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Tempelhofer Feld: Haltet die Bahn frei!

Nach der Absage der Internationalen Gartenausstellung 2017 auf dem Tempelhofer Feld wird der Kampf um die künftige Nutzung des Wiesenmeers nun erst richtig losgehen.

Nichtstun kann glücklich machen. Zumindest all jene Berliner, die täglich eine unverbaute Weitsicht mitten in der Stadt genießen. Das Tempelhofer Feld, der Natur überlassen, ist in den zwei Jahren seit der Öffnung zum innerstädtischen Kleinod geworden – mit seinen weiten Wiesen zum Relaxen und Schlendern, der Rollbahn für alle Fun-Aktivitäten, den Schrebergärten 2.0 der Generation Urban Gardening. Hier wuchert Berlin mit einem Schatz. Nicht einmal mehr die Linksautonomen stören sich noch am Zaun, der nächtlichen Sperrung und dem geregelten Zugang, die ganz unaufdringlich dazu beitragen, dass die Berliner und ihre Gäste sich im größten Park der Stadt gesittet benehmen und Vandalismus draußen bleibt. Keinen Plan zu haben, kann sich manchmal zu einer Wohltat auswachsen. Nie war Nichtstun politisch erfolgreicher.

Beklagen kann man immer noch, dass es nach der lange absehbaren Schließung des Flughafens Tempelhof keine Konzepte für eine Nachnutzung gab. Doch die Not hat aus dem Ort längst eine Tugend gemacht. Niemand vermisst deshalb etwas, wenn es 2017 nun doch keine Internationale Gartenausstellung auf dem Flugfeld gibt. Wer braucht einen versprochenen „Volkspark des 21. Jahrhunderts“ oder einen extravaganten Landschaftspark, wer vermisst Erlebnisbereiche, Kletterfelsen und gärtnerische Sonderschauen, wenn das Tempelhofer Feld auch im sich selbst überlassenen Zustand ein Erlebnisraum ganz besonderer Qualität ist. Natur pur bis zum Horizont gibt es jetzt schon zum Nulltarif; da braucht es keine 30 Millionen Euro, um die verwilderte Idylle zum Kunstgarten zu machen.

Kitelandboarder auf dem Tempelhofer Feld:

Doch bilde sich niemand ein, mit der Absage des Senats an die IGA sei die „Tempelhofer Freiheit“ für immerdar ein den Verwertungsinteressen entzogenes Gelände. Im Gegenteil. So zunehmend fragwürdig eine Gartenausstellung wurde, so sehr hätte sie wie eine Zeitglocke das Gelände bis nach 2017 jeder anderen Nutzung entzogen. Wandert die IGA nach Marzahn in die direkte Nachbarschaft der Gärten der Welt, dann öffnet das zugleich die Tür für andere Verwertungsideen für den ehemaligen Flughafen. Mit der Absage an die IGA wird der Kampf um eine künftige Gestaltung erst richtig anfangen. Auch die Gartenausstellung ist bereits ein Beispiel für Nutzungskonflikte, weil die IGA für 2017 unbedacht Flächen okkupieren wollte, die bereits von der Modemesse Bread & Butter gepachtet sind. Andere Begehrlichkeiten werden folgen. Sich Zeit zu lassen, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, dass der urbanen Bedeutung der Fläche entspricht und nicht vorschnell vollendete Tatsachen zu schaffen, kann ein Gewinn sein – vorausgesetzt, die Landespolitik hält den Zustand schwebender Unentschlossenheit aus.

Sport auf dem ehemaligen Flugfeld - so nutzen die Berliner die Freifläche:

Denn wenig Fantasie braucht es zur Vorhersage, dass der Nutzungsdruck in der Stadt der rasant steigenden Immobilienpreise weiter wachsen wird und der Konzepte immer mehr werden: vom Gesundheitsquartier bis zum Busbahnhof, von Gewerbeflächen an der Autobahn bis zur Wowereit’schen Landesbibliothek, von Flächenwünschen für das Alliierten-Museum bis zur Expansion der Bread & Butter. Es geht schon los: Die Industrie- und Handelskammer fordert bereits massiven Wohnungsbau. Und weiter geplant ist die Umgestaltung zum Landschaftspark.

„Bewegungsfreiheit“ war das Motto, als das Feld im Mai 2010 freigegeben wurde. Geistige Bewegungsfreiheit brauchen die Politik, die Initiativen und die Projektentwickler. Stadtentwicklungssenator Michael Müller, der sich kurz nach Amtsantritt gegen einen „Flickenteppich“ und „Bauchladen“ an Nutzungen ausgesprochen hat, muss noch liefern; die Bürgerinitiative „100 % Tempelhofer Feld“ mobilisiert derweil schon für einen Volksentscheid gegen sämtliche Bebauungspläne unter dem Titel „Flächendenkmal des ungeteilten Himmels“. Tür zu und draußen bleiben mit Ideen wird es nicht geben auf dem Tempelhofer Feld. Wer sich jetzt zurücklehnt und genießt, anstatt die „Tempelhofer Freiheit“ zu sichern, der wird sich wundern, wie schnell andere dies unbestellte Feld beackern werden.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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