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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Kolumne "Mein Berlin": Türkin? Nur im Urlaub

Notizen aus der globalen Stadt von Hatice Akyün

Ich bin mit meinen Landsleuten in den Urlaub geflogen. Busladungen von ihnen wurden am Flughafen abgesetzt. Schlangen über Schlangen vor den Check In-Schaltern der türkischen Fluggesellschaften. Ein bisschen sah es wie die Flucht vor der schwarzgelben Kopfpauschale aus.

In Tegel bot sich mir ein ungewohntes Bild: Weit und breit keine Karawanen mit Gepäckkulis, auf denen sich mit Wäscheleine festgeschnürte Reisetaschen türmten. Keine mit Folie umwickelten Koffer und verklebte Kartons, in denen ursprünglich Küchengeräte verkauft wurden. Kein Meer von Plastiktüten, zum Zerreißen gefüllt, an dunkel behaarten Armen. Kurz: weit und breit keine Türken. Nicht ein einziger.

Stattdessen hunderte von Trolleys in bunten Farben, mit Weichgummirollen und ergonomischen Griffen, die wiederum von Händen gehalten wurden, die zu Körpern gehörten, die einer perfekten Choreografie folgten. Im Gleichschritt marschierend, in Socken, die die Kraft über Sandalen geräuschlos auf den Boden übertrugen. Nur der abrupte Stillstand in den schwingenden, aber perfekt ondulierten Frisuren der Frauen zeigte an, dass die Kolonne zum Stehen gekommen war, millimetergenau, in genormtem Abstand.

Da stand ich nun mitten unter ihnen mit meinem Vier-Rollen-Schiebe-Trolley, weil der ja viel praktischer ist als der Zwei-Rollen-Zieh-Trolley. Allein meine Anwesenheit genügte, um den Altersdurchschnitt in der Schlange um schätzungsweise 36 Jahre zu senken. Der Vorteil, wenn ich mit urlaubserprobten Freizeitprofis fliege, ist, dass alles perfekt läuft, wie eine tausendmal geübte Notfallübung. Das Boarding geht ruckzuck, kein Gerangel um die Plätze, keine überfüllten Gepäckfächer. Zügig wird das Nackenkissen aufgeblasen und die Schlafmaske über die Augen gestülpt. Nicht mal das obligatorische Klatschen, wenn die Räder des türkischen Fliegers den Boden berühren. Schließlich applaudieren wir ja auch nicht im OP, wenn der Oberarzt seine Arbeit fehlerfrei zu Ende bringt.

Es ist mir ein Rätsel, dass ein Land, dessen Lieblingsthema die Überfremdung ist, bei jeder Gelegenheit so international auf Reisen geht. Ein Freund klärte mich schließlich auf. Er meinte, dass sich der Deutsche seit der Varusschlacht aus allen Nationen der Welt zusammensetzt. Er müsse also reisen, damit er den Flecken wiederfände, von dem einst seine Ur-Ur-Ur-Vorfahren aufgebrochen seien.

Die visumfreie Einreise in die Türkei ist übrigens der Grund, warum die Russen schwarmartig in Antalya einfallen. Zahlenmäßig haben sie die Deutschen längst überholt und sich die Küstenstadt unter den Nagel gerissen. Ein türkischer Kellner erklärte mir die Lage folgendermaßen: „Jahrelang haben wir uns über die Deutschen lustig gemacht. Allah hat uns nun dafür bestraft und uns die Russen geschickt.“

Paradox, dass ich immer wieder, auch wenn ich in das Land zurückkehre, in dem ich geboren bin, meinen Urlaub in der Türkei verbringe. Vielleicht liegt es daran, dass ich zwar durch und durch deutsch bin, aber meine türkischen Gene verrückt spielen, wenn ich mich in einer Situation wiederfinde, die mich zwingt, meine türkischen Landsleute in Schutz zu nehmen: „Schade“, sagte ein deutscher Hotelgast zu seinem Gegenüber, „dass die Türken in Deutschland nicht genauso freundlich und höflich sind wie hier.“ „Schade“, warf ich ungefragt ein, „dass die Deutschen in Deutschland nicht genauso freundlich und höflich sind, wie in ihrem Türkeiurlaub.“ Vielleicht lerne ich doch noch angeln und probiere es im nächsten Jahr mit Lachsfischen in Kanada.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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