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Berlin: Unter allen Wipfeln ist Ruh’

Berlins erster und einziger Friedwald befindet sich auf dem Bartholomäus-Kirchhof in Weißensee. Urnengräber liegen dort am Fuße von Bäumen, die Grabpflege übernimmt die Natur.

Ein Paar schaut sich im hinteren Teil des St. Bartholomäus-Kirchhofs jeden Baum ganz genau an: Stamm, Äste, Zweige, Krone, die Pflanzen an den Wurzeln, den Abstand zum Nachbarstamm. Sie wechseln Blicke, manchmal nickt er in ihre Richtung. Seine Frau wirkt unentschlossen, dreht noch einige Runden und fotografiert dann verschiedene Plätze. Was die beiden da tun? „Wir suchen unsere Grabstelle aus, da muss schon alles stimmen“, sagt sie, als beide den Friedhof in der Giersstraße in Weißensee verlassen. „Wir sind nicht zum ersten Mal hier.“ Der ausgewählte Baum im neu geschaffenen Friedwald soll zu ihrer Familie passen.

Das Paar ist nicht allein unterwegs auf dem 3,5 Hektar großen Gelände. Seit der Eröffnung Anfang November zieht Berlins erster Friedwald die Interessenten an; eine solche alternative Bestattungsmöglichkeit gab es bisher nur im Umland. Die Asche Verstorbener wird in biologisch abbaubaren Urnen beigesetzt, an den Wurzeln eines Baumes. Die Grabpflege übernimmt die Natur. „Bei unserer letzten Führung vor einigen Tagen waren wir selbst von der großen Resonanz überrascht“, sagt Friedhofsverwalter Jürgen Kiesow. „Bei 150 haben wir aufgehört zu zählen.“ Es gebe eben noch viel Informationsbedarf.

In Brandenburg und anderen Bundesländern sind Friedwälder bereits bekannter. Bundesweit haben sich seit 2001 geschätzt 100 000 Menschen für eine solche Bestattung entschieden oder sich einen Platz reservieren lassen.

Jürgen Kiesow kennt den Weißenseer Kirchhof seit 1980; damals hat er dort als Totengräber angefangen. Schon zu DDR-Zeiten hätten sich Angehörige auf dem bewaldeten Gelände am liebsten einen bestimmten Baum für ihre letzte Ruhestätte ausgesucht. Der Friedwald ist nun im hinteren, baumreichen Teil des Friedhofs entstanden; rund ein Drittel der Fläche nimmt er ein. Interessenten nennen vor allem zwei Motive für eine Bestattung unter Wipfeln: Sie wollen ihren Hinterbliebenen die Pflege eines Grabes nicht aufbürden, und sie wollen mit dem Wunsch ihrer Sehnsucht nach Natur Ausdruck geben.

Zwei solcher Grabstellen gibt es schon. Doch die Verwaltung hat auch eine Art Mustergrab angelegt. An einem Baum hängen beispielhaft Tafeln mit Namen – anonym beigesetzt, wie auf vielen anderen Friedwäldern, wird hier also nicht. Urnen werden im Drei-Meter-Radius um den ausgesuchten Stamm in mindestens 80 Zentimeter Tiefe in die Erde versenkt. Damit bleiben sie für Tiere unerreichbar.

205 Bäume stehen derzeit zur Auswahl: Bergahorn, Spitzahorn, Kastanie, Linde, Ulme, Esche. Bänder in verschiedenen Farben kennzeichnen die Stellen zum Beispiel als „Familien- und Freundschaftsbaum“ oder „Gemeinschaftsbaumplatz“. Erstere bieten Raum für maximal zehn Urnen, hier kann eine ganze Familie Platz finden. Die Grabstelle kostet 4242 Euro. Bei der zweiten Variante erwirbt man Einzelgräber, die Kosten belaufen sich auf 990 Euro. Höchstens 16 Urnen kommen hier in die Erde. Die Nutzungsrechte gelten für 40 Jahre, nach 20 Jahren muss die Verlängerung vereinbart werden.

Eine Besonderheit auf dem Kirchhof St. Bartholomäus sind die „Sternschnuppenbäume“, Graborte für Kinder, die im Alter von bis zu drei Jahren verstorben sind. Für solche Grabstellen fallen keine Gebühren an, die Familie muss ausschließlich die Kosten für Beisetzung und Trauerfeier tragen.

Die Unterschied zwischen Friedwald und den üblichen Gräbern ist augenfällig. Unter den Bäumen gibt es keine Blumen, Kränze, keine Bepflanzung oder brennenden Kerzen, keine Kuscheltiere und Putten. Trauergebinde oder Souvenirs können aber am Rand des Friedwald-Gebietes auf Granitplatten abgelegt werden.

Zwei weitere Friedwald-Besucher an diesem Tag haben sich schnell entschlossen. „Geradlinig gewachsen und ein zweiter Stamm gleich nebenan“, sagt der Mann mit einem Augenzwinkern zum ausgewählten Ort. Die beiden gehen jetzt zur Friedhofsverwaltung, um den Ort für ihre letzte Ruhe zu reservieren.

Am heutigen Totensonntag können sich Interessenten von 10 bis 14 Uhr auf dem Friedwald kundig machen. Um 14 Uhr beginnt eine Andacht. Am 7. Dezember wird ab 14 Uhr eine Führung durch den Friedwald, Giersstraße 19/21 angeboten. Mehr Informationen unter Telefon 9 26 34 38 oder www.friedwald.de/bartholomaeus

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