden, dass das Orchester fehlerfrei spielt. Zum perfekten Ausdruck gehört, dass das Fortissimo an der richtigen Stelle kommt. Heißt für die Unternehmen: In Deutschland soll möglichst wenig Gewinn ausgewiesen werden, sonst werden Körperschafts- und Gewerbesteuer fällig.

Der virtuose Buchhalter verschiebt Gewinne in Gebiete, die Firmen nicht oder möglichst gering besteuern. Und da man auf der ganzen Welt Steuern nur auf Gewinne erhebt, schafft es der wahre Maestro zudem, in den Büchern die Geldbewegungen so darzustellen, dass am besten nicht einmal in den Steuerparadiesen überhaupt Gewinne entstehen.

Zur Sache: Die 52 Berliner Gebäude, die der Gruppe ganz oder zu großen Teilen gehören, sind in 13 Objektgesellschaften in Luxemburg und Deutschland zusammengefasst. Darüber gibt es weitere Etagen von Gesellschaften in Deutschland, Zypern, Jersey und Guernsey, die alle miteinander verbunden sind (siehe Grafik). Die Firmen leihen sich gegenseitig Geld, stellen sich Rechnungen und zahlen sich dafür Zinsen und Gebühren.

Eine Kapitalgesellschaft in Deutschland (Taliesin 1) ermöglicht die Verrechnung von Gewinnen aus einigen Gebäudefirmen mit den Verlusten von anderen. Die Zwischenholding in Zypern, Taliesin Holdings, ermöglicht die steuerfreie Übertragung von Zinseinkünften aus anderen EU-Ländern. Und besonders die steuerfreie Weiterleitung aus der EU nach Jersey. Bei der zentralen Gesellschaft in dieser Steueroase im Privatbesitz der britischen Krone, Taliesin Property Fund, gilt die dortige Einkommenssteuer von genau 0 Prozent.

Im Jahresabschluss der Muttergesellschaft in Jersey stehen Mieteinnahmen von rund zehn Millionen Euro. Davon fließen zwei Millionen in Instandhaltung und Verwaltung der Häuser, sowie vier Millionen Euro als Zinsen, hauptsächlich an deutsche Banken. Dazu kommen Gebühren für die firmeneigenen Investmentberater – 2,5 Millionen Euro – und weitere Verwaltungskosten von knapp einer Million Euro. Davon gehen circa 400.000 € an die Buchhalter, Verwalter und Direktoren aus Jersey.

In den Bilanzen und Steuererklärungen in Deutschland und Luxemburg sieht dasselbe ziemlich anders aus. Hier finden sich zunächst Mieteinnahmen von knapp elf Millionen Euro, ein Teil geht wahrscheinlich an die geheimnisvolle Treuhandgesellschaft Sophia Holdings (siehe Abschnitt 8). Dagegen stehen steuerlich erlaubte Abschreibungen für die Abnutzung der Häuser von circa drei Millionen Euro, Verwaltungsgebühren von knapp zwei Millionen Euro sowie verschiedene Zinszahlungen und Kredite zwischen den einzelnen Firmen. Unter dem Strich gibt es hier 2015 sogar einen kleinen Verlust.

Für Investoren und Berater berichtete die Muttergesellschaft in Jersey 2015 hingegen einen Gewinn von 53 Millionen Euro aus der theoretischen Wertsteigerung der Häuser und zahlte davon den Aktionären der ersten Stunde Dividenden von neun Millionen Euro und den Beratern aus England elf Millionen Euro Erfolgsprämie – zusätzlich zu den 2,5 Millionen Euro jährlichen Gebühren. Insgesamt leistete Taliesin 2015 Zahlungen von 22,5 Millionen Euro (mehr dazu in Abschnitt 4).

Für diese seltene Buchhalterkunst bedienen sich die Zauberer von Taliesin völlig legal der Gesetze und Regeln in den verschiedenen Ländern sowie einiger weitverbreiteter Tricks wie zum Beispiel der im Fachjargon sogenannten „Gewinnabsaugung über Gesellschafter-Fremdkapital“. Auf Deutsch: Die zentrale Firma in Jersey vergibt einen Kredit an ihre Subfirmen. Im Austausch erhält sie von diesen Zinsen und Tilgungszahlungen. Die deutschen Firmen können diese Zahlungen von ihrem Gewinn abziehen, bis zu maximal drei Millionen Euro. Erst dann greift die Zinsschranke, die seit 2008 diesen Missbrauch verhindern soll.

