zum Hauptinhalt
Umstrittener Autor und Politiker in Denkerpose: Thilo Sarrazin wird 70 - und kein bisschen altersmilde.

© dpa

Thilo Sarrazin feiert Geburtstag: 70 Jahre, 1000 Thesen

Berlins Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin feiert am Donnerstag Geburtstag. Und ist immer noch der Meinung, dass Deutschland sich abschafft.

Er kam, sah und provozierte. Thilo Sarrazin, der an diesem Donnerstag seinen 70. Geburtstag feiert, hatte es schon als Berliner Finanzsenator nicht darauf angelegt, sich mit seiner Politik Freunde zu machen. Kaum gewählt, kritisierte er den Haushalt: Die Ausgaben seien um 20 Prozent zu hoch, die Einnahmen um zehn Prozent zu niedrig, analysierte Sarrazin im Januar 2002. Damit keine Missverständnisse aufkamen: Die Verwaltung müsse leistungsfähiger werden. Bis 2006 könne der Senat eine Milliarde Euro einsparen.

Die SPD hätte ihn am liebsten ausgeschlossen

Das war der erste politische Tabubruch eines Mannes, den heute viele für einen Sympathisanten der Partei Alternative für Deutschland halten – und den viele Sozialdemokraten schon vor Jahren am liebsten aus ihren Reihen ausgeschlossen hätten. Sarrazin nimmt es gelassen. Die Freunde, die er als Politiker hatte, habe er immer noch – die anderen „waren auch vorher nicht meine Freunde“. Das „Vorher“ kann man auf Sarrazins schärfsten Angriff auf den Konsens in der konsensverliebten Bundesrepublik beziehen, die Veröffentlichung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“, von dem angeblich im Erscheinungsjahr 2010 mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden.

Das Buch habe er aus Sorge geschrieben

Die mit vielen Statistiken versehene Untersuchung einer – aus Sarrazins Sicht – gescheiterten Einwanderungspolitik wirkt heute wie der intellektuelle Überbau für den Groll der Pegida-, Legida-, Bärgida-Anhänger, die an einer „Islamisierung des Abendlandes“ alles festmachen, was ihnen nicht passt. Das Buch „Deutschland schafft sich ab“ habe er geschrieben, „weil ich mir aus meiner Berliner Erfahrung Sorgen gemacht habe“, sagt Sarrazin heute. In der Diskussion über den richtigen Umgang mit den Pegida-Anhängern sieht er sich wieder mit einer politischen Debattenkultur konfrontiert, die unter dem Oberbegriff Weltoffenheit erteilt, was Sarrazin für Denkverbote hält.

Es sei „interessant, wie sich die Gesellschaft teilt“, sagt Sarrazin, ganz kühler Analytiker: Auf der einen Seite die Verfechter von Multikulti und Offenheit; auf der anderen Leute mit dem Gefühl, „dass Politiker die Probleme nicht im Griff haben“. Die Themen, die er vor Jahren schon angesprochen hat, „werden immer drängender“. Er sehe das „mit einer gewissen fassungslosen Heiterkeit“, sagt Sarrazin.

Angetreten war er 2002

Den Rückzug des Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky aus der Politik kommentiert er mit dem lakonischen Satz, Buschkowsky sei „immer noch mehr Strukturoptimist gewesen, als ich das bin.“ Eisgekühlten Humor und die Freude an der feinsinnigen Formulierung hat er, wie den Tabubruch, in Berliner Zeiten trainiert. Nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit – Sarrazin war gerade zur Bundesbank gewechselt – zog er 2009 in der Zeitschrift „Lettre“ Bilanz seiner Erfahrung mit der Berliner Integrationspolitik, konzentriert in dem von vielen als abfällig kritisierten Satz: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.“

Angetreten war er Anfang 2002, den Berlinern das Sparen beizubringen, damit sie das Haushalten lernen. Das war Sarrazins Agenda für die erste rot-rote Legislaturperiode, dafür hatte Klaus Wowereit den Finanzfachmann geholt. Gerade mal 13 Jahre ist es her, dass ein Regierender Bürgermeister der Stadt, die sich für unvergleichlich hält, einen „Mentalitätswechsel“ verordnete und sich einen Finanzsenator zulegte, der den Berlinern per Benchmarking zeigte, was gemeint war: Im Vergleich zu Hamburg oder Bayern habe Berlin 70.000 Beamte zu viel.

Er schlug Hartz-IV-Beziehern Mahlzeiten vor

Als Wowereit dann den Öffentlichen Dienst in einen Solidarpakt mitsamt Verzicht auf regelmäßige Besoldungserhöhungen zwang, war klar: Der Regierende und sein Sarrazin machten Finanzpolitik ohne Rücksicht auf Verluste, aber mit Sinn für Nachhaltigkeit. Er rechnete vor, welche Mahlzeiten man sich als Hartz-IV-Bezieher kochen könnte, um sich vollständig, gesund und wertstoffreich zu ernähren. Das war nur einer von vielen maliziösen Sprüchen, die man ihm auch in der SPD übel genommen hat. Seinen 70. Geburtstag will er heute in Berlin feiern – privat.

Zur Startseite