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Papier ist geduldig. Den Zettel klebte unser Autor am Rosenthaler Platz auf, inklusive Telefonnummer. Die fehlenden Streifen unten hat er vorher selbst abgerissen, das sollte bei Fremden die Hemmschwelle senken, zuzugreifen. Brachte aber nichts. Erfolgreicher sind die Erfinder von Kennenlern-Treffs wie „Jumpingdinner“ oder „Frühstückstreff“.

© Doris Spiekermann-Klaas

Einsam in Berlin: Auf der Suche nach einem Freund

Im Internet ist es so einfach, Freunde zu finden. Auf "Facebook" kostet es bloß einen Klick. Im realen Leben ist das weit komplizierter. Vor allem in Berlin.

Man könnte einen Zettel aufhängen. Zum Beispiel am Rosenthaler Platz, wo die Torstraße auf die Brunnenstraße trifft. „Suche: einen Freund“ würde draufstehen, darunter „Bitte melden“ und noch etwas kleiner, neben der eigenen Telefonnummer, das Anforderungsprofil: „Du solltest angenehm, zuverlässig und echt sein.“ Man könnte diesen Zettel an einen Ampelmast kleben und dann beobachten, wie die Leute stehen bleiben, ungläubig gucken, sich amüsieren. Manche zeigen mit dem Finger drauf. Eine Frau kramt ihre Handykamera aus der Tasche und macht ein Foto. Vielleicht wird sie den Schnappschuss später an Bekannte verschicken oder twittern. Nur anrufen wird sie nicht.

Da ist Claudia. Seit zwei Jahren studiert sie an der Humboldt-Uni, abends telefoniert sie mit ihren Freunden. Die wohnen überall, sagt sie, nur nicht in dieser Stadt. Da ist Miguel. Wegen seiner Freundin zog er nach Berlin, sie machte Schluss, seitdem hat er ein Problem. Auf „Myspace“ zählt er 147 Menschen zu seinen Freunden, in Berlin bisher zwei, und einer davon ist sein WG-Mitbewohner. Da ist Johannes. Er mag Partys und Vernissagen, er feiert fast jedes Wochenende, vor Bekannten kann er sich nicht retten, sagt er. Bloß: Wer von denen würde ihm beistehen, wenn er mal in ernste Schwierigkeiten geriete? Sie würden alle ohne ihn weiterfeiern, sagt er. Tippt man bei Google „Einsam“ ein, schlägt das Programm als Ergänzung automatisch „in Berlin“ vor.

Hans-Joachim Eberhard ist Psychologe. Er hat sich intensiv mit einer Disziplin beschäftigt, von der viele gar nicht wissen, dass sie existiert: der Freundschaftsforschung. Insgesamt verhalte es sich mit Freundschaften im echten Leben folgendermaßen, sagt Eberhard: Sie würden erstens immer wichtiger und seien zweitens immer schwieriger zu finden. Das liege an der flexibilisierten, globalisierten und schnelllebigen Gesellschaft, in der Beschäftigungsverhältnisse oft von genauso kurzer Dauer seien wie Beziehungen. In der Ortswechsel üblicher seien als früher. In der immer mehr Paare Fernbeziehungen führten und in der man sich gerade in Großstädten oft in verschiedenen Lebenswelten gleichzeitig bewege. „Verständlich, dass man sich da nach einer Konstante sehnt“, sagt Eberhard – nach einer Person, mit der man „gemeinsam den Überblick behält“.

Wer einsam ist, kann sich einen Freund mieten. Das kostet 15 Euro die Stunde

Mit einem Kollegen hat der Psychologe Berliner zwischen 20 und 40 zu ihren Freundschaften befragt. Und herausgefunden, dass zwischen den Geschlechtern sehr unterschiedliche Vorstellungen davon bestehen, was eine freundschaftliche Verbindung leisten soll. Frauen suchen einen Vertrauten, mit dem sie sich austauschen und beraten können. „Realitätsvergewisserung“ nennt Eberhard das. Männern geht es eher um gemeinsame Unternehmungen. In die Kneipe gehen. Ins Kino. Fußball gucken.

Hartmut Willms möchte beide Bedürfnisse abdecken. Er will schließlich ein guter Freund sein, für 15 Euro die Stunde. Der Berliner bietet sich beim Unternehmen „Rent a friend“ als Begleitperson für alle Menschen an, die gerne etwas unternehmen möchten, aber bitte bloß nicht alleine. Ein Anruf genügt, und Hartmut Willms, 53, im Hauptberuf Raumgestalter, ist zur Stelle, begleitet in den Biergarten wie in die Oper. Ein Bekannter habe ihn auf die Idee gebracht, sagt er. Weil es heute eben viel Isolation gebe, und weil gerade Zugezogene jemanden bräuchten, der bei ihnen ist. Aber auch langjährige Bewohner der Stadt hätten es schwer. „In Berlin zählt doch der Augenblick, der Moment“, sagt Willms, das stehe kontinuierlichen Freundschaften im Weg.

Noch wartet Hartmut Willms auf seinen ersten richtigen Kunden. Einmal habe ihn eine Frau kontaktiert, sie wollte wissen, wie so ein gemeinsamer Abend abläuft. Gebucht hat sie nicht, Willms glaubt, dass sie selbst einen Miet-Freundschafts-Service anbieten will.

Hans-Joachim Eberhard, der Freundschaftsforscher, rät Zugezogenen den klassischen Weg: in Vereinen anmelden, gerne auch in Fitness-Studios, aber solchen mit Kursangebot, für den persönlichen Kontakt. Und dann regelmäßig diesen einen Ort aufsuchen. Das funktioniere auch in Berlin.

Manche versuchen, sich kochend kennenzulernen. „Jumpingdinner“ heißt die Veranstaltung, der Berliner Philipp Peterich hat sie erst in der Hauptstadt und inzwischen auch in acht anderen Großstädten etabliert. Jeweils zu zweit wird ein Gericht zubereitet, fremde Gäste kommen zum Essen in die Wohnung, anschließend zieht die Gruppe zum nächsten Gastgeber mit der nächsten Speise um. Diverse Freundschaften seien so entstanden, sagt Philipp Peterich. Man brauche nicht mal Kochkenntnisse, denn darum gehe es ja eigentlich nicht. „Manche tischen hier wirklich Fertigpizzen auf, und ein bisschen Garnitur dazu.“ Telefonnummern werden hinterher trotzdem ausgetauscht.

Aus der Sehnsucht nach real existierenden Freundschaften ist inzwischen eine europaweite Bewegung entstanden. Sie nennt sich „Frühstückstreff“ und will genau das: Menschen zwanglos die Gelegenheit bieten, sich Sonntagvormittag zum gemeinsamen Frühstücken zu treffen. Hier soll die Studentin die Rechtsanwältin oder den Hausmann kennen lernen. Die nächste Berliner Runde findet heute im Restaurant Eosander am Spandauer Damm statt. Einfach hingehen und mitessen, sagt der Organisator. Das beste Einstiegsthema: Fragen, wie das nun genau funktioniert mit dem Frühstückstreff. Bis man damit durch ist, sind die ersten zwei Croissants schon gegessen.

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