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Piraten-Spitzenkandidat Andreas Baum war vor der Berlin-Wahl beim Tagesspiegel zu Gast. Rechts im Bild Markus Hesselmann, Redaktionsleiter Online und Ressortleiter Berlin des Tagesspiegel, der den Abend mit Johannes Schneider von der Tagesspiegel-Seite "Netzspiegel" moderierte.

© Mike Wolff

Berlin-Wahl: Was die Piraten wollen

In der Diskussion mit dem Tagesspiegel und seinen Leserinnen und Lesern sprach Piraten-Spitzenkandidat Andreas Baum nicht nur über Netzpolitik, sondern auch über Nahverkehr, Schule und Wirtschaft - und antwortete auf Wowereits Warnung.

Dieses Mal war Andreas Baum, Spitzenkandidat der Piratenpartei für die Abgeordnetenhauswahl, besser vorbereitet. Als die Frage kam, wie viele Schulden Berlin habe, zückte er sein Smartphone. Auf den Euro genau konnte er die Summe von mehr als 63 Milliarden beziffern, dank eines kleinen Software-Programms, das ein Freund für ihn erarbeitet hat. Noch vor wenigen Tagen hatte Baum als Gast beim RBB grob schätzen müssen: Viele, viele Millionen Euro seien es, sagte er, und handelte sich damit Häme ein. Nun hatte er eine technische Lösung für seine Wissenslücke gefunden – ganz wie es zu den Piraten passt. "Jetzt kann ich die Frage sehr viel genauer beantworten als die Spitzenkandidaten der anderen Parteien", sagte Baum.

Am Sonntagabend war er zu Gast beim Tagesspiegel, rund 90 Interessierte waren gekommen und diskutierten von Anfang an rege mit. Als der Wahlkampf begann, galten die Piraten noch als Außenseiter. Mittlerweile sagen Umfragen der Partei den sicheren Einzug in das Abgeordnetenhaus voraus - was wohl das Ende für Rot-Rot bedeuten würde. Miteinander reden und gemeinsam Lösungen finden, Betroffene selbst entscheiden lassen, Transparenz herstellen – so beschrieb Baum sein Politikkonzept. "In was für einer Welt wollen wir morgen leben?", diese Frage stellte er seinen politischen Überlegungen voran.

Baum forderte, Verträge, die der Senat für alle Bürger schließt, öffentlich einsehbar zu machen. Der öffentliche Nahverkehr solle über eine allgemeine Abgabe für Touristen und Berliner finanziert werden, so dass für die einzelne Fahrt kein Preis mehr fällig würde. Wenn die Bürger zu politischen Themen befragt würden, dürfe ihr Wille hinterher nicht übergangen werden. Klar wurde aber auch, dass die Piraten auf viele konkreten Fragen noch keine konkreten Antworten haben. Für flexiblere Schullaufbahnen sprach Baum sich aus, doch auf die Frage, ob er für oder gegen die Verbeamtung von Lehrern sei, blieb er eine Antwort schuldig.

Man wolle solide wirtschaften, sagte der Kandidat. Aber einen konkreten Punkt, an dem gespart werden könnte, um den Haushalt zu entlasten, konnte er nicht nennen. Baum wusste auch nicht zu erklären, wie mit den Brandenburgern umzugehen wäre, die Tag für Tag nach Berlin pendeln und dem Piraten-Konzept zufolge ab der Landesgrenze kostenlos mit Bus und Bahn unterwegs wären. Fazit: "Zu hoch" sei der Anspruch, seine Partei müsse schon ein Vollprogramm haben.

Lesen Sie auf der folgenden Seite, warum Klaus Wowereit vor den Piraten warnt und was Andreas Baum dazu sagt.

Auch weil es noch kein solches Vollprogramm gibt, warnte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) am Wochenende davor, die Piraten zu wählen. Sie hätten ein "völlig unklares Profil" gab er in der "Bild am Sonntag" zu Protokoll. "Wowereit hat wohl Sorge vor kritischen Fragen im Abgeordnetenhaus", konterte Andreas Baum. Im Übrigen wundere er sich, dass der Regierende nicht lieber vor der NPD warne.

Wowereit hatte auch formuliert, die Piraten hätten ihren Spitzenkandidaten durch Los bestimmt. Baum erklärte, dass am Ende eines nicht völlig unkomplizierten Wahlverfahrens gleich viele Stimmen auf ihn und einen Mitbewerber entfielen - und an dieser Stelle dann das Los zum Einsatz kam. Unter den fünfzehn Kandidaten auf der Landesliste befindet sich übrigens eine Frau. "Das stellt uns nicht zufrieden, aber eine Quote lehnen wir ab", sagte Baum.

Auch zur Frage möglicher Koalitionen äußerte sich Andreas Baum: Eine Zusammenarbeit mit SPD, Grünen oder Linken könne er sich viel leichter vorstellen als mit der CDU. Rechts-Links-Denken sei aber nicht Sache der Piratenpartei. Mit dem Begriff "sozialliberal" könne er sehr gut leben. Er sei dafür, Unternehmer nach Berlin zu locken und fühle sich Positionen der von ihm so genannten "alten FDP" verbunden, wie sie beispielsweise Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vertrete. Sie trat unter Kanzler Helmut Kohl als Bundesjustizministerin aus Protest gegen den Großen Lauschangriff zurück. "Es lohnt sich, gute Argumente einzubringen", sagte Baum. Seine Partei habe sich knapp gegen die A 100 entschieden, aber das könne sich schließlich ändern. Mit diesen Worten lud Baum einen Fragenden ein, sich zu engagieren, der Sympathien für die Piraten zeigte, aber für den Weiterbau der Autobahn ist.

Die Gäste des Tagesspiegels fragten interessiert nach - und waren noch nicht zufrieden, als um halb zehn Uhr abends die Gesprächsrunde offiziell endete. Bis weit nach 23 Uhr standen Interessierte im Foyer beisammen und diskutierten. Am kommenden Sonntag wird sich zeigen, wie viele Berliner die Piraten mit ihren Ideen überzeugen konnten.

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