zum Hauptinhalt
Aus der Traum. Aus wirtschaftlichen Gründen muss „Die Kurbel“ an der Giesebrechtstraße in Charlottenburg schließen.

©  Mike Wolff

Die Kurbel muss schließen: Wieder verschwindet ein Kino im alten Westen

Die Kurbel an der Giesebrechtstraße in Charlottenburg muss schließen – nach mehr als 75 Jahren. Das Epos "Vom Winde verweht" lief dort 28 Monate lang. Schon hat sich auf Facebook eine Kiezgruppe zur Rettung des Kinos gebildet

Anfang Oktober 1957 schien der Untergang Charlottenburgs nah: Die FDJ, die Jugendorganisation der DDR, wollte den 40. Jahrestag der Oktoberrevolution feierlich begehen und hatte dafür, samt Vorführung des sowjetischen Films „Peter der Große“, ausgerechnet das Kino „Die Kurbel“ an der Giesebrechtstraße 4/Ecke Sybelstraße gemietet.

Dagegen einzuschreiten war schwierig, „da Versammlungen in geschlossenen Räumen nicht meldepflichtig sind und die FDJ, wie die SED, von den Alliierten zugelassen ist“, wie der Tagesspiegel besorgt schrieb. Die Polizei fand dennoch eine Möglichkeit: Es sei zu befürchten, dass es zu Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit komme. Aus für die FDJ-Feier.

Eine im Gedächtnis der Stadt kaum mehr präsente Geschichte, wie auch der Schauplatz der verhinderten Feier bald schon in Vergessenheit geraten dürfte: Am 21. Dezember schließt das traditionsreiche Haus, und der Kurfürstendamm und seine Umgebung, einst zentrale Kinomeile West-Berlins, ist ein weiteres Filmtheater los. Erst vor einigen Monaten hatte das Broadway an der Tauentzienstraße dichtgemacht.

„Wirtschaftliche Gründe“ hätten zu der Entscheidung geführt, lässt Kurbel-Leiter Tom Zielinski wissen. Das Haus soll saniert werden, aus diesem Anlass schließt der Eigentümer die von ihm seit 2005 in Eigenregie betriebene Kurbel und baut das Eckgebäude in diesem Bereich um.

Das will das Publikum nicht widerspruchslos hinnehmen: Schon hat sich auf Facebook eine Kiezgruppe zur Rettung der Kurbel gebildet und will auf den Eigentümer einwirken, damit ein Kompromiss gefunden und das Kino erhalten werden kann. 600 Unterstützer hat die Seite schon, darunter Schauspieler und Stammgast Sven Martinek: „Da war ich soooooo oft und habe es geliebt, als eines der Kinos, wie es sie kaum noch gibt.“

Bedroht. 1973 wäre das Haus fast ein Opfer des Kinosterbens geworden.
Bedroht. 1973 wäre das Haus fast ein Opfer des Kinosterbens geworden.

© Ullstein

Der geplante Umbau bedeutet eine Rückkehr zu den Anfängen, wenn man so will, denn das Kino ist jünger als das ursprüngliche Wohn- und Geschäftsgebäude. Erst 1934/35 formte der Architekt Karl Schienemann einen dortigen Eckladen zum Kino um. Besonders vom Inhaber der nahen Minerva-Lichtspiele in der Wilmersdorfer Straße soll es massive Anfeindungen gegen den jüdischen Betreiber gegeben haben.

1937 übernahm Walter Jonigkeit, später eine Legende des Programmkinos und im Dezember 2009 gestorben, die Kurbel. Auch im Krieg blieb sie geöffnet, erst gegen dessen Ende hat man das Kino als Munitionslager zweckentfremdet. Aber bereits am 27. Mai 1946 wurde mit dem russischen Film „Um sechs Uhr abends nach Kriegsende“ wieder geöffnet. Bis 1973 blieb Jonigkeit, der seit 1949 auch das Delphi in der Kantstraße betrieb, Chef der Kurbel, ließ dort von 1954 bis 1956, insgesamt 28 Monate lang, „Vom Winde verweht“ laufen, lockte damit Besucher aus ganz Berlin, sogar der DDR an, 600 000 insgesamt. Das FDJ-Skandälchen überstand er unbeschadet, durfte sogar 1958 und 1959 wieder die Waldbühne bespielen, obwohl Charlottenburgs CDU-Bürgermeister gedroht hatte, der Mietvertrag werde keinesfalls erneuert. Erst im Kinosterben der 70er Jahre gab Jonigkeit die Kurbel auf, in der dann kurzzeitig Sexfilme liefen.

Es folgten wechselnde Ausrichtungen mit jeweils neuen Betreibern: als Off- Kino mit Werken des Neuen Deutschen Films, dann als Programmkino, dessen guter Ruf den dort gezeigten Filmen zugute kam: Jean-Jacques Beneix’ „Diva“ beispielsweise wurde 1983 erst in einem der großen Kinos am Zoo gezeigt und nach mäßigen Einspielergebnissen bald abgesetzt. Als der Thriller in der Kurbel lief, strömten in den ersten sechs Wochen 32 000 Zuschauer in die Giesebrechtstraße.

Mitte der neunziger Jahre wurde es sogar OV-Kino mit englischsprachigen Filmen, damals in Regie der Ufa Filmtheater AG. Sie war 1990 eingestiegen und hatte den Hauptsaal mit 428 Plätzen um zwei kleinere ergänzt. Die Insolvenz der Kinokette bedeutete Mitte 2003 auch für die Kurbel das Aus, doch schon im Jahr 2004 machte ein neuer Betreiber mit neuem Konzept auf: nicht ganz taufrische Filme für 2,99 Euro pro Ticket. Noch im selben Jahr war wieder Schluss. Der Hauseigentümer selbst organisierte nun das Kino. Der letzte Akt begann.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false