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In Berlin sind vor allem Muslima von Zwangsheirat betroffen. Das Phänomen existiert aber auch in Familien mit anderem religiösen Hintergrund.

© dpa

Verbotene Liebe: Eine Beziehung im multikulturellen Ausnahmezustand

Seit drei Jahren führen Christian und die Muslima Amal eine heimliche Beziehung. Eine Liebe, die nicht nur verboten, sondern obendrein gefährlich ist. Und zwar für beide.

Seit bald drei Jahren führe ich eine verbotene Beziehung mit Amal*. Sie war drei Jahre alt, als ihre kurdischen Eltern nach Deutschland flüchteten. Heute ist sie Mitte 20 und hat neben drei Schwestern dummerweise vier Brüder. Daher verabreden wir uns manchmal in einer dunklen Tiefgaragenecke. Bevor wir losfahren, verkleidet sie sich. Niemand darf sie mit mir sehen, und sie ist immer angespannt. Brüder oder Vater rufen ständig an. Das dient der Kontrolle. Trotzdem hat sie es irgendwie geschafft, sich den Weg an eine Fachhochschule freizukämpfen. Auch da greift die Entmündigung. Die Ansage der Brüder ist unmissverständlich. Am späten Nachmittag endet Amals überschaubarer Rest freier Selbstbestimmung. Sie muss dann zu Hause sein. Falls nicht, drohen Schläge. Und das sind keine leeren Ankündigungen.
Amal ist Muslimin und durfte nie an einer Klassenfahrt teilnehmen. Dafür haben ihre Brüder gesorgt. Sie sagt, das sei, soweit sie das in ihrem ziemlich großen Milieu überschauen kann, normal. In Deutschland ist das bekannt, und es betrifft zigtausende muslimische Schülerinnen. Trotzdem wird dagegen eigentlich nichts unternommen. Obwohl es sich um ein quasi öffentliches Massenspektakel handelt, welches Mitschüler, Lehrer, Schuldirektoren und viele andere direkt beobachten.
Ein eingeschränkt normales Leben kennen junge muslimische Frauen wie Amal – wenn überhaupt – nur von Montag bis Freitag zwischen 8 bis vielleicht 17 Uhr. In den anderen Zeiten sind sie Leibeigene ihrer patriarchalischen Familienstrukturen. Bei Amal ist es so: Mit Freundinnen abends ins Kino oder Theater gehen? Verboten. Disco? Verboten. Nach der Vorlesung mit Kommilitonen ins Café gehen? Verboten, wenn 17 Uhr naht. Freundschaft mit einem Mann? Nicht nur verboten, sondern obendrein gefährlich. Und zwar für beide.

Wenn Amal muslimische Studentinnen trifft, rückt sofort ein Thema ins Zentrum: Wer darf was? Volljährige junge Frauen gleichen also das jeweils eigene Maß aktuell erlebter Entrechtung ab. Wenn jetzt jemand glaubt, Bildung sei ein Schlüssel zur Integration, der könnte sich täuschen. Ich höre beispielsweise Geschichten wie die von einer in Deutschland aufgewachsenen Kommilitonin gleichen Glaubens. Ihre Brüder haben das Studium bereits abgeschlossen. Sie verbieten ihrer Schwester Männerbekanntschaften und sperren sie ab dem späten Nachmittag zu Hause weg. So können sie aussehen, die Integrationsübungen, mit denen sich formal hochgebildete Zuwanderer an ihren volljährigen Schwestern abreagieren. Die geringsten Repressalien haben offenbar die muslimischen Frauen zu erwarten, deren Mütter keine Jungen zur Welt gebracht haben.

* Sowohl "Amal" als auch "Christian Weber" sind Pseudonyme. Mehr über die Hintergründe ihrer Beziehung lesen Sie hier.

Wenn Amal tatsächlich mal zu mir kommt, dann rattert in ihrem Hirn ständig die Prüfschleife.