Diese Art der Steueroptimierung ist in der Wirtschaft gängig und wird von der OECD seit mehreren Jahren intensiv untersucht.

Markus Meinzer, Autor des Buches „Steueroase Deutschland“ und Mitarbeiter des Netzwerkes Steuergerechtigkeit plädiert für ein hartes Durchgreifen: „Es wird höchste Zeit, dass die Steuerbehörden gegen solche Konstrukte wegen Gestaltungsmissbrauch vor Gericht ziehen und Präzedenzurteile erwirken.“ Um Immobilienspekulation zu drosseln, schlägt Mainzer zudem ein öffentliches und zentrales Grundbuch für ganz Deutschland vor, „in dem alle Eigentümer namentlich genannt werden müssen, insofern sie nicht selbst in der Immobilie ihren dauerhaften Wohnsitz haben“. Ob allein dieses Mehr an Transparenz einen Player wie Taliesin, dem es an Transparenz kaum mangelt (siehe Abschnitt 6), ernsthaft beeindrucken würde, kann allerdings bezweifelt werden.

4. Fabelhafte Honorare für Manager

Bevor wir uns später noch einmal der Frage widmen, ob schon bald härter durchgegriffen wird, drängt nun aber noch eine andere Frage: Warum eigentlich Taliesin?

Nun, Taliesin war ein walisischer Barde im fünften Jahrhundert, der von Helden und Metamorphosen sang. Seine Lieder wurden schriftlich im Buch Taliesin festgehalten, damals eine Ausnahme in einer rein mündlichen Tradition. Auf die Bücher der Firmengruppe Taliesin wäre der Barde sicher stolz, denn sie beschreiben ebenfalls wundersame Wandlungen. Insbesondere in den Passagen zu den Entgelten der Verantwortlichen.

Neben der regulären Bezahlung der Taliesin-Gründer, circa 2,5 Millionen Euro in 2015, erhalten diese zusätzlich Prämien von 20 Prozent auf die Wertsteigerung der Häuser. Beispiel: Wurde 2006 ein Haus für 1000 Euro pro Quadratmeter gekauft und 2016 für 3500 Euro verkauft, hat der Investmentberater in der Zwischenzeit 500 Euro an Gebühren eingestrichen, ein Fünftel von 2500 Euro. Bei einer Wohnung von 100 Quadratmetern sind das immerhin 50.000 Euro. Aber es wird noch besser.

Die Prämien fließen lange, bevor die Gewinne überhaupt entstanden sind und egal zu welchen Preisen die Wohnungen zuletzt verkauft werden. Eine Verlustbeteiligung ist – wie in den guten Zeiten vor der Finanzkrise – nicht vorgesehen.

Wie aber kann man etwas verdienen, was noch nicht verkauft wurde? Das liegt vor allem an den Unterschieden zwischen der hiesigen und der angelsächsischen Buchhaltung. In Deutschland sinkt der Buchwert der Häuser jährlich, da man die theoretische Abnutzung abschreibt. In England steigt deren Buchwert: Jährlich bewertet ein externer Makler das Portfolio neu, auf jede festgehaltene Steigerung erhalten die Investmentmanager eine Provision. So stehen in den deutschen Büchern der Taliesin-Gruppe 90 Millionen Euro für die Gebäude, in den englischen 267. 2015 stieg der Wert der Taliesin-Gebäude dort um 53 Millionen Euro. Davon flossen elf Millionen Euro an die Gründer in London, in bar oder als Aktien.

