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Rechtsextreme in Deutschland.

© dpa

Verfassungsschutz in Berlin: „Die NPD wird massiv Aufmerksamkeit verlieren“

Bernd Palenda, der neue Chef des Berliner Verfassungsschutzes, über die Proteste in Hellersdorf, Salafisten, Autonome - und die Parteien "Alternative für Deutschland" und "Pro Deutschland".

Von Frank Jansen

Herr Palenda, was reizt Sie, sich mit Neonazis, Islamisten, Autonomen und Spionen herumzuschlagen?

Es geht mir darum, für diese Stadt als Brandmelder bei demokratiefeindlichen Umtrieben zu funktionieren. Der Verfassungsschutz gibt Hinweise, wo es raucht. Und ich hoffe, dass Politik und Gesellschaft dann die nötigen Gegenstrategien entwickeln. Diesen Ansatz empfinde ich als reizvoll.

Welche Extremistenszene ist für Berlin am gefährlichsten?

Der islamistische Terrorismus steht ganz oben. Wegen der hohen abstrakten Gefahr von Anschlägen, auch wenn wir derzeit keine konkreten Hinweise auf geplante Aktionen haben. Der Rechtsextremismus ist allerdings auch außerordentlich virulent. Und Linksextremisten versuchen, teilweise durch gewaltsame Anschläge, die Gesellschaftsordnung zu ändern und militant Zeichen zu setzen.

Aktuell gibt es viel Aufregung, weil Rechtsextremisten in Hellersdorf und anderen Stadtteilen versuchen, die Bevölkerung gegen Asylbewerber aufzuhetzen. Kommt die NPD so in Berlin wieder auf die Beine?

Die NPD hat sich ein Thema geschaffen, das in den Medien wahrgenommen wird. Die Partei hatte jahrelang keinen großen Hype. Jetzt versucht sie, als Rattenfänger unterwegs zu sein und Ängste in der Bevölkerung gegenüber Asylbewerbern auszunutzen. Dazu diente auch der Aufruf des NPD-Vorsitzenden Sebastian Schmidtke, eine Bürgerwehr zu bilden. Das hat die Polizei dann rasch unterbunden. Ich sehe zudem nicht, dass sich die Bevölkerung hinter die NPD stellt. Die vermeintliche Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf ist eine rechtsextreme Konstruktion, mehr nicht. Und ich glaube, wenn der Wahlkampf vorbei ist, wird sich die Lage in Hellersdorf beruhigen und die NPD massiv an Aufmerksamkeit verlieren.

Welche Rolle spielt die islamfeindliche Partei „Pro Deutschland“ bei der Agitation gegen Flüchtlinge?

Das ist nur ein kleiner Haufen, der auf den Zug aufspringt und den hilflosen Versuch unternimmt, in die Berichterstattung der Medien zu kommen.

Warum wird „Pro Deutschland“ im Jahresbericht 2012 des Berliner Verfassungsschutzes inhaltlich genannt, aber der Name nicht?

Die regionale Bedeutung ist nicht groß genug. Die Partei steht bei uns nicht ganz oben auf der Agenda.

Versuchen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in Berlin, die Anti-Euro-Partei „Alternative für Deutschland“ zu unterwandern?

Derzeit habe ich dazu keine Hinweise. Die AfD ist aus Sicht des Verfassungsschutzes keine extremistische Struktur. Das Hardcore-Potenzial des Rechtsextremismus in Berlin ist nicht darauf ausgerichtet, die AfD zu unterwandern.

In der rechten Szene Berlins gibt es Sympathien für die Taten des NSU. Der Verfassungsschutz warnt im Jahresbericht, einzelne Neonazis und Kleinstgruppen könnten sich immer stärker radikalisieren und auf extremere Aktionsformen zurückgreifen. Droht Berlin brauner Terror?

In der großen Kategorie ,brauner Terror' ist derzeit offenbar nichts in Vorbereitung. Aber es ist nicht auszuschließen, dass emotionalisierte Einzeltäter beispielsweise in einer spontanen Situation beim Aufeinandertreffen mit Linksextremisten militant reagieren. Die zunehmende Strukturlosigkeit der rechten Szene und die hohe Konspiration machen die Lage schwierig. Da müssen wir sehr aufpassen. Außerdem sind die Sympathien einiger rechtsextremistischer Bands aus Berlin für den NSU und seine Helfer bedenklich.

Gewalt bis hin zu Anschlägen steht auch auf der Agenda militanter Salafisten, die zudem Kampferfahrung im Ausland suchen. Wie viele Dschihadisten sind aus Berlin in den syrischen Bürgerkrieg gezogen – und wie groß ist die Zahl der Rückkehrer?

