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Kaffeehaus Einstein Unter den Linden.

© Kai-Uwe Heinrich

Unter den Linden wird gefeiert: Happy Birthday, Einstein!

Ob Schwatz mit Apfelstrudel oder Plaudertasche mit Kaffeesatz: Das berühmte Café Einstein in Berlin erweist sich zu seinem 20. Geburtstag als glückliche Konstante. Eine Würdigung.

Einen Tag nach Frühlingsanfang, am 21. März, wird das Café Einstein Unter den Linden zwanzig Jahre alt. Da muss man mal hin als Plaudertasche zwecks Kaffeesatzleserei – und stellt mit Verwunderung etwas für diese verrückte Stadt nicht gerade Typisches fest: Hier ist fast alles wie früher. Früher mag in diesem Fall relativ sein, aber es ist eben so, wie es schon zur Geburt anno 1996 war. Das freundliche Personal, das bei aller Geschäftigkeit nie das Lächeln vergisst. Die Kunst an den Wänden – wunderbare Fotografien von prominenten Menschen, die hier verkehrten, und von solchen, die hier eingekehrt wären.

So hängen sie an der Wand, frisch wie ein lachender Morgen: Marylin Monroe, die aus dem Fenster auf dein Spiegelei blinzelt, Romy Schneider, Udo Lindenberg („Lindenberg gehört Unter die Linden“) im Original mit Hut hinten links auf der Couchgarnitur und die ganze Politikerschar von Angela Merkel über Gerhard Schröder bis zu Joschka Fischer, Otto Schily, Rita Süßmuth und den vielen anderen, die hier, hoffen sie, ungestört flüstern, telefonieren und ihre Netze knüpfen.

Die Namen der Protagonisten ändern sich, die kaffeebraunen Ledercouchgarnituren bleiben. An einem der Marmortischchen löffelt Christine Spengler, eine weltbekannte Kriegsfotografin aus Frankreich, ihren Cappuccino und findet das Flair so quirlig wie die ganze Stadt. Unter Rucksacktouristen mischen sich junge, bärtige und kraftstrotzende Netzarbeiter, die die Tasten ihrer Geräte bespielen wie ein Piano: Nein, Kaffeehausmusik ist hier kein Wiener Walzer, sondern das ewige Rhabarberrhabarber, das den Raum füllt, das Knistern der Zeitungen und Journale, die zwischen den hohen Fenstern hängen, von seriös bis bild, das Scheppern der Teller, lautes Gelächter und das Zischen der Espressomaschinen.

Vielleicht ist das irgendwann am Nachmittag ein Ort der Ruhe und gepflegten Unterhaltung, wenn die Freundinnen zum Schwatz mit Apfelstrudel kommen, aber auch, wie es der Schriftsteller Durs Grünbein sah: „Eine blutjunge Zwietracht streicht Butter auf ihr Baguette. Empfindsamkeit raucht, von Champagnern und Austern erregt, überm Wiener Schnitzel, das Haar ergraut, hockt eine Meinung.“

Apropos Wien: Der Einstein-Gründer und Besitzer Gerald Uhlig-Romero bezirzt durch einen wunderbaren Wiener Akzent in der Stimme, er hat an der Donau die schönen Künste studiert und seinem Einstein („ein Gesamtkunstwerk!“) die Wiener Kaffeehaustradition eingehaucht: Die Karte offeriert 23 Varianten des duftenden Muntermachers, vom kleinen Braunen bis zum Marnissimo, zuvor sollen wir uns Wiener Backhendl oder das berühmte, zwei Handteller große Wiener Schnitzel einverleiben, zur Beruhigung lokalpatriotisch-kulinarischer Sehnsüchte trägt eine zarte Berliner Kalbsleber bei.

Uhlig geriet mit seinem Café in den Nach-Wende-Neubau-Eröffnungsstrudel, das Haus Pietzsch an der Ecke zur Neustädtischen Kirchstraße ist, wie das Lafayette, ein Kind der Wende. In der Galerie neben dem Kaffeehaus zeigt gerade Jim Rakete seine Porträts der Wiener Burgschauspielerschar.

Gerald Uhlig hat zu Beginn des Jubiläumsjahres sein Einstein an ein Gastronomiekonsortium verkauft, („Grill Royal!“, flüstert der Kellner), es sei in guten Händen, heißt es, übrigens haben die diversen Einsteins miteinander nichts zu tun: Das Mutterhaus bleibt sich in der Kurfürstenstraße treu, die unter dem gleichen Namen segelnden Coffee-Shops sind eine Kette, und das florierende Einstein Unter den Linden ist die einzig wahre leuchtende Perle auf diesem Boulevard, der keiner mehr ist, weil er seinen Ruf aus längst vergangenen Zeiten mit reitenden Königen, Heinrich Heines Gedichten und Schinkels stolzen Bauten sehenden Auges brutal verspielt hat: Niemand scheint sich um eine Wiederkehr des Flairs zu kümmern. Wen scheren schon unzählige Baustellen? Wer verhindert, dass die „Linden“ weiter ihr hässlichstes Gesicht zeigen dürfen? Weshalb hört die Bauerei an Staatsoper und Staatsbibliothek nie auf?

Wer in dieser in jedem Reiseführer gepriesenen Avenue Kunst und Kultur, Galerien, Antiquitätenläden, Theater und edle Gastronomie erwartet, wird jedes Jahr aufs Neue enttäuscht: Statt billiger Souvenirläden sondern Zahl und einem trotzig verteidigten, heruntergekommenen Gebäude, das einmal die Polnische Botschaft war, sollte hier eines Tages die Stadtkultur auferstehen. Aber wer fühlt sich dafür verantwortlich? Momentan niemand. Die Stadt braucht einen wichtigen Menschen, dessen Herz für die Linden schlägt. Einen Linden-Retter. Alle, denen diese Stadt lieb ist, sollten Linden-Alarm schlagen, wenn es dazu nicht schon zu spät ist.

Das Einstein tut, was es kann. Nach dem traurigen Sterben des Operncafés ist es, vielleicht mit dem Café Lebensart, der einzige Ort am Platze, an dem man sich etwas gönnen mag. Und sei es eine halbe Stunde Ruhe. Die kann man freilich auch im „Raum der Stille“ im rechten Flügel vom Brandenburger Tor haben. Mit Beten, aber eben ohne Kaffee.

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