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Vermeintliche Gentleman-Gangster: Die Tunnelräuber beflügeln unsere Fantasie

Wieviel Sympathie ist eigentlich erlaubt für Gangster, die sich einfach nur besonders gerissen anstellen? Kolumnist Stefan Jacobs über die Steglitzer Tunnelräuber und hollywoodreife Verschwörungstheorien.

Zwei Wochen nach dem Tunnelraub von Steglitz guckt die Polizei noch immer in die Röhre, falls dieses Bild erlaubt ist. Noch ist nicht viel Licht in dem Fall, aber viel Zwielichtiges. Hier ein paar Beiträge aus unserem Online-Forum: „Bin ich der Einzige, der hier als Erstes an eine Geheimdienstaktion denkt?“, fragt einer. „Wetten, dass nur ein einziges Schließfach interessant war und die anderen nur Bauernopfer darstellten?“ Eine hübsche Verschwörungstheorie, die auch von anderen angedeutet, aber von niemandem ausgesprochen wurde. Vielleicht, weil sie dann nicht mehr so schön Gänsehaut machen würde. Was sollte es denn sein? Der Bauplan der iranischen Atombombe? Der neue Maya-Abreißkalender?

Lohnende Lektüre findet sich auch zur Frage der hohen Trefferquote: Wie ließen sich die belegten Schließfächer von den leeren unterscheiden? „Tiefenmesser, Ultraschall, Sonografie modifiziertes Echolot.“ Ein anderer schreibt: „Terahertz-Scanner kann durch Wände schauen.“ Hand aufs Terahertz: Wer weiß, worum es sich dabei handelt? Voilà, eine Art Nacktscanner, nur dass dieser hier die Goldbarren hinter der Klappe entblößen soll.

Natürlich weht auch ein Hauch von Hollywood durch die Gemeinde: Das Ganze sei in „qualitativ hochwertiger Präzision und stiller, ausdauernder Disziplin durchgeführt“ worden, schreibt einer, vor dessen geistigem Auge wohl schon George Clooney und Brad Pitt um die Ecke biegen. Apropos: Hat Letzterer nicht eine Wohnung in Berlin? Und eine ganze Schar teurer Kinder? Und dank seiner Mitwirkung im Film „Ocean’s Eleven“ einschlägige Bildung? Das Thema beflügelt die Fantasie, wie man sieht. Solange es keine Fotos davon gibt, wie die Polizei ein paar ungewaschene Muffelköpfe unter dringendem Tunnelgangsterverdacht hops nimmt, defilieren halt Clooney & Co. vor dem geistigen Auge vorbei.

Noch bemerkenswerter erscheint allerdings die offenkundige Hochachtung vor den Tätern, die selbst im eigenen Bekanntenkreis dominiert, der rechtschaffen arbeitet und mit seinen Steuern auch die Sonderkommission der Polizei finanzieren muss. „Auch ich muss sagen: gute Arbeit.“ 45 Meter Tunnel, eine Kurve, kein Aufsehen – reife Leistung, finden so viele, dass es einen beunruhigen kann.

Der Grund für so viel Anerkennung mag sein, dass die Einbrecher von Steglitz nicht ganz so blöd waren wie das Gros der Kriminellen. Zum einen haben sie nicht leichtfertig Menschen körperlich oder seelisch ramponiert. Zum anderen haben sie ein gewisses Maß an Verstand bewiesen. Was man von den sonstigen Kandidaten im Polizeireport nicht oft sagen kann – egal, ob sie unter den Augen von BVG-Kameras auf Mitmenschen eintreten, betrunken durch die Stadt rasen oder, ganz aktuell, bei Neuschnee Autos anzünden, so dass die Polizei nur ihren Spuren nachlaufen muss.

Wegen der sogenannten Tunnelgangster haben ein paar Leute wohl ihren Familienschmuck und eine Reihe ideeller Wertobjekte eingebüßt. Abgesehen vom kriminellen Motiv entspricht das, was die Einbrecher geleistet haben, etwa der Arbeit eines soliden Handwerksbetriebes. Nicht weniger. Aber eben auch nicht mehr. Vielleicht werden Handwerker insgesamt unterschätzt.

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