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Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD, l) und Raed Saleh, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

© dpa

Update

Wahldebakel in der Berliner SPD: Raed Saleh erhält viel Zustimmung für seine Wahlanalyse

Schonungslos analysierte Fraktionschef Saleh in einem Beitrag für den Tagesspiegel die Lage der SPD. Die Unzufriedenheit mit Michael Müller ist groß, doch der äußert sich nicht.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Forderung des Berliner SPD-Fraktionschefs Raed Saleh nach einer „radikalen Erneuerung“ der eigenen Partei ist bei vielen Sozialdemokraten auf Zustimmung gestoßen. Saleh greife damit das Bedürfnis im Landesverband nach einer Grundsatzdiskussion auf, sagte der Kreisvorsitzende in Steglitz-Zehlendorf, Rupert Stüwe, dem Tagesspiegel. Auch der SPD-Kreischef in Pankow, Knut Lambertin, hält „umfassende Erklärungen“ für nötig, „wie es zu einem Wahlergebnis von 21,6 Prozent kommen konnte“.

Die Stimmung im Pankower Kreisverband sei schlecht, berichtet Lambertin. „Wir müssen sehen, dass wir nicht zwischen Grünen und Linken zerrieben werden.“ Die praktische Politik müsse wieder mit sozialdemokratischer Programmatik in Einklang gebracht werden. Saleh habe recht, wenn er sage, dass die SPD als Teil des Staates wahrgenommen werde. Gerade die Arbeitnehmer glaubten, von Staat und Parteien nicht mehr viel erwarten zu können, sagte Lambertin, der beim DGB-Bundesvorstand arbeitet.

Auch der Reinickendorfer SPD-Kreisvorsitzende Jörg Stroedter stimmt Saleh voll zu. „Viele Menschen fühlen sich abgehängt, das wurde im Wahlkampf sehr deutlich.“ Die nötigen Reformen in der SPD- und Regierungspolitik ließen sich aber nicht per Knopfdruck herstellen.

Dringender Erneuerungsbedarf

Der SPD-Fraktionschef Saleh hat in einem Beitrag für den Tagesspiegel beklagt, dass die SPD ihren Status als Volkspartei in vielen Teilen Berlins verloren habe. Die Sozialdemokraten seien zu einer Staatspartei geworden anstatt Teil der Gesellschaft zu sein und auf der Seite der Bürger zu stehen. Die Spaltungslinien in der Stadt verliefen zwischen Arm und Reich, zwischen Innenstadt und Außenbezirken. Es habe sich eine Protesthaltung gebildet, „mit Akteuren, die nur Verachtung für die Politik haben“. Wenn sich die SPD nicht erneuere, so Saleh, werde sie mittelfristig nicht mehr gebraucht. „Wir müssen die linke Veränderungspartei sein, die die Mittelschichten und die Abgehängten repräsentiert.“

Ähnlich kritisch hat sich der rechtspolitische Sprecher der SPD, Sven Kohlmeier, in einem Online-Beitrag geäußert. Der Abgeordnete aus Marzahn-Hellersdorf wies auf die besonders schlechten Wahlergebnisse der SPD im Ostteil Berlins hin. Dort hätten viele Menschen den Eindruck, dass für sie immer weniger getan werde.

Saleh und Kohlmeier gäben die Stimmung in großen Teilen der Berliner SPD wieder, sagte Karlheinz Nolte, der seit über 40 Jahre in Neukölln und Treptow-Köpenick in vielen Partei- und Parlamentsfunktionen aktiv ist. Viele Genossen wünschten sich, dass nach dieser Wahl mehr getan werde als eine Arbeitsgruppe einzurichten, sagte Nolte.

Müller wird von vielen Seiten kritisiert

Auf Initiative von Mark Rackles, Vize-Landeschef der SPD, hatte der Vorstand nach der Wahl eine innerparteiliche Kommission gebildet, die bis Oktober eine Analyse des desaströsen Wahlergebnisses liefern soll. In einer Klausurtagung wird die Parteiführung darüber beraten. Der SPD-Chef Michael Müller hatte in der Vorstandssitzung versucht, die Gründe für die 21,6 Prozent hauptsächlich bei der Bundespartei und in der „Erosion des Parteiensystems“ zu suchen. Das war den Genossen zu wenig, die Passage wurde gestrichen.

Kritik an Müller, dem SPD-Spitzenkandidaten, Partei- und Regierungschef ist auf allen Ebenen des SPD-Landesverbands zu vernehmen. Ihm wird ein gewichtiger Teil der Verantwortung für das schlechteste Wahlergebnis der SPD seit 1945 angelastet. Namentlich zitieren lässt sich damit aber niemand. Angeblich bereitet Müller ein eigenes Papier zur Lage der Landes-SPD vor. Sein Kommunikationsberater Robert Drewnicki wies auf Facebook den Vorwurf Salehs zurück, dass die SPD zur Staatspartei geworden sei. „Die SPD ist zweifellos eine Volkspartei!“ Sie sei dies auch nicht durch „großartige Wahlergebnisse“, sondern durch das Godesberger (Partei-)Programm von 1959 geworden. Müller selbst wollte sich zum Beitrag Salehs nicht äußern.

Steckt mehr hinter Salehs Offensive als bloßer Reformwille?

Viele sozialdemokratische Entscheidungsträger sind sich allerdings nicht sicher, ob Saleh nur vom Reformwillen getrieben wird – oder ob mehr hinter seiner Offensive steckt. Der Fraktionschef signalisiert zwar parteiintern, dass er keine Personaldebatte um Müller lostreten wolle, ihm gehe es um das Selbstverständnis der Partei. Aber so richtig nehmen ihm das die Genossen nicht ab. Zumindest wolle Saleh zeigen, wer der eigentliche Boss in der SPD sei, hört man in Parteikreisen. Manche Genossen gehen davon aus, dass Müller nicht mehr in Amt und Würden wäre, wenn am Wahlabend schon um 18 Uhr bekannt gewesen wäre, dass die SPD nicht bei 23 Prozent, sondern bei 21,6 Prozent landen würde.

Der Regierende Bürgermeister habe sich wohl verschätzt, als er im Mai den SPD-Landesvorsitz an sich riss, ist in der Partei zu hören. Mit der Entmachtung des Parteichefs Jan Stöß habe Müller nicht die eigene Position gestärkt, sondern den Fraktionsvorsitzenden Saleh. Jetzt warten die Genossen erst mal ab, was aus Rot-Rot-Grün wird und was der neue Berliner Senat mit Müller an der Spitze auf die Beine bringt.

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