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Berlin: Wahlreform: Berlin hinkt hinterher In Hamburg und Bremen gilt schon ein neues Recht

Was haben Hamburg und Bremen, was Berlin nicht hat? Ein Wahlrecht, das sehr demokratisch, aber intellektuell ziemlich anspruchsvoll ist.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Was haben Hamburg und Bremen, was Berlin nicht hat? Ein Wahlrecht, das sehr demokratisch, aber intellektuell ziemlich anspruchsvoll ist. Zwischen Wandsbek, Bergedorf und Altona durften die Wähler am Sonntag 20 Kreuzchen machen und ihre Stimmen fast beliebig auf Kandidaten und Parteien verteilen. Testabstimmungen im Internet und eine 45 Seiten starke Gebrauchsanleitung sollten den Hamburgern helfen, die Bürgerschafts- und Bezirkswahlen erfolgreich zu absolvieren. Die Nachbarn im Norden wählten zum zweiten Mal nach dem System. Die Bremer erproben im Mai ein ähnliches Wahlrecht. In beiden Stadtstaaten haben Volksbegehren dazu geführt, dass die Wähler stärker beeinflussen können, wer sie im Parlament und in den Bezirken vertritt.

Normalerweise legen die Parteien fest, welche Kandidaten ein Mandat erhalten sollen. Die stehen nämlich auf den vorderen Plätzen der Wahllisten. In Hamburg und Bremen können die Wähler diese Reihenfolge durcheinander bringen und ihren Lieblingskandidaten zum Wahlsieg verhelfen. In Berlin blieb der Versuch, dem Beispiel der beiden anderen Stadtstaaten zu folgen, bisher erfolglos.

Zwar reichte die Initiative „Mehr Demokratie“ vor zweieinhalb Jahren mehr als 21 040 gültige Unterschriften für ein Volksbegehren ein, um das Berliner Wahlrecht zu reformieren. Aber der Senat erklärte das Begehren aus juristischen Gründen zunächst für teilweise unzulässig. Zwar hob die Landesregierung diesen Beschluss im Dezember 2009 wieder auf, weil das Landesverfassungsgericht die rechtlichen Spielräume für Volksabstimmungen erheblich erweitert hatte. Trotzdem wurde die Kampagne für ein neues Wahlrecht nach dem Hamburger Modell, an der sich 50 Organisationen beteiligt hatten, erst mal gestoppt. „Mehr Demokratie“-Sprecherin Lynn Gogolin hält es für möglich, dass das Thema nach der Berliner Wahl im September wieder auf die Tagesordnung kommt. Derzeit engagiert sich die Initiative für die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre und ein kommunales Wahlrecht für alle Ausländer.

Immerhin befasste sich das Abgeordnetenhaus im April 2010 auf Antrag der FDP mit der Forderung nach einer Wahlrechtsreform. Aber nicht einmal die Grünen konnten sich uneingeschränkt für ein Wahlsystem begeistern, das den Wählern erlaubt, die Kandidaten fürs Landesparlament und die Bezirksverordnetenversammlungen zu sortieren. Das könne, so der Grünen-Politiker Benedict Lux, „die Frauenquote aushebeln“. Der SPD-Rechtsexperte Fritz Felgentreu wandte ein, dass „Oma Krause aus Britz“ angesichts ellenlanger Wahlzettel Prüfungsangst bekäme und „Murat aus der Okerstraße sagt, ihr könnt mich mal“.

Auch die CDU befürchtete, dass ein kompliziertes Wahlrecht die Wahlbeteiligung in den Keller treibt. Dem steht entgegen, dass die Wahlbeteiligung in Hamburg trotz des neuen Wahlrechts sowohl 2008 als auch an diesem Sonntag höher lag als bei der letzten Abgeordnetenhauswahl. Die Linken konnten sich eine Reform für die bezirkliche Ebene vorstellen, wo die die Kandidaten den Bürgern wenigstens teilweise persönlich bekannt seien. Seit jener Debatte schlummert der FDP-Antrag in den fachlich zuständigen Parlamentsausschüssen für Inneres und für Recht. Ulrich Zawatka-Gerlach

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