Wie kann nun ein veränderter Buchwert, also eine Zahl auf einem Bildschirm, in reales Geld umgewandelt werden? Hier zeigt sich die spekulative Seite des Taliesin-Unterfangens: Die Gruppe hat insgesamt 135 Millionen Euro ausgeliehen, 90 Millionen Euro bei Banken und 45 Millionen Euro aus Anleihen. Damit kaufte sie die Immobilien und damit zahlte sie die Renovierungskosten. Da der Wert der Häuser kontinuierlich steigt und ein Wertverlust unwahrscheinlich ist, hat Taliesin keine Schwierigkeiten, frisches Geld zu finden. Banken stehen Schlange, alte Kredite lassen sich mit neuen, viel günstigeren tilgen. Finanzinvestoren kaufen bereitwillig die Anleihen, die Taliesin an der Londoner Börse anbietet. So wird aus einer veränderten Zahl auf Papier Bargeld auf einem Konto. Ganz wie in den ersten Versen des achten Kapitels des Buch Taliesin: „Ich hatte zahlreiche Gestalten, bevor ich eine feste annahm.“

An Land. Auf Jersey wird die virtuelle Wertsteigerung Berliner Häuser zu realem Geld.
An Land. Auf Jersey wird die virtuelle Wertsteigerung Berliner Häuser zu realem Geld.

© mauritius images

5. Ein Wasserkopf, der Kosten spart

Wer jetzt auch Lust auf Steuervermeidung hat, sei gewarnt: Steuern sparen ist nicht billig. Gebäude-Firmen in Berlin und Luxemburg, Holdings in Zypern und Jersey erzeugen einen hohen Verwaltungsaufwand und sind entsprechend teuer. Wie viel genau die Taliesin Gruppe dafür jährlich ausgibt, lässt sich nicht sagen, aber laut Jahresberichten sind es mindestens 400.000 Euro.

Davon fließen 221.000 Euro an die Briefkastenverwaltungsfirma JTC auf Jersey, 49.000 Euro an deren Direktoren, 125.000 Euro für die Verwaltung der Firmen in Luxemburg, und weitere nicht klar aufgeschlüsselte Kosten für die Briefkastenverwaltungsfirma Montrago auf Zypern. Dazu kommen noch die Kosten des Geschäftsführers der deutschen GmbHs, der in Gibraltar wohnt, sowie die der Steuerberater und Notare in den verschiedenen Ländern. Der europaweite Papierwirbel muss amtlich korrekt festgehalten werden.

Die Ausgabe von 400.000 Euro bleibt aber viel günstiger als die Steuern, die in Berlin fällig wären. Wie hoch die im Detail wären, darüber erlauben die verfügbaren Unterlagen zwar keine genauen Aussagen. Aber wie schon erwähnt zahlen Taliesin und der Büchertisch ähnlich viele Steuern. Nur hat eine Firma Mieteinnahmen in zweistelliger Millionenhöhe, die anderen einen Umsatz unter einer Million.

Das ändert freilich nichts daran, dass der bei Taliesin betriebene Verwaltungsaufwand manchmal selbst für das Ziel Steuervermeidung absurd hoch wirkt. So bekleidet etwa der „Managing-Director“ der auf Jersey ansässigen JTC-Finanzgruppe (weitere Büros auf den Virgin- und den Cayman-Islands, in Luxemburg, auf Mauritius und so fort), gleichzeitig Direktor der zentralen Firma der Taliesin-Gruppe, neben seinen zahlreichen Funktionen im Taliesin-Firmengeflecht zusätzlich 146 Geschäftsführerposten von weiteren Firmen. Bei einer 60-Stunden-Woche hat er so 25 Minuten Zeit pro Firma und Woche. In seiner Biografie findet man weitere 850 Briefkastenfirmen, denen er im Laufe seiner Karriere schon vorgestanden hat. Es scheint sich also zu lohnen.

6. „We are going to make our portfolio sweat“

Ist das aber nun alles ein klandestines Insidergeschäft – von einigen wenigen Leuten, die in einer Gesetzeslücke Dinge tun, die aus Berliner Perspektive anrüchig wirken? Aber mitnichten! Investoren wollen ordentlich Geld verdienen, einige das maximal mögliche – und Taliesins Offenheit bei der Beantwortung der Frage, welcher Kategorie die Gruppe angehört, verdient auf eine Art Respekt. „We are going to make our portfolio sweat“ – das Zitat aus dem jüngsten Jahresbericht drückt es am besten aus: Wir werden unsere Immobilien zum Schwitzen bringen.

