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Quietsch! Auto- und Radfahrer kommen sich in der Stadt oft gefährlich nahe - da hilft es, wenn man die Situation aus beiden Perspektiven kennt.

© picture alliance / dpa

Verkehr in Berlin: Macht euren Führerschein!

In Berlin braucht man kein Auto? Kann sein, aber wer nie eins gesteuert hat, dem fehlt auf der Straße die Gegenperspektive. Liebe Fuß- und Radfreunde, ein paar Fahrstunden könnten Unfälle vermeiden.

Eine Stadt ohne Autos ist ein netter Gedanke. Mehr aber auch nicht. Da können Fahrrad-Junkies noch so gute Argumente und mit vielen davon sogar recht haben, das Auto wird noch ziemlich lange bleiben, so sicher, wie die Pferdekutsche verschwunden ist. Damit müssen wir alle leben: Auto- und Rollerfahrer, Radler und Fußgänger. Nichts gegen Idealisten, aber bis sich an diesem Status quo irgendetwas ändert, würde ein wenig Pragmatismus guttun.

Deshalb noch mal zur Erinnerung, falls es der eine oder andere vergessen haben sollte: Niemand will irgendwen umbringen. Es geht nur darum, von A nach B zu kommen. Manche mögen’s bequem, andere sportlich, manche preiswert, wieder andere schnell. Wenn es überhaupt irgendeinen Konsens zwischen all den Fronten gibt, dann wohl den: Sicher und in einem Stück ankommen sollte schon drin sein.

Falschparker auf Radwegen sind gefährlich, Radfahrer auf Gehwegen auch. Und Fußgänger sollten bei Rot bitteschön stehen bleiben, wenn’s keine Umstände macht. So weit das kleine Einmaleins der Verkehrserziehung. Wer sich allerdings länger als zehn Minuten durch Berlins Straßen bewegt, muss an den Rechenleistungen seiner Mitmenschen zweifeln.

Zwei Problemlinien überschneiden sich

Ja, es ist verführerisch, auf dem Radweg zu parken, wenn sonst nirgendwo Parkplätze frei sind. Klar, auf dem Gehweg fährt es sich mit den superdünnen Reifen des superschicken Fixies natürlich besser als auf Kopfsteinpflaster. Und wieso sollte man nachts um zwei bei Rot an einer verlassenen Kreuzung rumstehen? Alles irgendwie nachvollziehbar.

Perspektivenwechsel, ja bitte. Aber bitte für alle. Auch der Autofahrer möge sich bitte mal auf das Rad setzen. Der Bus- und LKW-Fahrer sowieso. Damit sie verstehen, wie sich das anfühlt, wenn die Schleppkurve eng wird, wenn der Spiegel fast den Arm streift [...].

schreibt NutzerIn Raubritter

Nur überschneiden sich hier zwei Problemlinien. Die eine, die von oben nach unten verläuft, ist bekannt: Sie führt vom Auto übers Rad bis zum Fußgänger. Je weiter unten in der Hackordnung man steht, desto schlechter die Chancen. Begegnen sich ein Lastwagen und ein Flaneur, hat Letzterer schlechte Karten – traurig genug, dass man darauf überhaupt eine Zeile verwenden muss.

Die andere Linie verläuft von unten nach oben – und hier wird’s nun unbequem für alle Fuß- und Fahrrad-Verfechter. Manchmal sollte man nämlich die Perspektive wechseln. Schlimme Unfälle und nervige Wortgefechte sind leichter vermeidbar, wenn ich weiß, wie andere Verkehrsteilnehmer denken. Wissen kann das aber nur, wer schon mal die Verkehrsmittel der anderen ausprobiert hat. Dass Fußgänger manchmal bei Rot über die halbe Fahrbahn rennen, weil sie bei Grün nur bis auf die Mittelinsel gekommen sind, haben wir alle schon selbst erlebt. Wer mal mit dem Rad über Tramgleise gefahren ist, versteht besser, warum Radler beim Abbiegen manchmal ruckartige Bewegungen machen – nämlich um nicht mit dem Reifen im Gleis hängen zu bleiben. Auch diese Erfahrung dürften die meisten schon mal am eigenen Leib gemacht haben.

Das Fahrradlämpchen hat den Lumenwert eines Zigarettenstummels

Welche Tücken beim Rechtsabbiegen lauern, können aus Perspektive der Autofahrer dagegen nur die verstehen, die einen Führerschein haben. Und in Berlin haben erstaunlich viele erwachsene Menschen niemals Fahrstunden gehabt, nicht einmal Theorieunterricht. Nirgendwo sonst in Deutschland ist es schließlich so einfach, ohne eigenes Auto durch die Gegend zu fahren. Taxis an jeder Ecke, Busse und Bahnen – irgendwas fährt immer. Und wenn doch nicht, gibt es eben das Rad.

Verkehrssicherheit ist keine Frage der Perspektive sondern der Vernunft. Wer sein Gefährt aufmerksam vorantreibt entgeht vielen unnützen Gefahren. [...] Nein, auch Fahrstunden lösen das Problem der Ignoranz nicht.

schreibt NutzerIn Lanarkon

Hätten mehr Menschen in Berlin einen Führerschein, dann könnten wohl auch mehr Verkehrsteilnehmer nachvollziehen, dass es beim Rechtsabbiegen nicht immer aus böser Absicht, Eile oder Ignoranz gefährlich eng wird. Manchmal ist auch einfach das Seitenfenster regenverhangen, der Rückspiegel nur sehr klein und das superleichte Fahrradlämpchen mit dem Lumenwert eines Zigarettenstummels nicht ganz so hell wie die gleißenden Xenonleuchten des SUVs dahinter.

Nein, das ist keine Generalabsolution für Ignoranten und Blindfische, die glauben, lieber zu früh als zu spät die Kurve kriegen zu müssen. Aber hier geht es auch nicht um Recht oder Unrecht. Sondern um nicht weniger als Leben oder Tod. Also macht euren Führerschein!

Dieser Text erschien als Rant im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

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