zum Hauptinhalt

Volksentscheide: Gericht: Senat muss sich Volksentscheid nicht beugen

Laut den Berliner Verfassungsrichtern haben Bürger kein generelles Mitwirkungsrecht bei Senatsentscheidungen. Dennoch hat der Streit um Tempelhof grundsätzliche Bedeutung für künftige Abstimmungen

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Kann ein Volksentscheid den Senat zwingen, eine politische Forderung gegen dessen Willen umzusetzen? Beim Plebiszit über den Flughafen Tempelhof wurde diese Frage heiß diskutiert. Jetzt bestätigt das Berliner Verfassungsgericht: Nein, solche Beschlüsse, die die „politische Willensbildung in Berlin betreffen“, sind rechtlich nicht bindend. Ebenso wie das Parlament besitze das abstimmungsberechtigte Volk „kein generelles Mitwirkungsrecht bei grundlegenden Entscheidungen des Senats“. Volksentscheide, bei denen kein Gesetz zur Abstimmung steht, hätten „allein politische Qualität“.

Mit diesem Urteil vom 27. Oktober, in dem der Einspruch der Tempelhof-Befürworter gegen den gescheiterten Volksentscheid abgewiesen wurde, hat das Verfassungsgericht verbindliche Maßstäbe auch für künftige Abstimmungen gesetzt. Die Richter bezweifeln sogar, dass sich die Teilnehmer an einem Volksentscheid „auf den Grundsatz der Organtreue berufen“ können. Organtreue heißt: Regierung, Parlament und andere Verfassungsorgane müssen aufeinander Rücksicht nehmen. Aber das Volk, so das Verfassungsgericht, sei „kein Verfassungsorgan im formellen Sinn“. Und selbst dann, wenn man diese Frage offen ließe, sei der Senat nur verpflichtet, über das Ergebnis des Volksentscheids „nicht leichtfertig hinwegzugehen, sondern es zu würdigen und Abwägungen vorzunehmen“.

Auch eine andere wichtige Frage wurde von den Richtern beantwortet: Dürfen Senat und Parlament bei einer Volksabstimmung für ihre Meinung aktiv und engagiert kämpfen? Ja, das dürfen sie. Anders als bei Wahlen seien die Staatsorgane zur Sachlichkeit, aber nicht zur Neutralität verpflichtet. Bei Volksentscheiden gehe es ja nicht um die „Übertragung von Herrschaft“, sondern um die Klärung einer Sachfrage. „Abgeordnetenhaus und Senat dürfen ihre Position zwingend vertreten und werbend dafür eintreten“, heißt es im Urteil.

Die Bürger dürften allerdings nicht in einer „die Entscheidungsfreiheit missachtenden und gefährdenden Weise“ beeinflusst werden. Etwa durch Falschinformationen in wesentlichen Punkten. Im Einzelfall Tempelhof bescheinigte das Verfassungsgericht dem Senat, dass dessen juristische Einschätzungen „angesichts der schwierigen Rechtslage“ vertretbar seien und nicht gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen. Zudem verwiesen die Richter auf die Landesverfassung, die vom „mündigen, verantwortungsbewussten Bürger“ ausgehe, der einen Sachverhalt eigenständig beurteilen könne.

Der Verfassungsgerichtshof stellte außerdem fest, dass ein Volksentscheid nicht so aufwendig organisiert werden muss wie eine Parlamentswahl. Nach Meinung der Tempelhof-Befürworter hatte der Senat zu wenig Wahllokale eingerichtet. Dem hielt das Gericht entgegen: „Einer Abstimmung über eine einzelne Sachfrage kommt in der Demokratie nicht annähernd die gleiche Bedeutung zu wie den Wahlen zu den Volksvertretungen.“ Die zuständigen Behörden seien lediglich verpflichtet, die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger an der Abstimmung nicht „unbillig“ zu erschweren. Beim Volksentscheid über Tempelhof sei der Zuschnitt der Abstimmungsbezirke jedenfalls nicht zu beanstanden.

Zur Startseite