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Immanuelkirchstraße in Prenzlauer Berg: Einfallstor und Trutzburg. Blick auf die Immanuelkirche und den oberen Abschnitt der Immanuelkirchstraße (Richtung Prenzlauer Allee). Rechts erkennt man die roten Erker des Immanuelkirch-Carrés. Dieser 2008 fertiggestellte Komplex ist Inbegriff für die Gentrifizierung der Straße.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Lebensadern (7): Immanuelkirchstraße: Vom Klub zum Club

Straßen erzählen Geschichten. Stadtgeschichten, Kiezgeschichten, Lebensgeschichten: Die Immanuelkirchstraße in Prenzlauer Berg hat zwei Gesichter – ein hippes und ein raues

Es hat Charme, in diesen Sommertagen nachmittags vor dem OlindaCafé in der Immanuelkirchstraße auf wackeligen Stühlen zu sitzen und einen Milchkaffee zu trinken und ein Ciabatta zu essen, beispielsweise. Das Café ist trotz seiner zerschlissenen Wohnzimmermöbel kein Szene-Café, kein Ort, an dem man unbedingt gewesen sein muss. Genauso gut könnte man ins benachbarte Café Kaléko gehen, das ähnlich unspektakulär, aber nett ist. Oder auf der anderen Straßenseite ins Godshot, ein Laden, der zwar drinnen moderne, sehr flache, beige-braune Sitzgelegenheiten bietet umd den ein schickes Logo oben an der Tür ziert, eine silberne Pistole vor schwarzem Hintergrund mit der Zeile „Godshot: The Future Urban Coffee Klub“ (man beachte das ostdeutsche K in Klub!), der aber eben auch nurmehr Wohlfühl- als Place-to-be-Charakter hat.

Die drei Cafés passen gut in die Immanuelkirchstraße, in der Gelassenheit und Nettigkeit dominieren. Sie stehen aber auch für den Wandel dieser Straße. Zwei der Cafés gibt es gerade mal ein Jahr, und sie haben das Straßenbild im Verein mit einigen kleinen Klamottenläden, einem neumodischen Friseursalon und einem riesigen Bar-Restaurant sehr verändert. Wie so viele Straßen und Viertel in Prenzlauer Berg ist auch die Immanuelkirchstraße einem hohen Gentrifizierungsdruck ausgesetzt. Sie hält diesem aber mit ihren meist kleinen, bewusst auf übermäßiges Design verzichtenden Läden und mit ihrer noch einigermaßen durchmischten Bevölkerungsstruktur wacker stand.

Nicht weit vom Alexanderplatz gelegen, erstreckt die Immanuelkirchstraße sich abschüssig zwischen Prenzlauer Allee und Greifswalder Straße, durchschnitten von der Winsstraße, die diesem Kiez zwischen den beiden großen Straßen von der Danziger Straße bis zum Friedhof an der Heinrich-Roller-Straße seinen Namen gibt: Winskiez. Die Winsstraße teilt die Immanuelkirchstraße zudem in zwei sehr unterschiedliche Abschnitte: den oberen, der an der Prenzlauer Allee beginnt, mit der Immanuelkirche als Einfallstor und Trutzburg. Und den unteren, der in die Greifswalder Straße mündet und von einem Thai-Restaurant und einem Erotik-Nachtclub abgeschlossen wird, dem „Roten Engel“.

Abgesehen davon, dass es bei allem Familiengemäre anscheinend auch in Prenzlauer Berg noch Bedarf für Läden wie den „Roten Engel“ gibt (für die Familienväter aus dem Winskiez und dem Bötzowviertel?), wirkt der untere Teil der Immanuelkirchstraße tatsächlich dunkler, rauer, unfertiger. Hier stehen noch einige unrenovierte oder schlecht renovierte Häuser, hier gibt es keine neuen Lädchen, sondern einen Old-School-Friseursalon, eine Fahrschule, eine Anlaufstelle für Swingerpärchen und einen Spätkauf, hier sind die Rollläden parterre voller Graffiti. Und hier haben viele soziale Vereine ihre Büros, der Berliner Ring mit einer Lohnsteuerberatungsstelle, Hestia e. V. mit einem Kontaktbüro für Frauen in Gewaltsituationen oder „Independent Living“, ein Verbund aus freien Jugendhilfeträgern mit Kindertagesstätten, betreuten Wohngemeinschaften und Einrichtungen, die Einzelfall- und Familienhilfe anbieten.

Läuft man diesen unteren Teil der Straße entlang, bekommt man den Eindruck, dass die schöne neue Prenzlauer-Berg-Welt gar nicht so schön und so neu ist. Dass der Bezirk trotz des neuen Bürgertums seine sozialen Probleme hat, und dass diese nicht nur alleinerziehende Mütter betreffen, die sich nach ihrer Scheidung auf einmal keinen Latte Macchiato mehr leisten können.

