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Kullertränen. Besonders Flüchtlingskinder leiden unter der Wartesituation über Tage und Wochen vorm Lageso.

© dpa

Wartesituation vor dem Lageso: Bürokratie am Gefrierpunkt

Am Lageso warten nachts Flüchtlinge bei eisiger Kälte. Die Caritas befürchtet, dass die Kältehilfe für Obdachlose nicht im gewünschten Umfang angeboten werden kann.

Nachts gibt es Bodenfrost, doch trotzdem schlafen Dutzende Flüchtlinge auf der Turmstraße vor dem Gelände des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) unter Decken, die die Berlinern gespendet haben. Selbst Kinder bitten Ehrenamtliche nachts um Trinkwasser, und Helfer fahren Spätankommer im eigenen Auto zum Hostel, zu Privatwohnungen.

Die Warterei auf die Registrierung in Berlin ist dieser Tage nicht nur nervenzehrend, sie wird bei der Kälte auch gesundheitsgefährlich. Und die Caritas befürchtet jetzt, dass Berlin das Angebot der Kältehilfe für die Obdachlosen ab 1. November in diesem Jahr nicht im gewünschten Umfang anbieten kann.

Zunehmende Sicherheitsprobleme

Es gibt am Lageso zunehmend Sicherheitsprobleme, im frühen Massenansturm auf die Registrierungsstelle hat ein Securitymitarbeiter, so erzählt er, „gerade noch so einen Jungen mit rotblauem Gesicht aus der Masse herausgezogen, der wäre sonst fast erstickt“. Sicherheitskräfte übersetzen nachts bei Eiseskälte schon mal in Amtshilfe Wörter wie Aufenthaltsgestattung auf Farsi oder Urdu.
Bis zu 4000 Menschen stehen inzwischen jeden Tag in der Kälte am Lageso an. Darunter sind 300 bis 800 „Newcomer“, also Erstankömmlinge. Und rund 1000 bis 3000 Flüchtlinge sind sogenannte Altfälle, die schon mal da waren, bei denen die Mitarbeiter aber etwas nachberechnen müssen oder Papiere fehlen.

Die Menschen klagen, weil ein Akt, der üblicherweise nicht länger als 30 Minuten dauern sollte, teilweise bis zu 60 Tage in Anspruch nimmt. In dieser Zeit, in der die Geflüchteten noch nicht registriert sind, leben sie quasi in einer Grauzone.

schreibt NutzerIn Suom

Gesicherte Zahlen gibt es nicht

Laut Lageso-Sprecherin Silvia Kostner schaffen die Experten, pro Tag bei 300 bis 400 Menschen den Registrierungsprozess zu starten. Das sind die Menschen, die vorn in der Schlange stehen. Der Registrierungsprozess kostet Zeit, denn dazu gehört: Fingerabdrücke nehmen, Foto machen, Geldvorschuss berechnen, Berlin-Pass ausfüllen, Notunterkunft suchen, Krankenschein ausgeben, Termin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausmachen, das Ausländerzentralregister abgleichen. Zudem müssen Termine fürs Röntgen und fürs Impfen ausgemacht werden, der Stadtplan muss markiert und erklärt werden.

Zusätzlich rund 100 Menschen verlassen das Lageso täglich mit komplett beendeter Registrierung. Wenn man die jetzt rund 250 in der Kruppstraße täglich fertig registrierten Asylbewerber aus den Sonderzügen und Bussen aus Bayern dazurechnet, kommt man für Berlin auf rund 350 registrierte Flüchtlinge am Tag.

Überschlägt man die Zahlen, dann leben derzeit mehr als Zehntausend nicht registrierte Flüchtlinge in Berlin. Gesicherte Zahlen gibt es natürlich nicht.

Shuttlebusse hin zur Landesbank

Dass in der Kälte auch Kinder stundenlang völlig vergeblich warten, wird von Kinderschutzorganisationen und Ehrenamtlichen kritisiert. Nach Tagesspiegel-Informationen liegt es schlicht an logistischen Gründen, warum das Lageso den anderen Tausenden Wartenden, die nicht mehr drankommen, nicht sagt: ihr könnt gehen.

Denn erst im Tagesverlauf erfährt die Behörde, wo an diesem Tage rasch die nächste Notunterkunft eingerichtet und am Abend bezugsfertig ist. Weil die Flüchtlinge in Bussen dorthin gefahren werden, behält man sie lieber geordnet auf dem Gelände, um den abendlichen Shuttle gewährleisten zu können.
Das wird eine Herausforderung für die am Donnerstag neu öffnende Erstregistrierung in der Bundesallee. Dort passen immerhin einige hundert Menschen in die Wartehalle. Aber anstellen für Wilmersdorf sollen sich alle trotzdem in zwei weißen Zelten auf dem Lageso-Gelände in Moabit, für die Shuttlebusse hin zur Landesbank. „Das klappt niemals“, befürchten Ehrenamtler in der Kälte.

ICC schnell als Unterkunft öffnen

Manche Sozialarbeiter empfehlen ihren Schützlingen in den Notunterkünften schon, sich gar nicht in der Schlange einzureihen. Viele Flüchtlinge würden das trotzdem tun, weil sie endlich offiziell ankommen wollen. „Wir raten unseren Bewohnern aber abzuwarten“, sagt etwa Susan Hermenau von Prisod, dem Betreiber der Flüchtlingsunterkunft in der Polizeikaserne in Spandau.

In den Zelten ist es kalt, klamm und feucht. 250 junge Männer schlafen noch dort. In jedem Zelt stehen zwei Ölradiatoren, die schaffen bei acht Grad Außentemperatur 18, 19 Grad innen. Nachts ist es aber um die null Grad kalt, die ehrenamtlichen Charité-Ärzte behandeln viele grippale Infekte. Man hoffe dringend auf eine Entscheidung des Senats zum Umzug, sagt Susan Hermenau.
Silvia Kostner vom Lageso appelliert, dass ICC schnell als Unterkunft zu öffnen – zur Not mit Menschen als Brandwachen. Sie hofft auf mehr Personal und mehr Betreiber von schneller ausgestatteten Notunterkünften – aber auch der außereuropäische Markt für Betten, Duschkabinen, Decken ist vielfach leergefegt.

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