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Der bekannte Charité-Bettenturm wird bis 2016 saniert.

© dpa

Streit am Universitätsklinikum: Die Charité ist Berlins nächste Großbaustelle

An der Charité gibt es Streit mit Forschern und Pflegekräften, mit dem Senat sowieso. Es geht dabei meist ums Geld. Gelingt der Umbau von Europas größter Uni-Klinik?

In den Bäumen zwitschern die Vögel, ein Mann mit Tulpen unterm Gipsarm spaziert vorbei. Und auf einem Rad kommt gut gelaunt Klaus M. Beier zur Arbeit gefahren, immerhin einer der führenden Sexualmediziner des Landes. Ja, an diesem Morgen im April ist die Welt in der Luisenstraße, am Charitéplatz in Mitte, ziemlich in Ordnung.

In einem Backsteingotik-Bau mit Türmchen hat hier auch Karl Max Einhäupl sein Büro. Er ist Chef dieser Idylle. Doch die ist eine trügerische, derzeit mehr als sonst. Zuletzt hat der Vorstandsvorsitzende der Charité – wieder mal – Schlechtes über sein Krankenhaus gelesen, Europas größte Universitätsklinik mit 16 000 Schwestern, Ärzten und Technikern. Es ging um Schwarzgeld, wütende Pfleger und Intrigen in der Charité-Führung. Die Probleme muss Einhäupl bald klären. Die Beschäftigten machen genauso Druck wie der Senat, der seiner landeseigenen Klinik ohnehin gern hineinredet.

In den nächsten Wochen wird sich an der Charité vieles entscheiden.

Virchow, von Behring, Bonhoeffer - die Charité hat einen guten Ruf

Seit dem 19. Jahrhundert hat die Charité einen Ruf zu verteidigen: Rudolf Virchow, Emil von Behring und Karl Bonhoeffer forschten hier. Die Traditions-Charité in Mitte fusionierte nach der Wende mit dem Weddinger Rudolf-Virchow-Klinikum, später kam das Steglitzer Benjamin Franklin und Häuser in Buch dazu. Medizinstudenten von Freier Universität und Humboldt-Universität lernen seitdem an vier Standorten.

Einhäupl weiß um den Ruf der Riesenklinik, er versucht ihn zu erhalten, die Bauten zu modernisieren, Spitzenforscher zu verpflichten, Technik zu kaufen. Dass kostet Geld. Und so wurde der Neurologe Einhäupl zum Politiker, der auf allerlei Wegen versucht, Geld zu akquirieren. Es ist ein Kampf – den Eigentümern, also den Sparpolitikern des Senats zu gefallen, und dabei Patienten und Beschäftigte nicht gegen sich aufzubringen.

Eine Schwester für zwölf Patienten - das soll sich ändern

Da wären erstens die Pflegekräfte, die massenhaft Überstunden anhäuften, und nun einen Tarifvertrag für mehr Personal fordern. Da wären zweitens die Krankenkassen, die für die Behandlungen ihrer Versicherten an der Charité nicht mehr bezahlen wollen als an anderen Kliniken, obwohl Hochschulmediziner oft komplizierte Fälle bekommen. Da wären drittens, als Folge, die internen Verteilungskämpfe, um Millionen für die Forschung, die einige lieber in die Krankenversorgung stecken würden. Und so hat Einhäupl kürzlich seiner Fakultät de facto die Hoheit über 35 Millionen Euro Drittmittel entzogen – was als Angriff auf Charité-Dekanin Annette Grüters-Kieslich verstanden wurde und erneut Misstrauen in der Belegschaft erzeugte.

Der Ärger ist also groß, doch noch ist er steuerbar. Die Tarifverhandlungen mit den Pflegekräften waren eigentlich schon gescheitert, als der Charité-Vorstand im März die Schlichter rief. Den Personalschlüssel, wie ihn sich die Gewerkschafter in der Charité wünschen, sähe in der Normalpflege vereinfacht so aus: Eine Schwester betreut fünf Patienten, derzeit hat sie im Durchschnitt zwölf. Schreibt die Klinik eine Mindestbesetzung in einem Tarifvertrag fest, könnten die Beschäftigten sie einklagen – ein Dammbruch, befürchten nicht nur Charité-Manager. In Hannover diskutieren Schwestern und Pfleger bereits nach Charité-Vorbild. Dem Vernehmen nach will der Charité-Vorstand lieber pauschal Zusatz-Schwestern einstellen – die Mitarbeiter also entlasten, ohne einen einklagbaren Personalschlüssel zu ermöglichen. Das wäre immer noch besser als der Ist-Zustand.