Amal und ich führen eine absurde Beziehung im multikulturellen Ausnahmezustand. Ich bin noch nie neben ihr aufgewacht. Sie ist noch nie neben mir eingeschlafen. Manchmal sehe ich sie zwei Wochen nicht. Der einzige direkte Kontakt besteht dann aus abgehackten Telefonaten. Abgehackt, weil sie sich zum Telefonieren versteckt und die Gespräche urplötzlich unterbricht, wenn sich ein Bruder zu nähern droht. Völlig normale Dinge, wie zum Beispiel Hand in Hand durch die Stadt zu gehen, sind uns unbekannt. In der einen Straße hat einer der unzähligen Onkel ein Geschäft und in der anderen wohnt vielleicht einer der noch unzähligeren Cousins. Somit sind irgendwie alle Straßen tabu. Auch allein muss sie aufpassen. Wird sie gesehen, steckt das jemand durch. Schließlich könnte sie ja auf dem Weg zu einem verbotenen Freund sein und ihre „Ehre“ verlieren. Wenn Amal tatsächlich mal zu mir kommt, dann rattert in ihrem Hirn ständig die Prüfschleife: Wer geht da? Wer steht dort? Welches Auto hält an der Ampel? Wohnt hier jemand, der meine Brüder kennt?
In Amals Milieu – inmitten unserer multikulturellen Gesellschaft im Geltungsbereich des Grundgesetzes – werden Frauen wie Vieh auf dem Basar verkauft. Gute Preise erzielen junge „Unberührte“, also die mit „Ehre“. Die verschacherten Frauen ziehen bei der Familie des Ehemannes ein, haben Kinder zu gebären und dienen als Putzhilfen, Köchinnen sowie dem Mann als gefügiges Sexualobjekt. Die Ehen werden oft nur vor einem Imam geschlossen. Innerhalb des Milieus haben sie Geltung. Nicht aber nach deutschem Recht. Melden sich diese Frauen auf deutschen Ämtern, dann als unverheiratete Alleinerziehende. Mitunter legen sie Mietverträge vor, die mit der Familie des „Ehe“-Mannes geschlossen wurden. Dafür gibt es eigentlich nur einen Grund: die Absicht zum Sozialbetrug.

Zurzeit sinkt Amals Preis, weil sie studiert. Gebildete Frauen sind weniger wert, weil sie Dinge eher infrage stellen und für die auferlegten Frondienste ungeeignet scheinen. Im Alter von 16, 17 oder 18 Jahren hätte Amal rund 20 000 Euro abwerfen können. Heute würde sie nur noch einen guten Preis erzielen, wenn ihre Familie sie an einen Mann aus der alten Heimat verkaufen könnte. Es werden also auch Ehemänner importiert. Deren Familien zahlen gerne für den Zugang zum deutschen Sozialsystem. Oft in Gold, das dafür gesammelt wird. Verkauft und vor dem Imam verheiratet wird fast nur innerhalb der weit verzweigten, wirklich großen Großfamilie. Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 2013 und befinden uns in Deutschland.

In Amals Milieu werden Mädchen und Jungen für ihre Rollen von klein auf konditioniert. Träger und Bewahrer dieser multikulturellen Realität sind nicht nur die Männer, sondern ebenfalls die Mütter. Selbst sie sorgen dafür, dass alles so bleibt, wie es ist, schon, um die eigene Rolle und damit das große Ganze nicht infrage zu stellen. Jeder Zweig der Sippschaft achtet akribisch auf die Einhaltung der Regeln und übt bei Verstößen Druck aus. Schließlich sind junge muslimische Frauen, die von den Rollenmustern abweichen, schlechte Vorbilder für die Töchter anderer Mütter und damit eine Bedrohung für das System. Das würde nämlich von heute auf morgen zusammenbrechen, verweigerten sie sich massenhaft. Nach allem, was ich so höre, sollte mit der gewaltfreien Lösung solcher und anderer Milieukonflikte nicht immer gerechnet werden. Einige Frauen würden ihre Verweigerungshaltung nicht überleben. Sie werden ja schon heute mit Kopfschüssen hingerichtet. Am helllichten Tag. Mitten in Deutschland.
Seit Monaten wird in den Medien intensiv über die Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ berichtet. „Ehrenmorde“ finden weniger Beachtung. In Amals Milieu werden sie trotzdem wahrgenommen. Reaktionen der Männer und Mütter können dann so lauten: „Aber wenn das Mädchen doch ohne Ehre war …“ Das sind schonungslose Ansagen an Schwestern und Töchter, aufzupassen, sich zu unterwerfen und die Regeln einzuhalten.