Liest man Taliesins Berichte, Anleihe-Prospekte und Interviews, sieht man Berlin aus einer ganz anderen Perspektive. Was Städteplaner mit Sorge erfüllt, sieht Taliesin als eine einmalige Bündelung von Chancen. Im Jahresbericht 2015 erinnert der Geschäftsführer an den Grund, sich in Berlins Immobilienmarkt zu wagen: die Annahme, die Nachfrage würde das Angebot weit übersteigen und für hohe Preise sorgen. Im Wortlaut: „(… ) improving demographics leading to a shortage of supply and ultimately higher prices. It is particularly pleasing so see this view become reality.“ Der Wohnungsmangel ist nicht nur akut, sondern auch stabil, das führt Taliesin seinen Anlegern genussvoll vor Augen. Eine Grafik vergleicht die Baudefizite der deutschen Großstädte, nach Taliesins Kriterien ist Berlin endlich mal an erster Stelle.

Noch weitere Faktoren machen Berlin aus Taliesins Sicht für Anleger attraktiv: die niedrige Eigentumsquote, die im europäischen Vergleich immer noch sehr günstigen Preise, die derzeit außergewöhnlich niedrigen Kreditzinsen, die hohen Ersparnisse der Deutschen, das gestiegene Immobilieninteresse von Staats- und Pensionsfonds weltweit. Alles Faktoren, die den Kauf von Eigentumswohnungen als Kapitalanlage begünstigen. Für Taliesins Plan, langfristig alle Wohnungen des Portfolios zu verkaufen, steht alles auf Grün.

Bis es so weit ist, verfährt Taliesin mit dem Bestand wie ein typischer Berliner Neueigner: Wertsteigerung der Gebäude und Verdrängung alter Mieter wird durch Renovierung, energetische Sanierung und Verbesserung des Wohnstandards erreicht. Baumaßnahmen haben nicht immer die nötigen Genehmigungen, oder sie werden großzügig interpretiert, wenn sie vorliegen. Fakten lassen sich oft schneller schaffen, als Mieter oder Behörden reagieren können. Auch in Milieuschutzgebieten. Etwa mit den Heizungen, die Taliesin in der Eisenbahnstraße in Kreuzberg und der Karl-Marx-Straße in Neukölln 2013 und 2014 mutmaßlich ohne die nötigen Genehmigungen einbauen ließ – die Klage eines Mieters diesbezüglich wird Mitte November verhandelt.

Die Baufirmen, die Taliesin nutzt, machen in den Gebäuden alles, von Sanitär bis Heizungen, sind aber nur für Trockenbau zugelassen. Wobei, Firmen – der Plural ist dort, wo entstehenden Ansprüchen gern mal mit Konkurs geantwortet wird, trügerisch: In den letzten Jahren wurden circa fünf verschiedene Firmen beauftragt, hinter welchen immer dieselben Personen standen. Mieter berichten von rauen Umgangsformen. Ein Taliesin-Mieter hat sich die Mühe gemacht, das Verschwinden und Wiederauftauchen der Baufirmen zu verfolgen, die immer dasselbe Führungspersonal, meist dieselbe Adresse und oft ähnliche Namen haben.

Was derweil etwas überrascht: Der durchschnittliche Mietpreis der Taliesin-Gebäude pro Quadratmeter ist mit 7,42 Euro immer noch eher bescheiden. Das Wachstum war 2015 auch bescheiden: 4,8 Prozent Zuwachs statt der berlinweiten 5,1 Prozent. Ihrem erklärten Ziel, Mieteinkommen zu maximieren, scheint die Gruppe nur relativ gut nachzukommen. Dafür ist die Wertsteigerung der Gebäude, wie oben bereits beschrieben, beeindruckend. Wenn dann verkauft wird, wird konsequenterweise auch noch am Makler gespart: Für die Vermarktung der Wohnungen in der Warschauer Straße gründete man eine eigene Firma, die Raumerei. Von den Ersparnissen wird im Jahresbericht geschwärmt: „This led to considerable cost savings on agents’ fees compared with using a third party agent.“ Makler verlangen in Deutschland üblicherweise sieben bis zehn Prozent des Verkaufspreises, was im Jahresbericht 2015 als unverständlich hoch bemängelt wird. Für Gebühren anderer zeigt man da nämlich kein Verständnis.

