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Auf dem Weg zur Stimmabgabe - im Berliner Olympiastadion.

© dpa

Türken aus Berlin wählen im Olympiastadion: "Erdogan will nur das Beste für uns"

Im Olympiastadion wählen Türken aus Berlin ihren Staatspräsidenten. Das hat es in Deutschland noch nie gegeben. Ein Besuch im Wahllokal - bei dem Recep Tayyip Erdoğan favorisiert wird

Erstmal ein Foto. Die beiden jungen Männer ziehen ihre Smartphones aus den Hosentaschen und bleiben stehen. Das Olympiastadion in strahlender Morgensonne. Das Olympiastadion mit türkischer Flagge. Klick. Die hängt leuchtend rot von der Brüstung über dem östlichen Eingang zu diesem gewaltigen Gebäude, gleich über einem Banner, das ausweist, worum es hier heute geht. „Türkische Präsidentschaftswahlen“, steht darauf. Und: „Berliner Wahllokal“.

Am 10. August wird in der Türkei ein neuer Staatspräsident gewählt. Recep Tayyip Erdoğan steht zur Wahl, der Ministerpräsident; Selahattin Demirtaş von der pro-kurdischen Partei HDP und Ekmeleddin Ihsanoğlu, der gemeinsame Kandidat der beiden größten Oppositionsparteien der Türkei, CHP und MHP. Und Tage zuvor dürfen jetzt die im Ausland lebenden Türken ihre Stimmen abgeben. Eine doppelte Premiere, denn beides war bislang nicht möglich: sowohl die Direktwahl des Staatspräsidenten als auch die Stimmabgabe im Ausland. Rund 1,4 Millionen Wahlberechtigte leben in Deutschland, für sie wurden Wahllokale in insgesamt sieben Städten eingerichtet.

In 51 eigens von der türkischen Regierung angemieteten Logen des Berliner Olympiastadions können bis zum kommenden Sonntag etwa 140 000 Türken aus dem Zuständigkeitsgebiet des Berliner Konsulats wählen – dazu zählen auch Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Komplizierte Registrierung

Das Prozedere zur Registrierung allerdings war reichlich kompliziert, vor allem online zu absolvieren, weswegen Generalkonsul Ahmet Başar Şen am sehr frühen Donnerstagmorgen erstmal jede Menge Zahlen sortieren muss. Denn zusätzlich zur obligatorischen Registrierung beim Hohen Wahlrat der Türkei gab es die Möglichkeit, sich einen Wunschtermin für die Stimmabgabe zu sichern. Letzteres machten in Berlin nur knapp zehn Prozent der Türken. Alle anderen bekamen einen Termin zugeteilt. Ob die aber auch alle kommen werden? „Das wissen wir nicht“, sagt der Generalkonsul. Er steht im Oberrang des Stadions, gebündelt sind Mikrofone in seine Richtung gestreckt, hinter seinem Rücken wässern in aller Ruhe zwei Rasensprenger das Grün. Noch ein Blick ins Wahllokal Nummer 16 nebenan, wo drei Wahlhelfer für die Kameras bereitwillig ein paar Zettel sortieren. Pappaufsteller als Wahlkabinen, Papiere, Urne – und raus. Die ersten Wähler kommen und Presse, verfügte der Hohe Wahlrat, hat hier dann nichts mehr verloren.

Vor dem Ost-Eingang haben sich schon Schlangen gebildet, Väter und Söhne stehen hier, Familien, Freundinnen, Eheleute, wie diese beiden, die am frühen Morgen mit der U-Bahn kamen. Er geht am Stock, trägt ein helles Jackett über dem weißen Hemd. 76 ist er, seine Frau, da lacht er sie an, „59 geboren“. Kreuzberger schon ewig, seit 1964, die Haare wurden ihm darüber weiß, die Zähne sind ihm ausgefallen. Der Sohn hat ihnen online einen Termin für die Wahl vereinbart, die erste Wahl, an der sie in ihrem Leben teilnehmen. Vorher hat es nie gepasst, sagen sie. Jetzt aber! „Das in Berlin tun zu können ist sehr praktisch.“ Die CHP wird ihre Stimme bekommen, die Opposition. Natürlich. Sie dachten nie anders. Die AKP aber wird gewinnen, glauben sie. Erdoğan also. Garantiert, sagen sie und zwinkern. „90 Prozent.“

Ausgezählt wird in der Türkei

Nihal Kaynak steht hinter dem Paar in der Schlange. Es wäre schön, wenn ein jüngerer Kandidat gewänne, sagt sie. Vielleicht Selahattin Demirtaş, 1973 geboren. Die 58-Jährige ist Sozialarbeiterin und lebt seit 1970 in Charlottenburg. Auch sie hat an keiner türkischen Wahl teilgenommen – bis jetzt.

So eine Wahl und dann nicht wählen, das geht nicht, meint auch ein 48-jähriger Weddinger. „Es ist unsere Erlösung von der Sklaverei“, sagt er und lacht, weil das doch arg pathetisch klingt. Und trotzdem: diese direkte Beteiligung an der Entscheidung, wer der neue Präsident der Türkei werden soll, das gefällt ihm, so sollte es sein. Er tippt auf eine Stichwahl, keinen Durchmarsch Erdoğans. Selbst wenn der wohl am Ende siegt.

„Das hoffe ich“, sagt eine zierliche Dame mit elegantem Kopftuch, schräg hinter ihr erklärt ein Herr auf Türkisch: „Das, was Erdoğan sagt und denkt, sagt er in unserem Interesse. Er will nur das Beste für uns.“

All ihre Meinungen werden in wenigen Tagen gemeinsam in die Türkei geflogen. In ungeöffneten Umschlägen, so will es die Regierung. Die Wahl mag hier stattgefunden haben – ausgezählt wird dort.

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