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Wenn der Spaß aufhört. Auf Berliner Spielplätzen gab es in den vergangenen Tagen gleich dreimal Fälle von Gewalt unter Kindern.

© Doris Spiekermann-Klaas

Gewalt unter Kindern: Tatort Spielplatz: Die Hemmschwelle sinkt

Wieder wurde ein Kind von Kindern auf einem Spielplatz überfallen, dieses Mal in Halensee. Die Gewaltbereitschaft nimmt zu, sagen Ermittler. Viele Jüngere wollen das Verhalten älterer Geschwister nachahmen.

Zwei Kleinkinder schaukeln neben der hölzernen Kletterburg, im Sand liegen Schaufeln und anderes Spielzeug. In Blickweite sitzen am Donnerstagvormittag sechs Frauen in der Sonne und beobachten die Kinder. Der kleine Spielplatz in der Joachim-Friedrich-Straße in Halensee ist ein beliebter Treffpunkt im Kiez. Das genau hier am Dienstag ein Elfjähriger von zwei anderen Kindern mit einem Messer bedroht und beraubt wurde, wollen die Frauen kaum glauben. „Seit Jahren komme ich fast jeden Tag hierher“, sagt eine Tagesmutter. „Probleme mit Jugendlichen hatten wir nie.“

Laut der polizeilichen Kriminalstatistik haben Gewalttaten unter Kindern über die letzten Jahre zugenommen. Von 2005 bis 2009 stieg die Zahl der Gewalttaten, bei der unter 14-Jährige die Tatverdächtigen sind, von 1440 auf 1789 Fälle – den größten Anteil macht Körperverletzung aus, die sich von 1170 Taten auf 1480 erhöht hat. Die Zahlen der Polizeistatistik 2010, die dem Tagesspiegel bereits vorliegen, zeigen, dass die Gesamtzahl der von Kindern begangenen Straftaten im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist. 2009 gab es 5730 tatverdächtige Kinder, 2010 waren es nur noch 5360, davon 273 unter acht Jahren. Ob aber auch die Gewalttaten gesunken sind, wird erst klar, wenn in den nächsten Wochen die Sonderauswertung „Jugenddelinquenz“ von der Polizei veröffentlicht wird.

Die in den letzten Tagen genannten Fälle, seien „herausragende, traurige Vorfälle, die aber einen momentanen Eindruck“ widerspiegelten, betonte ein Polizeisprecher. Gemeint sind die beiden Gewalttaten in der vergangenen Woche, bei denen ebenfalls Spielplätze der Tatort waren: In Lichtenrade war es vor einer Woche ein erst Siebenjähriger, der mit einem abgebrochenen Küchenmesser auf einen Neunjährigen losging – dessen Schnittwunde im Gesicht musste genäht werden. Wenige Tage später brachte ein Elfjähriger in Wedding eine Softair-Pistole, eine echt aussehende Waffe, mit der man Plastikkugeln verschießen kann, mit auf einen Spielplatz. Damit schoss er auf ein Mädchen, um von ihr das Taschengeld zu erpressen. Zwei Kinder wurden verletzt. Anschließend steckte der Junge dem Bruder eines verletzten Mädchens ein brennendes Streichholz in die Nase.

Ist die Hemmschwelle unter Kindern niedriger geworden, die Gewaltbereitschaft höher? „Ja“, sagt ein Ermittler, der sich im kriminalitätsbelasteten Rollbergkiez in Neukölln besonders gut auskennt. „Hier haben die Jungen, so ab acht Jahren aufwärts, häufig ein Messer dabei.“ Die Kinder bekämen das Verhalten – „Messertragen ist cool“ – von älteren Brüdern, Cousins oder Freunden vorgelebt. „Die wollen die Großen nachahmen. Das führt dazu, dass sie andere Kinder abziehen, also Geld oder Spielzeug erpressen, weil die Älteren ihnen das gewissermaßen vorleben“, sagt der Ermittler. Die Waffen selbst bekämen sie über Kontakte zu Älteren. Die Eltern wüssten davon meist nichts. „Zu Hause heißt es kuschen, was draußen passiert, darum kümmern sich die Erziehungsberechtigten häufig nicht.“

Auf dem Spielplatz in Halensee glauben die Frauen, dass es sich bei der Attacke vom Dienstag um einen Einzelfall handelt. „Solche Geschichten hört man ja sonst nur aus Problembezirken.“ Auf der nahen Polizeiwache am Ku’damm ist der Spielplatz nicht als Brennpunkt bekannt. „Ärger gibt es dort eigentlich keinen“, sagt ein Beamter.

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