7. Kiez goes Kapitalmarkt

Ohne Finanzmärkte wäre das Unterfangen Taliesin nicht finanzierbar. Denn 42 Prozent des geliehenen Geldes beschaffte sich Taliesin an der Börse, insgesamt 66 Millionen Euro. Erwirbt man an der Londoner Börse Aktien von der Taliesin Property Fund Ltd., kauft man über viele Ecken Teile von Berliner Gebäuden. Bei über vier Millionen Aktien verschwimmt natürlich der direkte Bezug. Wie guckt man sich 11,25 Prozent von 1740 Wohneinheiten an? Gehören dem Aktionär jetzt alle ersten Stockwerke? Und nur die Hälfte der ersten Stöcke? Oder alle Dachböden? Oder eher die Mehrheit aller Wohnzimmer?

Wahrscheinlich, dass es den meisten der Aktionäre wurstegal sein dürfte. Von groß nach klein sind das zunächst einmal die Taliesin Management aus London selbst, die 12,75 Prozent hält. Gleich danach kommt die Rytu Invest AB mit zehn Prozent, eine Firma aus Stockholm mit zwei Mitarbeitern. Es folgt aus Australien die Rose Capital PTY Limited as Trustee of Albury Investment Trust, übrigens auch in den Panama-Papieren erwähnt, die 8,26 Prozent hält. Mit 5,76 Prozent hält die JJ Investment Management Limited offiziell etwas weniger, aber das Firmenregister des Vereinigten Königreiches zeigt hier eine 2012 aufgelöste Firma, Taliesin führt sie trotzdem weiter als Aktionärin.

Die Talisman Strategic Fund Limited, auf den Jungferninseln ansässig, hält 5,15 Prozent der Aktien. Die Lombard International Assurances S.A. 5,13 Prozent. Laut Homepage berät die „ultra high-net worth individuals“ bei der Vermögensbildung, der CEO heißt mit Nachnamen Marx. Das Schlusslicht bildet die Traverse Capital Inc. aus Toronto, mit 4,04 Prozent. Auf ihrer Homepage steht, dass sie gerne soziale Organisationen aus dem Bildungsbereich finanziell unterstützt. Was dem Büchertisch gerade geschieht, dürfte Kanada nicht erreicht haben.

8. Ein echter Share Deal? Das Jersey-Geheimnis

Ist mit Taliesin alles geklärt? Nun, fast. Da ist ja noch die Sache mit den Share Deals.

Ob das von Taliesin für Phoenix gewählte Modell nach aktueller Rechtslage als Share Deal durchgehen würde, ist unklar. Die Anteile der luxemburgischen Gruppe sind auf zwei Firmen aufgeteilt: Einmal die Taliesin Berlin III GmbH, mit Sitz in Berlin, der 92,4 Prozent der Anteile gehören. Und die Sophia Holdings Ltd. auf Jersey. Sie besitzt die restlichen 7,6 Prozent.

Bei einem Share Deal ist es wesentlich, dass die zwei Firmen unabhängig voneinander sind. In den Worten des Gesetzes darf keine „faktische Verfügbarkeit“ bestehen, das bedeutet, eine Firma darf nicht über die andere bestimmen können. Ob dies aber tatsächlich immer so gehandhabt wird, da äußert auch Berlins Finanzsenator Mathias Kollatz-Ahnen im Gespräch mit dem Tagesspiegel Ende September deutliche Zweifel: „Viele Investoren haben da Spielchen betrieben.“

Wie aber sieht das Spielchen bei Taliesin aus? Ist die Sophia Holdings unabhängig? Das lässt sich nicht eindeutig sagen. Denn Sophia ist ein Trust, eine Treuhandgesellschaft. Ihr Besitz ist eigentlich nicht ihr Besitz, sondern sie verwaltet ihn für eine begrenzte Zeit für einen Begünstigten. Dieser Beneficiary, so die englische Bezeichnung, kann nach Jersey-Recht geheim bleiben, der Verwalter darf ihn nicht preisgeben. Wäre ein Begünstigter erfunden, es würde nichts ändern.

