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Berlin: Werner Kilz (Geb. 1931)

Er aß, trank und schrieb. So vergingen die Jahre.

Im März 1945 steht Werner Kilz am Elbdeich bei Magdeburg. Der Fluss führt Hochwasser.

Die federnde spätsommerliche Sperrigkeit der Grasnarbe ist einer weichen Nachgiebigkeit gewichen. Die verdorrten Halme sind unter dem Gewicht ihrer Nässe zu einer huckligen filzigen Schicht zusammengesackt, die sich dort, wo sie in den Strom taucht, wieder auflöst; dort züngeln und schlagen, waagerecht schwebend, die Halme im Wasser, das Bild des Himmels, über den Bomberschwärme hinwegziehen, zerfransend. Zwischen den Explosionsbäuschen der Flakgeschosse entfalten sich drei Fallschirme. Ich setzte mich auf den Rahmen meines Rades und ließ mich die Deichauffahrt hinabrollen.

Eindrücke einer Kriegskindheit. Über das, was das Erlebte in seiner Seele hinterließ, hat Werner Kilz nie ein Wort verloren. Überhaupt sprach er wenig. Er schrieb stattdessen, bezeichnete sich als Schriftsteller, aber nur, wenn ihn jemand nach seinem Beruf fragte. Ein einziges Buch hat er veröffentlicht. Werner Kilz war es nicht wichtig, gelesen und gewürdigt zu werden. Er aß, trank und schrieb. So vergingen die Jahre.

Als Werner Kilz noch ein Kind war, wurde sein Vater in eine Nervenheilanstalt eingeliefert.

Unter der Oberfläche seiner Unfähigkeit, am Leben anders als schweigend teilzunehmen, vermutete man Kräfte, die eines Tages zum Ausbruch kommen könnten, und man fürchtete sich immer ein wenig vor meinem Vater.

Weil seine Mutter arbeitet, wächst Werner bei den Großeltern auf. Nachts liest er unter der Bettdecke Zeitschriften, die er sich vom Zeitungshändler ausgeliehen hat. Tagsüber malt er auf den gläsernen Fotoplatten seines Vaters. Nach dem Abitur geht er nach Halle auf die Werkkunstschule Burg Giebichenstein, von dort nach Berlin, Hochschule für bildende Kunst in Weißensee, um Bühnenbildner zu lernen. Nebenher besucht er die Hochschule für bildende Kunst in West-Berlin. Er reist nach Spanien, um neue Eindrücke zu gewinnen, kehrt aber, geplagt von Geldsorgen, bald zurück.

Sein Prinzip: „Ziellos dahintreiben lassen.“ Nach einem Intermezzo als Redakteur der Zeitschrift „Junge Kunst“ verdient Kilz das Geld zum Überleben mit dem Abtippen fremder Manuskripte und Korrekturlesen. Tagsüber streift er durch die Straßen, stöbert in Buchhandlungen, botanisiert auf Trümmerflächen und besucht Freunde. Mittags gönnt er sich eine „Schlachteplatte“ im Automatenrestaurant am Alexanderplatz oder Bratwurst mit Sauerkohl in der HO-Gaststätte „Tischlein deck dich“. Abends sitzt er in der Künstlerkneipe „Möwe“ und debattiert über die richtige Haltung im Leben. Seine ist es, sich aus allem herauszuhalten.

Die Stasi wird unruhig. Ein Offizier notiert später, Kilz und R. und noch einer hätten eine „staatsgefährdende Gruppe“ gebildet. „Totaler Quatsch“, sagt R. Sie sitzen nur öfter zusammen und scheren sich nicht um den Staat. Dann wird die Mauer gebaut, und Kilz kann nicht mehr an die Hochschule in West-Berlin. Also geht er durch die Kanalisation in den Westen.

Als er aufbricht, drückt er R. ein Romanmanuskript in die Hand. Das soll auf trockenem Weg in die Freiheit gelangen. Damit hat R. „Beihilfe zur Republikflucht“ geleistet und muss für drei Jahre ins Gefängnis.

Werner Kilz wird unterdessen „Meisterschüler“, verliert aber bald das Interesse an der Malerei. Schreiben ist jetzt der einzige Weg, zwischen sich und der Welt zu vermitteln. Er hat schon zuvor Tagebuch und kleine Prosastücke geschrieben.

Sein Roman „Freibank oder das Projekt der Spaltung“ wird gedruckt, weil jemand das Manuskript an den Verleger Siegfried Unseld schickte. Das Buch verkauft sich schlecht. Viel zu sperrig. Es ist ein träger Ereignisstrom, der sich mal seitwärts, mal rückwärts bewegt, nie nach vorn, zum Ende hin. Der Mauerbau zerteilt das Werk in Vorher- und Nachhergeschriebenes, das mit erheblicher Denkanstrengung zu einem Ganzen verleimt werden muss. Vielleicht ist das Buch ein Geniestreich und völlig verkannt, gibt R. zu bedenken.

R. sagt auch, Kilz habe seine Biografie gerne mystifiziert. So erklärte er 2004 einer Journalistin, er habe schon 1959 den Bau der Mauer vorausgesagt. Und zwar genau den Tag: 13. August. Weil er das Jahr nicht voraussagte, war das Wissen eigentlich sinnlos. Man wird das Gefühl nicht los, Kilz habe mit seinen Äußerungen jeden Versuch, darin eine verkapselte Wahrheit, eine versteckte Botschaft zu finden, im Keim erstickt. Er blieb unberechenbar.

„Grummelig, verschlossen, wortkarg, mit einer Lust, Dinge ins Negative zu ziehen. Beim Niedermachen entwickelte er aber eine fast kabarettistische Brillanz.“ So beschreibt ihn K., ein anderer, jüngerer Künstlerfreund. Auch mit sich ist Kilz sehr kritisch. Was er schreibt, arbeitet er mehrfach um, bis es irgendwann liegen bleibt.

Zu K. geht Kilz eines Tages, um sich portraitieren zu lassen. Er fragt nach etwas zu trinken, bekommt ein Glas Wein und setzt sich. K. fängt an zu malen. Nach der Sitzung verabschiedet sich der Auftraggeber und kommt nicht wieder.

Werner Kilz zieht sich in seine Gedanken zurück, an seinen Schreibplatz, der von Papieren umlagert ist. Allmählich verstummt er. Es geht ihm nicht gut. Sein Körper hat über die Jahre unter dem Übermaß an Alkohol gelitten. Thomas Loy

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