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Zehn Schüsse auf einen Alkoholisierten: Anwalt will Polizisten vor Gericht bringen

Er war bewaffnet, aber auch betrunken und offenbar etwas verwirrt: Vor einem knappen Jahr erschossen Beamte einen Mann im Wedding, zehn Schüsse gaben sie ab. Juristisch aufgearbeitet ist der Fall bis heute nicht. Ein Rechtsanwalt will das jetzt ändern - und die beiden Polizisten vor Gericht bringen.

André C. war kein bekannter Mann. Bis der Arbeitslose mit Axt, Küchenmesser und Bierflasche durch die Straßen von Wedding irrte und Menschen bedrohte. Am 6. Oktober 2012 war das, seitdem firmiert der Tag unter der Chiffre „Polizeieinsatz in Wedding“. Die Beamten eilten damals herbei und stoppten den alkoholisierten 50-Jährigen. Erst schossen sie C. in Bauch und Beine. Weil der Mann angeblich am Boden liegend nicht aufgeben wollte, erhielt er Schläge und Tritte. Zudem setzten die Beamten Reizgas und einen Polizeihund ein. Zwei Wochen später erlag der „Messermann“, wie ihn ein Boulevardblatt nannte, seinen Verletzungen.

Das ist jetzt fast zehn Monate her. Der Fall ist aus der Öffentlichkeit verschwunden. Aber Rechtsanwalt Hubert Dreyling. will den Fall C. in die Öffentlichkeit zurückholen. Mit einem Gerichtsprozess gegen die Polizeibeamten, die im Oktober 2012 an dem Einsatz beteiligt waren.

Dreyling findet starke Worte: „Texanische Verhältnisse“ seien das. André C. sei „wehrlos und nicht angriffsfähig“ gewesen, dennoch hätten die Beamten erst auf ihn geschossen und dann „eingetreten und eingeprügelt“. Nach Ansicht Dreylings war es zudem nicht der einzige Polizeieinsatz, der aus dem Ruder lief. Die Erschießung eines Mannes im Neptunbrunnen am Alexanderplatz sei die „Fortsetzung“ völlig unverhältnismäßiger Polizeieinsätze in Berlin, meint der Jurist. Am Neptunbrunnen hatte im Juni ein nackter Mann mit einem Messer sich selbst verletzt und dann einen Beamten bedroht. Der Polizist schoss dem Mann in den Oberkörper; dieser starb noch am Tatort.

Im Fall C. beantragte Dreyling nun bei der Staatsanwaltschaft, Anklage gegen zwei Polizeibeamte „wegen vollendeten Totschlags“ zu erheben. Zehn Schüsse sollen beide abgegeben haben. Dann sei es durch Verstärkung zum Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock sowie Polizeihund auf ein „schwer blutend am Boden“ liegendes Opfer gekommen, heißt es in dem Schreiben. „Das war wie eine Hinrichtung“, sagte eine Augenzeugin nach Recherchen der Wochenzeitung „Die Zeit“. Laut Dreyling wird diese Zeugin, eine Blumenhändlerin, nicht in den polizeilichen Ermittlungsakten erwähnt.

Die Ermittlungen zogen sich monatelang hin. Wenige Tage nach dem Fall C. wurde Johnny K. auf dem Alexanderplatz totgeprügelt. Die Tat löste Entsetzen aus, bei der Fahndung nach den Tätern schalteten sich Politiker wie Innensenator Frank Henkel (CDU) ein. Im Fall Johnny K. hat längst die Hauptverhandlung vor dem Landgericht begonnen. Im fast zeitgleichen Fall André C. hingegen ist nach fast einem Jahr noch nicht klar, ob es eine juristische Aufarbeitung geben wird.

Warum dauerten die polizeilichen Ermittlungen so lange? Bei der Polizei will sich niemand äußern, verweist an die Staatsanwaltschaft. Die bestätigt nur, dass die Ermittlungen zum Weddinger Polizeieinsatz – wie auch zum Einsatz am Neptunbrunnen – kürzlich abgeschlossen worden seien. Die Akten würden von der Staatsanwaltschaft geprüft. Zum Inhalt könne er „nichts Genaues sagen“, erklärt Sprecher Thomas Fels.

Anwalt Hubert Dreyling kennt die Ermittlungsakten. Die Polizei argumentiere, dass sie gegen den bewaffneten André C. aus Notwehr gehandelt habe. Dreyling jedoch findet diese Behauptung „unhaltbar“. Der Mann sei verwirrt gewesen, habe betrunken herumgeschwankt. „Da kann ich als Polizist Abstand halten und muss nicht zehn Schüsse abgeben“, sagt Dreyling.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) weist die Vorwürfe zurück. „Wann sollte ich wie was machen?“ – Fragen der Verhältnismäßigkeit gehörten in der Ausbildung von Polizeibeamten zu einem der Schwerpunkte, sagt GdP-Landesbezirksvorsitzender Michael Purper. Die Fälle wolle er mit Blick auf die laufenden Verfahren nicht kommentieren. Grundsätzlich müssten Polizisten reagieren, wenn Gefahr in Verzug ist. Also auch „Maßnahmen“ ergreifen, um einen bewaffneten Mann zu entwaffnen, sagt Purper. Polizisten könnten nicht einfach zugucken und nichts tun. Nun kommt es darauf an, wie die Staatsanwaltschaft die Fälle bewertet. Entweder erhebt sie Anklage – oder sie stellt die Ermittlungen ein. Haiko Prengel

Haiko Prengel

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