Diese für Missbrauch sehr anfällige Gesellschaftsform hat eigentlich einen schönen Zweck: Vermögen über einen längeren Zeitraum sicher vererben. Nehmen wir den Fall eines Großvaters. Damit der Enkel erst im reifen Alter von 30 Jahren sein Erbe erhält und es vorher nicht verjuxen kann, wird es einem Trust übertragen.

Bei der Sophia Holdings sind aber Zweifel erlaubt. Denn zunächst einmal wurde sie von einem der Direktoren von Taliesin gegründet und wird weiterhin von ihm verwaltet. Zweitens hieß sie zuerst Taliesin Jersey Limited, bevor der Name zu Sophia Holdings geändert wurde. Drittens wird im Taliesin-Jahresbericht 2007 die Möglichkeit einer Zweckgesellschaft zur Umgehung der Grunderwerbsteuer erwähnt. Viertens gehören der Sophia Holdings 6 Prozent der Taliesin Limited auf Jersey (siehe Grafik), was zumindest einen etwas dumpfen Nachgeschmack hinterlässt.

In seltenen Fällen haben die Behörden auf Jersey die Preisgabe der Identität der Begünstigten forciert. Dafür ist erst mal eine Anfrage einer Finanzbehörde notwendig. Aber laut dem englischen Steuerspezialisten George Turner ist das in den letzen Jahrzehnten nur dreimal passiert. Kollatz-Ahnen meint zu dem Fall Taliesin vorsichtig: „Generell gibt es in Deutschland die Pflicht, die wahren Eigentumsverhältnisse für die Besteuerung offenzulegen. Sich hinter einer eigens dafür gegründeten Treuhand zu verstecken, ist also nicht legal.“ Jedoch sei das Grunderwerbsteuergesetz bereits im Juni 2013 (Anmerkung: also ein paar Monate nach dem letzten Immobilienkauf der Taliesin) so geändert worden, dass versteckter, mehrschichtiger Besitz nicht mehr erlaubt sei.

Weiteren Gesetzesverschärfungen, etwa der von Hessen angeregten Erhöhung der Mindestanteile an einem Share Deal auf 25 Prozent, stimmt Kollatz-Ahnen ausdrücklich zu: „Mit den Spielchen wollen wir jetzt Schluss machen.“ Auch sei Berlin bemüht, die Steuerbehörden für komplexe Fälle zu stärken. „Wir greifen dafür auch auf anonyme Hinweise und Leaks zurück.“

Ansonsten weckt das, was Berlins politisch Verantwortlicher zu sagen hat, wenig Hoffnungen: „Das Steuerrecht bewegt sich millimeterweise – und hängt vom politischen Willen auf Bundesebene und der internationalen Kooperationsbereitschaft ab.“ Da das Recht davon nicht nur ab-, sondern eine Änderung dort auch festhängt, können Nachahmer der Taliesin-Methode Berlin weiter unter sich aufteilen – so sie denn heute noch Häuser finden, die gute Renditen versprechen.

Die Taliesin-Gruppe wird das alles nicht mehr tangieren. Sie wird vielleicht noch ein wenig auf das ultimative Preis-Hoch warten, zwischendurch den Bestand weiter sanieren und wenig lukrative Mietverhältnisse wie das mit dem Büchertisch, der übrigens bereits dabei ist, sein Lager zu räumen, durch für sie reizvollere ersetzen. Dann wird sie Besitz häppchenweise in Geld verwandeln.

Berlin mag sich derweil daran erinnern, dass der Barde Taliesin lange vor den Geldmachern die Band Deep Purple inspirierte: zum Album „The Book of Taliesyn“ von 1968. Im Refrain des ersten Liedes heißt es: „So listen, so learn, so read on, you gotta turn the page, read the Book of Taliesyn.“

Zu hoffen bleibt in diesem Sinn, dass die Finanzbehörden die Bücher der Investoren in Zukunft etwas genauer und etwas kritischer lesen.

Der Berliner Büchertisch hat inzwischen eine neue Bleibe gefunden. Dieser Text erschien zunächst am 8. Oktober 2016 in der gedruckten Tagesspiegel-Beilage Mehr Berlin.

Adrian Garcia-Landa, Christoph Trautvetter

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