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Ganz schön groß. Störche brauchen viel Platz zum Starten und Landen. Wenn sie es vom Straßenrand aus tun, kann das für sie und für Autofahrer gefährlich werden.

© Boris Roessler / picture-alliance/ dpa

Störche am Straßenrand: Tod beim Landeanflug

Immer öfter sterben Störche in Brandenburg bei Verkehrsunfällen. Schuld sind die unbeabsichtigten Folgen einer guten Idee.

Von Sandra Dassler

Urplötzlich war der Storch über meinem Auto“, erzählt Jan Hoffmann aus Cottbus: „Ein riesiger Schatten, ich wusste gar nicht, dass Störche so große Flügel haben. Ich war sehr erschrocken und hätte fast das Lenkrad losgelassen. Aber irgendwie bekam ich das Auto doch noch unter Kontrolle.“

Der Cottbuser Autofahrer ist kein Einzelfall. Immer häufiger registriert die Polizei in Brandenburg Verkehrsunfälle mit Störchen – besonders häufig im Spreewald, aber nicht nur dort: Ein junges Pärchen aus Berlin wurde Ende April dieses Jahres schwer verletzt, als ein Storch die Autobahn im Tiefflug überquerte. Der Fahrer wollte dem Tier auf der A19 zwischen Wittstock und Röbel an der Landesgrenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern noch ausweichen, dabei kam der Mercedes ins Schleudern und überschlug sich.

Unerwartete Flugobjekte

Zum Glück sind die Folgen der unerwartet auftauchenden Flugobjekte für Menschen nicht immer so dramatisch, für die Störche allerdings gehen die Kollisionen fast immer tödlich aus. Noch verenden die meisten durch Stromschläge, die sie sich an nicht gesicherten Mittelspannungsmasten zuziehen, aber schon an zweiter Stelle stehen die Verkehrsunfälle.

Bernd Elsner vom Nabu-Weißstorchzentrum Vetschau.
Bernd Elsner vom Nabu-Weißstorchzentrum Vetschau.

© Sandra Dassler

Deren Zahl steigt seit Jahren, weil sich die Störche viel häufiger als früher an den Straßenrändern aufhalten, sagt Bernd Elsner. Er führt Besucher, Touristen ebenso wie Schulklassen, sichtlich stolz durch das vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu) betriebenen Weißstorchzentrum in Vetschau.

Vetschauer Internetstörche kennt jeder

Hier wurden die Internetstörche erfunden, seit 1997 gibt es das Online-Projekt www.storchennest.de. Jährlich beobachten Millionen Nutzer auf der ganzen Welt das Familienleben der Störche im Vetschauer Internethorst – in der Hochsaison sind es bis zu 5000 Nutzer täglich. Die Kameraübertragung habe das Vetschauer Weißstorchzentrum zum Ansprechpartner für den beliebten Vogel gemacht, sagt Geschäftsführer Elsner. „Von überall her erreichen uns Fragen – auch zu den zunehmenden Verkehrsunfällen.“

Intensive Landwirtschaft vernichtet Kleinstlebewesen

Dann erklärt der 59-Jährige, dass die neue „Vorliebe“ der Störche für Straßenränder eher eine Not ist. „Es sind die in den vergangenen fünf bis sieben Jahren extrem zugenommenen Monokulturen, die riesigen Felder mit Sonnenblumen, Mais oder Raps, die viele Störche an den Straßenrand treiben“, sagt Elsner. In diesen Feldern könne wegen des extrem dichten Bestands kein Storch auf Nahrungssuche gehen – und selbst wenn er es könnte, würde er kaum etwas finden.

Denn die intensive Bewirtschaftung dieser Felder mit Bioziden vernichtet seine Nahrungsgrundlage: Kleinstlebewesen wie Würmer, Insekten, aber auch Mäuse und Frösche. Oder sie ziehen sich auf die schmalen Feldränder zurück, die an die Straßen grenzen. „Die sind aber meist nur wenige Meter breit“, sagt Elsner. Deshalb müsse sie der Storch ziemlich tief anfliegen, was dann zu den Kollisionen mit Autos führe. Er bezahle den erzwungenen Revierwandel oft mit dem Leben.

Nabu-Sprecher hat Angst um Artenvielfalt

„Es ist schrecklich“, sagt Christoph Kaatz, der Sprecher der Nabu-Bundesarbeitsgemeinschaft Weißstorchschutz. Er hat 1979 den Storchenhof Loburg in Sachsen-Anhalt gegründet, um verletzte Weißstörche gesund zu pflegen.

Die meisten Verletzungen rührten von Verkehrsunfällen her, konstatiert er: „Ich bin selbst ein Befürworter von erneuerbaren Energien, aber so wie es jetzt läuft, war das nie geplant. Die Biogasanlagen sollten vor allem Gülle und Abfallprodukte verwenden und nicht zu einer riesigen Ausbreitung von Mais-, Raps- und Sonnenblumenfeldern führen, die nicht für Nahrung, sondern für Energieherstellung genutzt werden. Das gefährdet die Artenvielfalt. Es ist die Pervertierung einer ursprünglich guten Idee.“

Ein Drittel weniger Storchennachwuchs im Spreewald

Der Schaden betrifft, so die Naturschützer, nicht nur die Störche, sondern viele andere Tiere, darunter Feldlerchen und Goldammern. In diesem Jahr kommt die extreme Trockenheit erschwerend hinzu – auch in Brandenburg, wo mit 1400 Paaren deutschlandweit die meisten Störche brüten. „Dieses Jahr haben wir etwa ein Drittel weniger Nachwuchs als durchschnittlich“, sagt Bernd Elsner. „Das ist schon bedenklich.“

Auch deshalb würde er es ebenso wie sein anhaltinischer Kollege Christoph Kaatz begrüßen, wenn Schilder auf die Gefahr tief fliegender Störche aufmerksam machen würden. In Süddeutschland gibt es solche Schilder schon – ebenso wie Hotlines, um verletzte Störche zu melden. Auch in den märkischen Storchenstationen werden bei Unfällen oder bei den ersten Flugversuchen zu Schaden gekommene Tiere aufgenommen

Verletzte Störche vorsichtig bergen

Allerdings müssten Laien, die einen verletzten Storch finden, einiges beachten, sagt Bernd Elsner. So sollte man zuerst den Schnabel sichern, indem man ihn an der Spitze mit einer Hand umfasst. Das diene dazu, eigene Verletzungen zu vermeiden. Auf keinen Fall aber dürfe der Schnabel zugebunden oder gar zugeklebt werden. Der Storch könne dann an einem Schock sterben oder ersticken. Er befände sich in einer Stresssituation, deshalb soll man ihm auch nichts zu fressen oder zu trinken geben.

Storch in Sichtweite - runter vom Gas

Noch besser sei, so die Naturschützer, die Geschwindigkeit zu drosseln, sobald man einen Storch entdeckt. Wer langsam fährt, vermindert das Risiko einer Kollision – für sich und für den stolzen, großen Vogel, der durch menschliches Tun an den (Straßen-)Rand getrieben wurde.

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