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© Peters

Deutschlandhalle: Menschen, Tiere, Emotionen

Die Deutschlandhalle ist Geschichte. Aber die Erinnerung an Konzerte, Shows und Radrennen bleibt. Kein Wunder: Denn Weltstars von ABBA bis Take That traten hier auf. Und Elefanten aus dem Zirkus. Willy Brandt startete damals zudem in das Zeitalter des Farb-TVs.

Sogar Jesus Christus war mal in der Deutschlandhalle. Nicht persönlich, nein, aber in seiner Reinkarnation als Klaus Kinski. Der von Wahnsinn umflorte Auftritt des Schauspielers mit seinem Programm „Jesus Christus Erlöser“ im November 1971, dieser Tage erstmals im Kino zu sehen, hat die Aufmerksamkeit noch einmal auf den Ort dieses legendenumwobenen Happenings gelenkt. Die Deutschlandhalle, ein kapitales Stück Berlin, Ort sensationsumwitterter Großveranstaltungen, größte Konzerthalle der Stadt, im Krieg zerstört, wieder eröffnet, wieder geschlossen, wieder eröffnet, zuletzt nur noch Heimat versprengter Eishockeyamateure und fast vergessen, steht vor dem endgültigen Ende, 73 Jahre nach der Eröffnung.

Der Senat hat sich nun endgültig zur Opferung der Halle entschlossen, die niemand mehr braucht, und die nach der bevorstehenden Eröffnung der etwa gleich großen O2-Arena erst recht keine Zukunft mehr hat. Ein Wahrzeichen verschwindet, und zwar eins, das trotz seiner klotzig-massiven Anmutung von architektonischem Rang ist, vor allem wegen der gewagten Dachtragwerkskonstruktion, erst aus Stahl, später aus Spannbeton: 117 Meter lang, 83 Meter breit, darunter Sitzplätze für 10 000 Zuschauer.

Gebaut wurde sie nach den Plänen von Franz Ohrtmann und Fritz Wiemer vor den Olympischen Sommerspielen 1936, in nur neun Monaten. Sie ist eine der ältesten Veranstaltungsarenen dieser Größe weltweit: Unter Ausnutzung aller Möglichkeiten passten bis zu 16 000 Menschen hinein, und so viele kamen auch unzählige Male, nicht nur zu den Massenveranstaltungen der Nazis. Mit einer Grundsatzrede Hitlers am 29. November 1935 begann die Hallengeschichte; fortgesetzt wurde sie am 7. Dezember sportlich mit einem 100-Kilometer-Mannschaftsradrennen auf der 208 Meter langen Holzpiste. Sport allein würde den Erfolg nicht garantieren, das war klar, und so fand bereits im Olympiajahr eine Ausstattungsrevue „100 000 PS“ mit über tausend Mitwirkenden statt.

„Menschen, Tiere, Sensationen“ hieß der Schlüssel zum dauernden Erfolg, eine nach amerikanischem Vorbild konzipierte Zirkusshow, die von 1937 an Artisten und Dompteure der Weltspitzenklasse nach Berlin brachte. 1938 führte die Pilotin Hanna Reitsch während der Revue „Kisuaheli“ den ersten Hallenflug mit einem Hubschrauber vor; 1940 starb die Hochseilartistin Camille Mayer, als ein Mast brach. Am 16.Januar 1943 kam das erste Ende: Während einer ausgebuchten Show von „Menschen, Tiere, Sensationen“ setzte ein Luftangriff das Dach in Brand. Weder Menschen noch Tiere starben – ein Wunder, wie viele Besucher meinten, die hinterher auf der Flucht auch noch von Tieffliegern beschossen wurden. Doch von der Halle selbst blieb nur noch eine Art offenes Amphitheater übrig, das die nächsten 13 Jahre brachlag, eine von vielen klaffenden Kriegswunden der Stadt.

Der Magistrat von Groß-Berlin beschloss den Wiederaufbau bereits 1949, setzte aber voraus, dass dies mit privatem Kapital geschehen sollte. Doch dieses Geld fehlte, und so dauerte es noch fast acht Jahre bis zur Wiedereröffnung. Der Senat schaffte es schließlich, Banken, Industrie und vermögende Privatleute zur Gründung einer Aktiengesellschaft zu bewegen, die die elf Millionen Mark für den Bau aufbrachte. Das Konzept blieb, und auch Gründungsdirektor Ferry Ohrtmann war wieder dabei: Er nahm seine Halle am 19.Oktober 1957 zum zweiten Mal in Betrieb. „Menschen, Tiere, Sensationen“ blieb das Aushängeschild, hinzu kamen Großshows wie „Holiday on Ice“ , das Reit- und Springturnier und das „British Tattoo“. 1967 drückte Willy Brandt hier auf den Startknopf fürs Farbfernsehen, es gastierten Bolschoi-Ballett und Deutsches Eistheater. Die Stones spielten, The Who, Queen, Jimi Hendrix.

Nach dem Tode Ohrtmanns übernahm Heinz Warneke die Führung, ein begnadeter Populist, der das Hallenfußballturnier ins Programm nahm und die Kinder- und Senioren-Superpartys erfand. Das erfolgreiche Tattoo wurde bis in die Nachwendezeit fortgesetzt, beim letzten Mal 1992 saß sogar die Queen in der Halle. Nach dem Umbau 1973 demonstrierte Herbert von Karajan mit den Philharmonikern die verbesserte Akustik, die Arona di Verona gab umjubelte Gastspiele. Immer wieder machte die Decke Sorgen. 1980 wurde die Halle unter dem Eindruck des Einsturzes der Kongresshalle erstmals vorsorglich gesperrt, dann wieder eröffnet, saniert. Doch der Betrieb ging weiter, es wurde repariert und saniert und modernisiert. 1997 endete die Hallengeschichte wieder einmal, das bröselnde Monster schien sich zumal angesichts vieler neuer Veranstaltungsorte im Osten Berlins überlebt zu haben. Doch erneut hob neues Hin und Her an, mit Sanierung und Umbau und allerhand Gutachten, die Halle wurde 2001 eröffnet, 2005 geschlossen, 2006 wieder eröffnet – und dient gegenwärtig nur noch als Kulisse für den kleinen Fankreis des ECC Preußen Juniors.

Aber ist das nun wirklich das Ende? Die Propheten haben sich meist vertan, wenn es um die Deutschlandhalle ging, beispielsweise Bayern-Manager Uli Hoeneß, der 1998 beim ersten Hallenfußballturnier in der Schmeling-Halle mit Sprechchören „Wir wollen alle – die Deutschlandhalle!“ empfangen wurde. Er mutmaßte damals genervt: „In drei, vier Jahren redet in Berlin sicher kein Mensch mehr von der Deutschlandhalle“. Drei Jahre später redete niemand mehr vom Hallenfußball – aber die Deutschlandhalle wurde wieder einmal wiedereröffnet. Ihr Schicksal wird wohl erst besiegelt sein, wenn die Abrissbagger wirklich vor der Tür stehen.

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