Es ist eine fragwürdige Erfahrung, mit einem geliebten Menschen eine Beziehung zu unterhalten, ohne die banalsten Dinge des Alltags teilen zu können.

Manchmal entscheiden sich junge Frauen wie Amal für den radikalen Ausbruch. In Deutschland gibt es dafür Anlaufstellen. Wie Kronzeugen in einem Mafia-Prozess erhalten sie von staatlichen Stellen eine andere Identität und fangen an einem fremden Ort ein völlig neues Leben an. Danach darf es keinen Kontakt mehr mit der Familie geben. Oft sehen die jungen Frauen darin schon deswegen keinen Ausweg, weil sie in ihren Großfamilien von frühauf die Last der Hauptverantwortung für jüngere Geschwister tragen müssen. Sie glauben sich in der Pflicht und hängen an diesen Geschwistern. Dieses Pflichtgefühl übersteigt den inneren Drang nach Freiheit und lässt sie jede Schikane ertragen. Einen Ausbruch empfänden sie als Verrat an der Familie. Was sie nicht sehen, sind die Schäden, welche die familiären Repressionsstrukturen an ihren Seelen hinterlassen.
Was an Amals Berichten überrascht, ist Fremdenfeindlichkeit gegenüber Deutschen. Jemanden als „deutsch“ zu bezeichnen, gilt als Beschimpfung. Viele Migranten kamen über das Asylrecht zu uns. Sie suchten Schutz und Sicherheit vor Verfolgung und erhielten es. Warum lehnen manche von ihnen uns Deutsche, unser Land, unsere Freiheit, unsere Demokratie und unsere Kultur dann ab? Und warum bleiben sie? Einmal sagte Amal, Christen zu heiraten ist bei ihr verboten. Sie müssen vorher konvertieren. Alles andere würde mindestens den Verstoß aus der Familie nach sich ziehen. Ihre Betonung lag auf „mindestens“.
Es ist eine fragwürdige Erfahrung, mit einem geliebten Menschen eine Beziehung zu unterhalten, ohne die banalsten Dinge des Alltags teilen zu können. Und all das nur, weil bestimmte Gruppen hartnäckig an frauenfeindlichen und unzivilisierten Vorstellungen festhalten. Für mich stellt sich daher immer die Frage nach der Zukunft. Einmal sprach ich mit einem katholischen Geistlichen darüber. Er bestärkte mich und sagte, die junge Frau sei mir „von Gott anvertraut“. „Achte und unterstütze sie auf ihrem Weg. Alles andere wird sich fügen.“ Ich hoffe, er hat recht. Ich kann aber niemandem empfehlen, es mir gleichzutun. Denn dafür ist das Leben eigentlich zu kurz.

Andererseits habe ich eine Muslimin kennen- und lieben gelernt, die sich durch den Zwang zur viel zu frühen Übernahme von Verantwortung wertvolle charakterprägende Eigenschaften und Fähigkeiten angeeignet hat, die einem so nur selten begegnen. Amal ist in ihrem zerrissenen Innersten mit Haut und Haaren Deutsche. In ihrer Familie, die tagtäglich darum kämpft, über die Runden zu kommen, steht sie damit noch relativ allein. Vielleicht auch deshalb, weil ein völlig wehrloses Familienmitglied vor einigen Jahren Opfer rechtsextremer Gewalt wurde. Der hinterhältige Übergriff war außerordentlich brutal. Mit den körperlichen Schäden wird das Opfer für immer leben müssen. Die volljährigen Täter wurden nach Jugendstrafrecht verurteilt und saßen nur kurz ein. Zivilrechtlich wurden sie für ihre Tat nie belangt.

Christian Weber

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