Senatorin Scheeres will Bundeszuschlag

Bezahlt werden die Mitarbeiter, so sieht es das Gesetz vor, von den Krankenkassen. Die überweisen Geld aber nur pro Fall und Diagnose – für unvorhersehbare Komplikationen, wie sie bei Universitätskliniken schon wegen der Fülle der Fälle öfter auftreten, reicht das kaum. Einhäupl und Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die auch Charité-Aufsichtsratschefin ist, fordern deshalb einen sogenannten Systemzuschlag, also Extrageld für Hochschulkliniken. Wann immer Scheeres auf Bundespolitiker treffe, sagen Senatskollegen, spreche sie den Zuschlag inzwischen an.

Grüne: „Wir als Land fahren die Charité auf Verschleiß“

Mehr Personal, mehr Bundesmittel? Sollte Einhäupl beides tatsächlich erreichen, dürften ihm wieder Sympathien zufliegen. Und die kann er gerade gebrauchen.

Den Tagesspiegel haben in den vergangenen Wochen zahlreiche Briefe, E-Mails und Anrufe von Forschern und Studenten erreicht, Tenor: Die Charité-Spitze wolle sich Forschungsgelder der Fakultät holen, weil sie zu wenig mit der Krankenversorgung verdiene. Doch die Gelder stünden allein der Wissenschaft zu, nicht der Gesamtklinik, schließlich gelte die hierzulande vor Jahrzehnten erkämpfte Autonomie von Forschung und Lehre.

Warum musste der kaufmännische Leiter gehen?

Tatsächlich hatte Einhäupl hart durchgegriffen, als es vor ein paar Wochen heftigen Streit mit der Fakultät um unverbrauchte Drittmittel gab. Der kaufmännische Leiter der Fakultät war von seinen Aufgaben entbunden worden, was als Schuss vor den Bug der Fakultät gewertet wurde. Dies gilt umso mehr, als der Mann womöglich gar nicht hätte suspendiert werden dürfen. Aus Senatskreisen ist zwar zu hören, die Fakultät habe nicht mit den zuständigen Wirtschaftsprüfern kooperiert. Dennoch bleibt unbestritten: Die Drittmittel werden seit Jahren auf gleiche Weise verwaltet.

Warum musste der Leiter also ausgerechnet zu einer Zeit gehen, als wegen der Sanierungen der Bettenhäuser weniger Geld durch die Krankenversorgung hereinkommt? Dekanin Grüters-Kieslich jedenfalls wehrte sich mit zwei Rechtsgutachten, in denen es heißt: Allein die Fakultät dürfe über Drittmittel verfügen.

Wer nun recht hat, das will aus der Politik kaum jemand kommentieren. Verteilungskämpfe werde es unter solchen Bedingungen sowieso immer geben. „Wir als Land fahren die Charité jedenfalls auf Verschleiß“, sagt Heiko Thomas, der Gesundheitsexperte der Grünen im Abgeordnetenhaus. „Ein Aufschlag für Unikliniken muss dringend kommen.“

Der Senat hofft nicht nur auf mehr Geld für die Charité, sondern für alle Berliner Kliniken, es fehlen mehr als 100 Millionen Euro für Modernisierungen. Der Bund will die Krankenhäuser zu mehr Qualität drängen – dafür solle er finanziell helfen. Das zumindest bekam Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kürzlich auf der Gesundheitsministerkonferenz in Berlin zu hören.

Die Charité hat es derzeit nicht leicht

Nicht weit von dem Gotik-Bau, in dem Einhäupl sitzt, steht das wichtigste Sanierungsprojekt der Charité, der Bettenturm. Das Wahrzeichen wurde 1982 eröffnet. Nun soll das 82 Meter hohe Haus an der Luisenstraße für Millionen modernisiert werden, dazu eine weiße Fassade bekommen. Vor ein paar Monaten war bekannt geworden, dass das Projekt 17,5 Millionen Euro teurer wird.

Wie gesagt, leicht hat es die Charité in diesen Tagen nicht. Doch etwas Erleichterung, zumindest aber Klarheit wird bald aufkommen: Demnächst entscheidet das Arbeitsgericht darüber, ob die Suspendierung des kaufmännischen Leiters der Fakultät rechtens war. Noch im Mai treffen sich die Schlichter im Tarifstreit. Im Juni dann tagt der Aufsichtsrat. Dabei soll das Ergebnis einer Tiefenprüfung den Streit um die Drittmittel entschärfen. Und Aufsichtsratschefin Scheeres hat vielleicht schon gute Nachrichten zum Systemzuschlag zu überbringen.

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