Etwas mehr als ein Dutzend Salafisten ist aus Berlin nach Syrien gereist. Ungefähr die Hälfte kam bislang zurück. Es ist allerdings nicht bei jedem klar, was er im Bürgerkrieg getrieben hat. Es ist davon auszugehen, dass einige an Kampfhandlungen teilgenommen haben, andere hingegen nur logistische oder ,humanitäre’ Hilfe geleistet, also beispielsweise Verbandsmaterial geliefert haben. Die Rückkehrer genießen aber so oder so in der salafistischen Szene eine große Aufmerksamkeit. Nicht nur der Berliner Verfassungsschutz, sondern alle deutschen Sicherheitsbehörden haben diese Leute genau im Blick.

Eine der Führungsfiguren der Berliner Dschihadisten ist Denis Cuspert, einst bekannt geworden als Rapper „Deso Dogg“. Er soll in Syrien verletzt worden sein. Was macht der Mann im Bürgerkrieg und wie stark ist er noch mit der Berliner Salafistenszene vernetzt?

Cuspert ist eine wichtige Figur der salafistischen Kampagne, mit der um deutschsprachige Rekruten für die in Syrien kämpfenden dschihadistischen Gruppierungen, möglicherweise auch von Al Qaida, geworben wird. Seine über das Internet verbreiteten Kampfgesänge dienen diesem Zweck. Cuspert bedient die allereinfachsten Emotionen, in der Art ,komm' hierher und werde ein Held’. Derzeit hält sich Cuspert im syrischen Kampfgebiet auf. Er hat kürzlich eine Kopfverletzung erlitten - über die Schwere seiner Verletzungen liegen hier keine Informationen vor. Cuspert steht über seine Kampfgesänge und das Internet sowohl mit der bundesweiten Salafistenszene als auch der in Berlin weiter in Kontakt.

Bernd Palenda, 52, übernahm im November 2012 kommissarisch die Leitung des Verfassungsschutzes. August wurde er auf Beschluss des Senats neuer Chef des Nachrichtendienstes.
Bernd Palenda, 52, übernahm im November 2012 kommissarisch die Leitung des Verfassungsschutzes. August wurde er auf Beschluss des Senats neuer Chef des Nachrichtendienstes.

© Thilo Rückeis

Militante Linksextremisten haben in Berlin in den vergangenen Jahren mehrfach Anschläge verübt. Im Jahresbericht des Verfassungsschutzes werden aber weder die einschlägig aufgefallenen „Revolutionären Aktionszellen (RAZ)“ noch die Gruppierung „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ erwähnt. Lässt die Gefahr nach?

Nein. Der Verfassungsschutz hat in seinen Lageberichten betont, dass die Militanz zugenommen hat. Aber „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ wird im Bericht nicht genannt, weil der Name nicht mehr als ein Label für den schweren Brandanschlag vom Mai 2011 am Bahnhof Ostkreuz war. Und wenn wir die RAZ im Bericht nicht nennen, heißt das keineswegs, dass wir sie nicht intensiv beobachten. Bei den gewaltbereiten Linksextremisten in Berlin sind immer wieder militante Aktionen zu befürchten, vor allem Attacken auf Bauprojekte und Angriffe auf die Polizei, bei denen Menschenleben gefährdet werden. Im kruden Weltbild gewaltbereiter Linksextremisten sind Polizisten die Repräsentanten des verhassten Staates. Im Mai 2012 haben Linksextreme in Kreuzberg einen Streifenwagen mit Steinen beworfen, dann riss ein Täter die hintere Tür des Fahrzeugs auf und schleuderte eine brennende Fackel hinein. Es ist fast ein Wunder, dass die Beamten unverletzt blieben. Und es gibt immer wieder Fälle, dass Linksextreme fingierte Notrufe absetzen. Tauchen Polizeifahrzeuge auf, werden sie mit Steinen beworfen.

Ihre Vorgängerin Claudia Schmid gab im November 2012 auf, als vor dem Hintergrund des NSU-Schocks die Vernichtung von Akten bekannt wurde. Wie haben Sie den Berliner Verfassungsschutz reformiert?

Der Verfassungsschutz ist nicht mehr der, der er vor dem NSU-Schock war. Wir haben die Kontrolle im Umgang mit Akten verstärkt, ein eigenes Referat zur Beobachtung des Rechtsextremismus eingerichtet und die Öffentlichkeitsarbeit ausgeweitet. Für mich ist die Kommunikation mit Nichtregierungsorganisationen besonders wichtig. Für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Islamismus sind solche Initiativen von zentraler Bedeutung. Deshalb darf der Staat die finanzielle Absicherung dieser NGOs nicht aus dem Auge verlieren.

Claudia Schmid hat den Berliner Verfassungsschutz elf Jahre geleitet. Ein Vorbild für Sie?

Claudia Schmid ist für mich ein Vorbild, was die Führung des Verfassungsschutzes betrifft. Aber ich weiß nicht, ob es gut ist, bis zu meiner Pensionierung immer an derselben Stelle tätig zu sein. Wenn man von neuen Zeiten überholt wird, muss man die Fähigkeit haben, rechtzeitig abzuspringen.

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