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Public Viewing in einer Berliner Pizzeria.

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Public Viewing: Fanmeilen an jeder Ecke

Public Viewing findet nicht nur auf der Fanmeile statt. Viele Berliner bevölkern lieber die Lokale und Biergärten, ganze Straßenzüge verwandeln sich in alternative Feiermeilen. Das freut die Wirte auch heute zum Halbfinale.

Von Maris Hubschmid

Die Fanmeile? „Ist doch was für Touristen“, sagt Jörn Mühlheim. „Für Provinzler, die sich ewig nach Menschenmengen sehnen.“ Der 42-jährige Architekt kniet vor einem improvisierten Sockel aus Bierkisten und prüft rüttelnd dessen Stabilität. „Sollte halten. Hier kommt nachher der Fernseher drauf“.

Mühlheims Freund ist Kneipenwirt in der Oranienstraße in Kreuzberg. Weil er heute alle Hände voll zu tun hat, hilft Mühlheim ihm, die Technik für die Spielübertragung aufzubauen. Echte Berliner, da ist sich der 42-Jährige sicher, genießen die Fußball-Weltmeisterschaft abseits der großen Public-Viewings. „Hier in Kreuzberg zum Beispiel! Hier ist mächtig was los.“

Wenn an diesem Mittwoch das Halbfinale gegen Spanien angepfiffen wird, wird mancher Wirt sich wieder ärgern, dass er nicht mehr Bürgersteigfläche zur Verfügung hat. „Wir bestuhlen schon so dicht es geht“, sagt der Inhaber eines türkischen Lokales in der Adalbertstraße. „Und dennoch finden viele keinen Platz.“ Meist seien bereits eine Dreiviertelstunde vor Spielbeginn alle Tische besetzt. Nicht nur bei ihnen , sondern überall im Kiez.

Menschen, die sich zu zehnt auf eine Biergartenbank quetschen, Menschen, die in dritter Reihe vor einem 15-Zoll-Monitor stehen. Bilder, die sich einem dieser Tage nicht nur in Kreuzberg bieten: Die meisten Berliner Bezirke haben längst ihre eigenen Fanmeilen hervorgebracht. „Dort, wo ohnehin viel los ist, ist zur WM-Zeit erst recht was los“, sagt die 15-jährige Maike aus Prenzlauer Berg. In der Kastanienallee sei es kein Problem, wenn man keinen Platz mehr bekäme. „Da gibt es so viele Bildschirme, selbst wer die Straße entlangschlendert, kriegt jede Spielminute mit.“

Spontane Guckgemeinschaft. In den Ausgehvierteln der Stadt verfolgen viele Fans die WM-Spiele vor Kneipen und Restaurants, wie hier in Prenzlauer Berg. Foto: Imago/Seeliger
Spontane Guckgemeinschaft. In den Ausgehvierteln der Stadt verfolgen viele Fans die WM-Spiele vor Kneipen und Restaurants, wie hier in Prenzlauer Berg. Foto: Imago/Seeliger

© imago sportfotodienst

Groß beworben werden die Übertragungen in der Kastanienallee nirgendwo. Dass wie bei „Pizza Pane“ eine Tafel auf die Fußballspiele hinweist, ist eher die Ausnahme. „Ist doch selbstverständlich, dass wir die Spiele laufen lassen“, sagt der Kellner eines benachbarten Restaurants. „Die Gäste rechnen fest damit!“

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain. Dort waren die Lokale während des Viertelfinalspiels gegen Argentinien so bevölkert, dass einige Anwohner kurzerhand in ihre Wohnungen hinaufgingen, um weitere Stühle heranzuschaffen. „Gemeinsam gucken ist einfach schöner“, sagt Torge Schmitt, 26, der auch beim Halbfinale gern wieder mit Küchenstühlen aushelfen will. „Und da ist es doch prima, wenn man seinen Beitrag leisten kann.“

Wie sehr die Umsätze der gastronomischen Betriebe während der Fußballweltmeisterschaft ansteigen, darüber gibt es noch keine Statistiken. „Aber da braucht man ja nur aufmerksam durch die Stadt zu gehen“, sagt Thomas Lengfelder, Sprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) Berlin. Er ist überzeugt davon, dass jeder Wirt gut daran tut, eine Leinwand aufzustellen. „Die Menschen wollen Fußball sehen, und zwar draußen, im Freien, mit Freunden.“ Das Bedürfnis, sich zum gemeinschaftlichen Anfeuern zusammenzuscharen, wachse offenbar stetig. „Gerade nachbarschaftliche Zusammenkünfte gewinnen an Popularität.“ Fußballparties machten natürlich auch umso mehr Spaß, wenn das Deutsche Team so erfolgreich spiele wie jetzt, sagt Lenfelder. „Wer jubelt schon gerne allein auf der Couch.“

Für Diego Siriakis, der in der Simon-Dach-Straße eine Fußballkneipe betreibt, ist die Weltmeisterschaft ein Segen. „So voll war mein Lokal noch nie!“ Mehr als über das Umsatzplus freue er sich aber über die Tatsache, sein Haus so voll zu sehen. „All die fröhlichen Gesichter! Das wärmt mein Herz.“

Am meisten hat Siriakis während des Vorrundenspiels gegen Serbien eingenommen. „Offenbar trinken die Fans mehr, wenn die Mannschaft verliert“. Vorteilhaft für die nachhaltige Kundenbindung seien die Niederlagen aber wohl kaum, mutmaßt der Grieche. Und es mache ihn traurig, die Kunden enttäuscht zu sehen. Siriakis sagt: „Ich bete dafür, dass die Deutschen weiterkommen – damit alle sich freuen. Und die Party weitergeht.“

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