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Großstadt-Geräusche

© Doris S. Klaas

Großstadt-Kunst: Glockengeläut aus dem Gully

Straßenstrich und Hörkunstmeile: die klingende, tönende Kurfürstenstraße.

Von Schönheit verwöhnt ist sie nicht, die Kurfürstenstraße zwischen Potsdamer Straße und Café Einstein. Rechts gähnt ein großer Parkplatz, gegenüber hockt die Technische Fachhochschule. Dicht gefolgt vom Gemeindehaus der Zwölf-Apostel-Kirche, einem Betonmutanten. Autos brausen vorbei, Frauen in knappen Klamotten balancieren am Straßenrand auf hohen Hacken, und an der Ecke Frobenstraße parkt der gut besuchte Bus der Fixerbetreuung.

Direkt an seinem Hinterrad gehen gerade seltsame Dinge vor: ein Techniker zieht Kabel von der Fachhochschule über den Bürgersteig. Und Klangkünstler Johannes Sistermanns steht in der Gosse, öffnet mit Haken den Regenwassergully und versenkt einen Lautsprecher darin. „Sonst hängen die Glocken ja da oben“, sagt er und zeigt auf den Kirchturm der Zwölf-Apostel-Kirche, „aber ich dachte mir, ich leg’ sie mal in den Gully, dann kann der Schall einen unterirdischen Raum wahrnehmbar machen, den man in der Stadt sonst nie betritt.“ Bis Ende Juli wird seine Klangplastik „Versunkene Glocken“ stereo aus sechs Gullys rechts und links der Straße läuten. Sie ist eine von sechs Klanginstallationen, die den Klangraum Kurfürstenstraße bilden.

Die Grips-Grundschule macht auch mit

Die Idee kam vom Quartiersmanagement Magdeburger Platz und wird von der Universität der Künste unterstützt. „Wir wollen damit das Image der Kurfürstenstraße aufwerten“, sagt Projektleiter Michael Klinnert. Der struppige Stadtraum soll langfristig städtebaulich wieder in Ordnung gebracht werden. Und durch die Kunstaktion werde die Straße auf der Grenze zwischen Tiergarten und Schöneberg mal nicht als Rotlicht- und Fixermeile erlebt. Klinnert ist froh, dass so viele Anrainer mitmachen: die BVG hat einen U-Bahn-Schacht zur Verfügung gestellt, die BSR die Gullys, die polnische und die litauische Botschaft überlassen den Tonkünstlern eine Stadtbrache und die Birken in ihrem Vorgarten. Und an der Grips-Grundschule haben Schüler mit der Kunstgruppe Gottlieb zusammen die Installation „ZaunKlang“ ausgeheckt. Da erklingt ein Soundmix aus dem Entlangratschen an den 200 Eisenstreben vor dem Schulgelände und den Alltagsgeräuschen vom Pausenhof.

Hörbare Überraschungen im Alltag zu schaffen, liegt auch Johannes Sistermanns am Herzen. Der 52-Jährige lebt in Bornheim bei Köln und baut seine Klangplastiken auch in Melbourne, Görlitz oder Schanghai. Ob er die Kurfürstenstraße zuvor kannte? „Nur durch das Café Einstein. Aber ich hab’ sie mir ausführlich auf Google Earth angesehen.“ 40 Künstler aus ganz Deutschland haben ihre Ideen eingereicht, sechs hat die Jury ausgewählt. „Stadtraum ist immer auch Klangraum“, sagt Komponist Sistermanns. Und wenn das Läuten aus der Tiefe die Passanten zum Nachschauen anregt, ist das dem Künstler nur recht.

Von der Ausrüstung ist bislang noch nichts weggekommen – vielleicht halten die meisten das Bimmeln, Raunen und Rauschen ja auch nur für eine Einbildung. Die Installation beim Café Nil heißt denn auch – „Halluzi“.

Bis 31. Juli zwischen Potsdamer und Kielganstraße, von 22 bis 6 Uhr ist Nachtruh, Infos unter www.tiergarten-sued.de

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