Zu der Zweiteilung der Straße passt es, dass im unteren Teil der „Club“ (man beachte hier den Verzicht auf das ostdeutsche K!) eine neue Heimstatt gefunden hat. Der Club ist ein Kneipenrestaurant, das vorher im oberen Abschnitt beheimatet war. Darin und davor sitzt eine Klientel, die mitunter vor der Wende schon im Kiez gewohnt hat, aber Eckkneipen nicht mag – ein alteingesessenes Alternativpublikum, dass mehr auf zünftige Rockmusik als moderne Electronica steht.

Im Gegensatz zum unteren Abschnitt ist der obere ein idealer Sehnsuchtsort für Neuberliner. Als Inbegriff für die Gentrifizierung steht hier das sogenannte Immanuelkirch-Carré. Dessen Bewohner dürften ein feines Einkommen haben, dürften sich in Hamburg- Blankenese wohler fühlen als im Schanzenviertel. Die Cayennes, Q5 und Touaregs, die aus der Carré-Tiefgarage brausen, lösen schon mal Fluchtreflexe aus; diese Wagen gehören mit Sicherheit nicht Leuten wie dem MTV-Moderator Markus Kavka (der fuhr einen uralten Porsche) oder Musikern wie Dirk von Lotzow und Schneider TM, die einst hier wohnten. Und auch nicht den Schriftstellern Michael Ebmeyer und Ulrike Draesner, die hier immer noch wohnen.

Das Immanuelkirch-Carré, an dessen Stelle übrigens bis 1913 Kafkas Geliebte Felice Bauer wohnte, verkörpert die nächste, härtere Stufe des hiesigen Bevölkerungsaustauschs. Die jungen Menschen, die vor zehn, zwölf Jahren gekommen sind und Familien gegründet haben, wissen inzwischen selbst nicht, wie lange sie noch bleiben können. Wer mit zwei Kindern in einer Dreizimmerwohnung wohnt, braucht irgendwann eine größere, und ein Umzug in dieser Gegend ist fast ausgeschlossen. Größere und vor allem bezahlbare Wohnungen gibt es nur noch in den großen Ausfallstraßen, und das oft nur nördlich des S-Bahn-Rings.

Nur: Wer will dahin? Eine Alternative zu der Beschaulichkeit der Immanuelkirchstraße ist das nicht. Zumal die SUV-Fahrer und Blankenese-Lookalikes noch nicht in der Mehrheit sind. Noch stimmt die Bevölkerungsmischung aus Alteingesessenen, jungen und nicht mehr ganz so jungen Familien, aus Kulturschaffenden und den vergnügungshungrigen jugendlichen Touristen, die von dem Hostel am unteren Ende Richtung Kollwitzplatz und Kulturbrauerei strömen.

Die beiden indischen Restaurants in der Immanuelkirchstraße laufen wie geschmiert, was auch daran liegt, dass die meisten Anwohner sie sich leisten können (anders als das neue Restaurant Ecke Winsstraße, dessen Preisniveau um einiges höher ist). Und auch die von einer türkischen Familie betriebene Bäckerei sowie der Tante-Emma-Supermarkt in vietnamesischer Hand haben ihr gutes Auskommen.

Der Ausländeranteil ist zwar in der Immanuelkirchstraße wie überall in Prenzlauer Berg gering. Menschen mit türkischem oder arabischem Hintergrund gibt es keine. Was nicht heißt, dass hier überhaupt keine Ausländer wohnen: Die Spanier, Engländer, Italiener, Russen oder Lateinamerikaner sind von ihrem Familien-, Berufs- und Bildungsstatus meist ebenfalls typische Neu-Prenzlauer-Berger. Sie fallen deshalb nicht weiter auf.

Dass weiterhin Bewegung in der Straße ist, dass hier weiterhin wenig beim Alten bleibt, beweist die Erschließung der letzten Baulücke. Auch der untere Teil bekommt sein „Carré“, die Tafel einer Bank- und Immobilienconsultingfirma kündigt es an: „Hier entsteht das Immanuelkirch-Quartier“, mit Wohnungen, die mit Privatgarten, Kamin, Sauna, Aufzug und Südbalkon ausgestattet werden sollen. Demnach dürften die Tage des „Roten Engels“ bald gezählt sein. Wer, wie ein paar Häuserblocks weiter, den Knaack- Club nach Kreuzberg vertrieben hat, nimmt es mit einer Sexbar erst recht auf. Schöne neue oder fiese verspießerte Prenzlauer-Berg-Welt? Gut möglich jedoch, dass die Immanuelkirchstraße auch dieses „Quartier“ integriert und ihren gemächlichen Charme behält.

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