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Schall und Schutz. In den Wohnungen rund um den BER darf künftig der Lärmpegel von 55 Dezibel nicht überschritten werden. Die Anwohner Tegels, wie auf diesem Bild zu sehen, haben das Problem bald nicht mehr.

© dapd

Streit um Lärmschutz am BER: Strenger Schallschutz gilt in München seit Jahren

Der Streit um die Obergrenzen für den Flughafen BER verschärft sich. Jetzt will ein Anwohner-Anwalt die Regierungschefs Wowereit und Platzeck wegen Betrugs anzeigen.

Im Streit um den Lärmschutz beim künftigen Hauptstadtflughafen BER gibt es Widerspruch gegen die Darstellung der Flughafengesellschaft FBB und des Senats. Beide haben wiederholt behauptet, die kürzlich vom Oberverwaltungsgericht (OVG) bestätigten Grenzwerte, nach denen der Fluglärm in Innenräumen von Anwohnern 55 Dezibel nicht überschreiten darf, seien „Maximalforderungen, die bisher nirgendwo in Deutschland so umgesetzt worden sind“, wie es Senatssprecher Richard Meng formuliert hatte.

Dem widersprechen unter anderem die Betreiber des Münchener Flughafens. „Bei uns dürfen 55 Dezibel Einzelschallpegel in Innenräumen ebenfalls nicht überschritten werden“, sagte der Sprecher der Münchener Flughafengesellschaft, Ingo Anspach, dem Tagesspiegel am Montag. Werde der Wert überschritten, hätten Anwohner Anspruch auf Schallschutz. Ähnliches ist aus Wien zu hören.

Im Umfeld des BER in Schönefeld rechnet die Flughafengesellschaft mit 600 Millionen Euro Mehrkosten für den Schallschutz. Jedenfalls wenn sie sich an die Vorgaben des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hält, das wiederum den Vorgaben aus dem Planfeststellungsbeschluss von 2004 folgt. Berlins Regierender Bürgermeister und FBB-Aufsichtsratschef Klaus Wowereit (SPD) hatte am Freitag gesagt, man sei von der Entscheidung des OVG überrascht worden. Sein Vize im Aufsichtsrat, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), hatte gar erklärt, dass er das vom Gericht geforderte Niveau für überzogen hält. Bereits die bislang geplanten Maßnahmen böten „exzellenten Schallschutz“ für die Anwohner.

Die Kostensteigerungen werden von Experten vor allem mit strengeren gesetzlichen Vorschriften begründet, die für neue Flughäfen wie den BER gelten. Durch das im Jahr 2007 in Kraft getretene Fluglärmschutzgesetz reiche es oft nicht mehr aus, Wohnungen durch Lärmschutzfenster oder spezielle Lüftungssysteme zu schützen, erklärt die Sprecherin des Hamburger Flughafens, Stefanie Harder. Inzwischen gehörten auch gedämmte Wände und Dächer zum Standard.

Bildergalerie: Das Debakel um den Flughafen BER

Die Opposition im Abgeordnetenhaus fordert die Landesregierungen Berlins und Brandenburgs auf, die OVG-Entscheidung zu akzeptieren und nicht wie angekündigt, den Planfeststellungsbeschluss nachträglich wieder infrage zu stellen. „Sonst würde das neuen Klagen Tür und Tor öffnen – und der Eröffnungstermin 17. März wäre gefährdet“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Ramona Pop, auf Anfrage. Martin Delius von der Piratenfraktion, der den Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zum Flughafen-Debakel leiten soll, sagt: „Der Planfeststellungsbeschluss muss eingehalten werden, das Urteil ist umzusetzen.“

Der Anwalt von elf Anwohnern wirft der Landesregierung Betrug vor.

Der Würzburger Anwalt Wolfgang Baumann, der für elf Anwohner aus Blankenfelde-Mahlow, Schulzendorf, Bohnsdorf und Berlin den OVG-Eilbeschluss erwirkt hatte, wirft den Landesregierungen Täuschung vor. Deren Darstellungen, die Schallschutzvorgaben seien überzogen, seien „tendenziös“ und „verfälschend“. Vielmehr sei der festgelegte Schutz in Deutschland „guter Standard“.

Zehn Jahre Platzeck - eine Brandenburger Chronik:

Beim Streit um den Schallschutz läuft es jetzt auf eine absurde Situation hinaus. Die Flughafengesellschaft, die Berlin, Brandenburg und dem Bund gehört, soll gegen Brandenburgs Infrastrukturministerium klagen. Das Oberverwaltungsgericht hatte vor eineinhalb Wochen das Ministerium dazu verpflichtet, gegenüber der Flughafengesellschaft die im Planfeststellungsbeschluss festgelegten strengen Schallschutzziele durchzusetzen. Dass nämlich in 14 000 Wohnungen tagsüber kein einziges Mal der Gesprächspegel von 55 Dezibel durch Fluglärm überschritten werden darf. In einem förmlichen Verfahren muss die FBB nun eine Stellungnahme zu dem OVG-Beschluss abgeben. Das Ministerium erwartet diese in der kommenden Woche. Erst dann gibt es einen Bescheid heraus. Gegen den wiederum soll die FBB klagen. So hat es der Aufsichtsrat am vergangenen Freitag beschlossen – mit den Stimmen aller drei Gesellschafter. Wobei Brandenburg im Protokoll festhalten ließ, dass es lediglich eine Überschreitung der 55-Dezibel-Grenze am Tag wolle, wohingegen Berlin, der Bund und die Flughafengesellschaft sechs Überschreitungen zulassen wollen.

Anwalt Baumann, dessen Kanzlei mehrere Verfahren wegen Fluglärms führt und Anfang April für Anwohner ein Nachtflugverbot in Frankfurt am Main erstritten hatte, spricht wie das OVG von einem systematischen Verstoß gegen den Planfeststellungsbeschluss. Weil die FBB jetzt auch mit Rückendeckung des Aufsichtsrates den Schallschutz mindern will und „bewusst und systematisch falsch informiert“ habe, prüft Baumann eine Strafanzeige wegen „versuchten oder vollendeten Betrugs“ nicht nur gegen die Geschäftführung der Flughafengesellschaft, sondern auch gegen Klaus Wowereit und Matthias Platzeck als Spitzen des Aufsichtsrates.

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