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Ein Investor aus Tübingen geht neue Wege, um der vielbeschworenen Gentrifizierung ein Schnippchen zu schlagen.

© dpa

Wohnungsbau in Berlin: Notwendige Wohnungen statt Luxuslofts

Ein Tübinger Investor hat große Pläne für den Berliner Wohnungsmarkt: Statt Luxuslofts in Kreuzberg will er dringend benötigten Wohnraum schaffen - und sich dabei auf das Wesentliche konzentrieren.

Erbost stapft Stefan Scherzer über den verschneiten Kreuzberger Boden. „Wir hätten hier längst den Keller fertig haben können“, sagt er und weist auf das brach liegende Grundstück Zeughofstraße 39. „Und nun wird das ganze Projekt doch teurer als geplant.“  Dennoch, so verspricht der Investor aus Tübingen, werde das hier entstehende Wohnhaus den Streit um die viel beschworene Gentrifizierung einen Schritt weiter bringen. Bezahlbarer Wohnraum durch Besinnung auf das absolut Notwendige – das ist sein Konzept. „Ursprünglich wollten wir hier Luxuslofts bauen“, sagt Scherzer, „Hängeklos, geflieste Badewannen, Wintergärten, Maisonetten. Doch das will der Kreuzberger mehrheitlich eben nicht mehr, weil er es nicht bezahlen kann und Angst vor den reichen Zuzüglern hat“.

Scherzer erinnerte sich daran, wie Kreuzberg groß geworden war: mit den heute übel beleumundeten Mietskasernen. Doch diese Häuser waren extrem kostengünstig zu erstellen. „Aus heutiger Sicht waren die Räume der alten Häuser viel zu hoch“, sagt Scherzer, „das wollen wir korrigieren, das spart sogar zusätzlich.“ Doch in allen anderen Bereichen besinnt er sich auf das alte Rezept: Etagenklos für jeweils zwei oder drei Wohneinheiten, Kachelöfen, welche die aufwendigen Heizungsanlagen ersetzen;  drinnen in den Wohnungen gibt es aus dem Hahn nur kaltes Wasser, die Fenster sind in Einfachverglasung ausgeführt und auf den Böden liegt schlichtes PVC. „Die Mieter werden wieder mit Briketts heizen“, sagt der aus England stammende Architekt Cliff Clyhouse, der in Birmingham einähnliches Konzept realisiert hat, „wenn jetzt wegen der Energiewende wiederverstärkt Kohlekraftwerke gebaut werden, kann das Prinzip ja nicht ganz falsch sein.“
Das Grundstück wird für diesen bahnbrechenden Wohnungsbau dicht genutzt. Ähnlich wie vor über hundert Jahren gibt es wieder ein Hinterhaus, das durch eine Hofeinfahrt erschlossen ist. Die Treppen sind aus einfachem,unbehandeltem Kiefernholz, die Wohnungstüren werden sich direkt ins Wohnzimmer öffnen, was ebenfalls Kosten und Fläche spart. Obwohl das Haus acht Stockwerke hat, sind Aufzüge nicht geplant. „Das garantiert uns eine natürliche Fluktuation“, sagt Scherzer, wer älter wird oder Kinder bekommt, der wird lieber von oben ein Stück nach unten ziehen“. Und auch Küchen gibt es nicht. „Jeder hat heute eine Mikrowelle oder einen Wasserkocher“, meint der Investor, „und die Gegend ist ja gastronomisch bestens versorgt“. Lohn der Mühe: Die Wohnungen sind auf eine Bruttokaltmiete von zwölf Euro pro Quadratmeter ausgelegt, „im internationalen Vergleich für eine so heiße Gegend ein richtiges Schnäppchen“, wie er findet.

Doch Scherzer geht noch einen Schritt weiter. Er bietet den künftigen Mietern die kostenlose Mitgliedschaft auf seiner Website „schlafbursche.de“ an. Die Idee geht ebenfalls auf das Berlin der Gründerzeit zurück. Während der Hauptmieter tagsüber seiner Arbeit nachgeht, stellt er sein Bett einem anderen zur Verfügung, der gerade aus der Nachtschicht kommt, in der Industrie, der Gastronomie oder im öffentlichen Nahverkehr  - eine kostengünstige Lösung für beide Seiten. Das Portal ist gegenwärtig im Aufbau, in Kürze werden auch Apps für iPhone und Android verfügbar sein.
Der für die Stadtentwicklung in Friedrichshain-Kreuzberg zuständige Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) ist mit dem Re-Gentrifizierungskonzept des Tübingers sehr zufrieden. „Endlich mal ein Investor, der das Wohl des ganzen Bezirks im Auge hat und nicht wieder die Alteingesessenen gegen sich aufbringt“, sagt er. Es sei zwar aus seiner Sicht fragwürdig, dass wieder Braunkohle zum Einsatz komme, aber: „Damit holen wir uns im Winter ein Stück vom alten Kreuzberger Stadtaroma zurück, das hat ja auch was“.  Geht alles glatt, sollen die 65 Wohnungen in der Zeughofstraße im Frühjahr 2014 fertig sein. Der überwiegende Teil sei bereits vermietet, sagt Scherzer.  

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