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Dokumentarfilm über Graffiti: Warum "Trainwriter" illegal U-Bahnen besprühen

Zwei Filmemacher haben jahrelang recherchiert, warum Graffiti-Sprayer nachts in Schächte klettern und U-Bahnen besprühen. Herausgekommen ist ein Dokumentarfilm, der am Mittwoch in Berlin Premiere hat.

Man kann es kaum glauben, was der Mann mit Hut sagt, der sich Fino nennt: Es gehe darum, anderen eine Freude zu machen. Er sagt wirklich „Freude machen“. Ein gelungenes Werk zeichne sich dadurch aus, dass man sein Herzblut in etwas gesteckt habe, das anderen gefällt. Fino meint das nicht ironisch.

Sie nennen sich Skim, Azur, Roy oder eben Fino. Sie kennen sich untereinander und vertrauen nur wenigen. Trifft man sie spätnachts auf der Straße, wollen sie selten auf eine Party. „Trainwriter“ heißen die Graffiti-Sprayer, es sind fast ausschließlich Männer, die nachts in U-Bahn-Schächte steigen und Wagen großflächig bemalen. Etwa hundert gibt es in Berlin. Die Filmemacher Henrik Regel und Björn Birg haben sieben Jahre lang in der Szene recherchiert, Kontakte geknüpft, Interviews geführt, Bildmaterial gesichtet. Herausgekommen ist „Unlike U“, ein Dokumentarfilm, der in das Innenleben einer Gemeinschaft eintaucht, die für Außenstehende bisher nicht nachvollziehbar war. Diesen Mittwoch ist Premiere im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz, die Veranstaltung ist seit Wochen ausverkauft.

Die Dokumentation zeigt Originalaufnahmen von Sprühaktionen, man sieht auch Verfolgungsjagden, herbeieilende Polizisten. Das Beeindruckende an „Unlike U“ ist aber, dass er keine Taten beschönigt, sondern einzig der Frage nachgeht: Warum tut man das wohl?

Eigentlich spricht alles dagegen. Die Sprüher müssen damit rechnen, bei ihren Straftaten erwischt und verurteilt zu werden, es drohen bis zu zwei Jahre Haft. Sie verdienen kein Geld, sondern müssen im Gegenteil sehr viel ausgeben für neue Farbe. Anerkennung bekommen sie höchstens innerhalb ihrer kleinen, abgeschotteten Szene. Und die Fotos, auf denen sie ihre Werke festhalten, können sie nicht mal zu Hause aufbewahren. Das Risiko wäre zu groß.

„Sucht“ nennt ein maskierter Sprayer im Film das, was ihn antreibt. Ein anderer glaubt, es gehe um die Liebe zur Farbe, bloß um die, aber das reiche ja schon. Einen dritten reizt schlicht das Katz-und- Maus-Spiel mit der Polizei. Tagsüber leben die Leute komplett unauffällig, hat Henrik Regel beobachtet. Er lernte Studenten, Grafiker und Köche kennen, sogar einen Anwalt. Gemeinsam sei denen höchstens die ständige Müdigkeit. Denn vor jeder Aktion müssen sie nächtelang beobachten, damit sie wissen, wo Kameras stehen, wann Wachleute patrouillieren.

Es gab kein großes Budget für den Dreh, für Werbung schon gar nicht. Trotzdem bekommen Regel und Birg bereits Anfragen aus den USA und Australien, ab wann man den Film denn endlich sehen könne. Dabei hatten sie nur einen kurzen Trailer auf Youtube gestellt. Und ständig werden sie jetzt gefragt, ob sie auch selbst dieser Szene angehören. Nein, gehören sie nicht. Um Missverständnissen vorzubeugen, blenden sie zu Beginn der Dokumentation einen Schriftzug ein, mit dem sie sich von jeglicher Kriminalität distanzieren. „Trotzdem rechnen wir mit Anfeindungen“, sagt Birg.

Bei der Premiere am Mittwoch werden nicht nur zahlreiche Sprüher im Publikum sitzen, sondern auch Beamte des LKA 713, eines 20-köpfigen Kommissariats, das sich ausschließlich um Berlins Sprayer kümmert. Selbst die Interviewten im Film bezeugen, dass die Polizisten gute Arbeit leisten, Graffiti leicht deren Verursachern zuordnen können.

Trotzdem musste allein die BVG im vorigen Jahr 670 000 Euro ausgeben, um Farbe und Kratzer an ihren Waggons zu entfernen. Außerdem weitere 1,6 Millionen für Graffiti in Bahnhöfen, dazu kommen Kosten für Sicherheitspersonal und Überwachungstechnik wie Bewegungsmelder und Kameras. Werden Schriftzüge an Wagen entdeckt, nehmen BVG und S-Bahn diese möglichst schnell aus dem Verkehr, um den Sprayern kein Erfolgserlebnis zu gönnen.  Weil die S-Bahn aber gerade viel zu wenig fahrtaugliche Züge besitzt, kann sie oft nicht sofort reagieren, die Schrift bleibt tagelang.

Wer „Unlike U“ gesehen hat, wird seine Meinung über die Sprayer nicht unbedingt ändern, sagt Regel. Aber eines kann man ihnen danach nicht mehr unterstellen: blinde Zerstörungswut. Denn sie wollen gestalten. Es ist eine „Art Kunst“, sagt ein Mann namens Wesp, der schon seit 20 Jahren sprüht. Im Film hockt er in einer Bar in Schöneberg und raucht, er gestikuliert, kann sich ausdrücken. „Es ist Kalligrafie, nur im großen Stil.“ Die Macher haben Wesp nachträglich die Augen verpixelt, und trotzdem wirkt er nicht wie ein Krimineller, sondern wie einer, der ein Anliegen hat. Das muss man sich als Zuschauer eingestehen. „Schmiererei“ kann man es trotzdem noch nennen.

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