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Geduldsprobe Bürokratie. Bereits im Februar standen Menschen ab 4 Uhr morgens vor dem Standesamt Mitte in der Parochialstraße Schlange.

© Lilith Grull

Standesämter in Berlin: Eltern warten monatelang auf Geburtsurkunden

Weil die Berliner Standesämter unterbesetzt sind, müssen sich frisch gebackene Eltern gedulden. Das Ausstellen einer amtlichen Bescheinigung für Neugeborene dauert bis zu drei Monate.

Den 9. März wird Christin Kidszun ihr Leben lang nicht vergessen. An jenem Donnerstag bringt die 26-Jährige in der Charité ihr erstes Kind zur Welt. Mit ihrem Mann war sie zuvor extra aus Weißensee in das renommierte Universitätsklinikum gekommen. Wie erhofft verläuft die Geburt ohne Zwischenfälle. Die eigentlichen Komplikationen beginnen erst in den Tagen und Wochen danach mit der Berliner Bürokratie. Denn formal existiert die Tochter von Kidszun auch acht Wochen nach der Geburt noch nicht.

Die Standesämter kommen in Berlin nicht mit dem Ausstellen der Geburtsurkunden hinterher. Im Rathaus Mitte, wo das Zertifikat für Kidszuns Tochter ausgestellt werden sollte, werden aktuell noch Geburten von Februar bearbeitet. Das hat fatale Folgen für die Eltern. Ohne Geburtsurkunde kann weder Kinder- noch Elterngeld beantragt werden. Selbst für die Anmeldung bei den Krankenkassen, die Neugeborene oft nur sechs Wochen bei der Mutter mitversichern, muss eine Geburtsurkunde vorgelegt werden.

Ohne Geburtsurkunde kein Kindergeld

„Wäre ich alleinerziehend, wüsste ich nicht, wie ich meine Miete, meine Lebensmittel und Arztkosten für mich und mein Baby bezahlen soll“, sagt Kidszun. Sie ärgert sich vor allem über die mangelnde Kommunikation bei der Behörde. „35 bis 45 Mal habe ich versucht, telefonisch Auskunft zu erhalten“, sagt Kidszun. Vergeblich. Wer Auskunft will, kann sich eine Wartenummer ziehen. Dafür, so berichtete ihr der Pförtner, sollte sie sich allerdings schon um 5 Uhr morgens in die Schlange einreihen, um ab 7 Uhr eine gute Wartenummer ziehen zu können. „Für mich als junge Mutter ist das keine Option“, sagt Kidszun. Der zuständigen Stadträtin in Mitte, Sandra Obermeyer (parteilos, für Linke), ist die Problematik bekannt. Derzeit müsse man noch über 1000 Geburtsurkunden ausstellen, in schwierigen Fällen könne die Prozedur bis zu zwölf Wochen dauern.

„Unsere Personalsituation ist dramatisch, und auf dem Arbeitsmarkt sind ausgebildete Standesbeamte nicht verfügbar“, sagt die Stadträtin. Eigentlich sollten im Standesamt 15 Stellen besetzt sein, doch allein im vergangenen Jahr hätten fünf Kollegen gekündigt. Die übrigen zehn Beamte würden regelmäßig Überstunden machen und auch am Wochenende arbeiten. „Durch die hohe Arbeitsbelastung sind mehrere Mitarbeiter langfristig erkrankt. Auch deshalb ärgert mich das Bashing auf das Standesamt“, sagt Obermeyer. Dass das Standesamt in Mitte nach dem Bericht über lange Wartezeiten für Hochzeitstermine schon wieder in der Kritik steht, erklärt sie mit der offenen Sprechstunde, die es in anderen Bezirken nicht mehr gibt. „Dadurch kommen Menschen aus der ganzen Stadt, das verschärft die Situation noch.“ Obermeyer kündigt deshalb an, Termine bald nur noch online zu vergeben.

Hohe Arbeitsbelastung für Standesbeamte

Parallel werden gerade drei Mitarbeiter im Rathaus zu Standesbeamten weitergebildet. Bis Herbst wird das aber dauern. Das liegt auch daran, dass Standesbeamte deutschlandweit im 3000-Seelen-Ort Bad Salzschlirf in Hessen ausgebildet werden. Man wolle deshalb in Absprache mit dem Senat die Ausbildung verkürzen. „Außerdem wollen wir zum Beispiel Teile der Ausbildung nach Berlin verlegen“, sagt Obermeyer. Entscheidend sei aber, dass man auch auf dem Arbeitsmarkt wieder konkurrenzfähig werde. Da sei in den vergangenen Jahren nichts gemacht worden. „Jetzt ist Geld für Personal da, aber wir bekommen niemanden“, sagt Obermeyer etwas ratlos.

Christin Kidszun immerhin hatte Glück. Ein Beschwerdebrief sorgte für eine Beschleunigung, wenig später bekam sie die Geburtsurkunde ihrer Tochter. Jetzt kann sie Krankenversicherung sowie Eltern- und Kindergeld beantragen. Erwartete Bearbeitungsdauer: mindestens acht Wochen.

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