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Liebesschlösser

© dpa

Verschlüsselte Liebe an Berlins Brücken: Weg mit den Liebesschlössern!

Alle paar Wochen hängen Brückengeländer voll von Altmetall als Zeichen romantischer Liebe – es ist eine Seuche. Glaubt ihr wirklich, dass eure Beziehung länger hält, weil ihr unsere Denkmäler und unsere Umwelt verschandelt?

Liebe Liebende, ich freue mich mit euch. Wirklich. Es ist Sommer, die Sonne scheint, ihr seid glücklich, ihr wollt ein Zeichen setzen. Ihr geht also los, ihr kauft so ein Ding, kritzelt eure Namen drauf, fummelt es an eine Brücke ran, schmeißt den Schlüssel in hohem Bogen ins Wasser. So süß.

Nein, überhaupt nicht süß! Es gibt so viele Gründe, die gegen Liebesschlösser sprechen, ich will uns gar nicht langweilen mit Ästhetik und Statik und Denkmalschutz und Umweltverschmutzung, mit Flüssen voller Altmetall und an Liebesschlüsseln verreckten Fischen und umgeknickten Baudenkmälern und Rost- und Abriebschäden.

Die Dinger sind ganz einfach eine Seuche!

In ganz Europa hat sich der Brauch inzwischen ausgebreitet. Von Italien aus, wo es vor einigen Jahren losging, bis in die hintersten Winkel Süd-, Nord-, Ost- und Westeuropas. An fast jeder verdammten Brücke dieses Kontinents hängen heute die Wahrzeichen der kollektiven Verblödung. Was soll das sein, eine Epidemie der Liebe, die sich über den Globus ergießt? Was treibt euch bloß an, ihr öffentlichen Gefühlsinszenierer? Ich weiß, heute muss alles ein Event sein, auch die Liebe. Oh, welch große Geste, ein Schloss, ein Schlüssel, ein Schwur für die Ewigkeit!

Albern, hässlich, peinlich ist es. Und komplett wirkungslos. Oder glaubt ihr im Ernst, dass es was hilft? Wenn ihr euch dann irgendwann bis aufs Blut streitet, weil der Alltag anstrengend und der Sex fad und das Gegenüber langweilig geworden sind – wird dann einer von euch innehalten? Werdet ihr einander tief in die Augen sehen, versöhnlich flüstern: Schatz, lass uns doch zusammenbleiben. Denk an das billige Vorhängeschloss, das wir damals in Rudow an diesen Gitterzaun gehängt gehaben. Wisst ihr überhaupt noch, wo sie hängen, eure Schlösser? Und wie viele davon sind mittlerweile nur noch der Müll längst abgewickelter Zweisamkeiten?

Metall schützt nicht vor Beziehungskrisen. Meistens nicht mal das Metall, das man sich gegenseitig an den Ringfinger gesteckt hat. Immerhin: Eheringe kann man abnehmen und dezent in Schubladen verschwinden lassen. Der Schlösserschrott hängt weiter in der Gegend rum und verschandelt unsere Städte.

Vielleicht ist auch nur eure missratene Symbolik schuld. Auf der Weidendammer Brücke ist es besonders schlimm. Schlösser, die vermutlich aus chinesischen Fabriken kommen, werden mit Vorliebe an den kaiserlichen Reichsadler gehängt. Man möchte melancholisch einstimmen mit Wolf Biermann: „Dann steht da der preußische Ikarus mit grauen Flügeln aus Eisenguss, dem tun seine Arme so weh.“ Seine Augen tun dem Ikarus wohl auch weh: Die meisten Schlösser sind natürlich gülden, die Buchstaben in schnörkeliger Schreibschrift. Liebe verträgt offenbar keine Druckbuchstaben.

Aber was hat die Liebe mit den Machtinsignien des 19. Jahrhunderts zu tun, was mit dieser Brücke, die schon so viel deutsche Geschichte hat kommen und gehen sehen – und nicht nur Schönes, Romantisches? Liebe L+M, A+R, J+K, liebe Nina & Michael, Romy & Tony, Matti & Püppi, Fabian & Lisa, wenn schon bedeutungsschwangere Zeichen setzen, dann doch bitte mal drei Sekunden nachdenken! Oder nach Köln pilgern, da steht eine Brücke am Rhein, die hängt schon voll, drumherum sind Touristenshops, die günstig Schlösser plus Gravur verkaufen. Da passt eure einzigartige Superliebe viel besser hin.

An dieser Stelle möchte ich mich bedanken. Es kommt selten genug vor, dass man seinen Politikern anerkennend auf die Schulter klopft, aber in diesem Fall ist es mehr als angemessen: Danke, Berlin, dass du dich dem Liebesschlösser-Hype so kaltschnäuzig entgegenstemmst. Danke, dass du als eine der wenigen Städte europaweit das Anbringen der Schlösser rigoros verbietest! Und danke auch an die Damen und Herren Ordnungshüter, die alle paar Wochen losziehen und unsere Brücken vom Eisen befreien.

P. S.: Liebe Liebende, ich freue mich für euch. Wirklich. Hängt eure Schlösser doch einfach an die Gartentore der Reihenhäuser, die ihr miteinander bauen werdet. Und in denen ihr dann meinetwegen für immer ganz, ganz doll glücklich sein könnt. Danke, Berlin, dass du als eine der wenigen Städte in Europa das Anbringen der Schlösser rigoros verbietest!

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