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Keiner weiß mehr Rad. Besonders die Züge an die Ostsee sind überfüllt.

© Stefan Jacobs

Zu wenig Platz für Fahrräder in der Bahn: Fahrradfrust in vollen Zügen

Sie drängeln sich gerade mit dem Rad im Regionalexpress? Kein Wunder, denn besonders am Wochenende sind die Züge übervoll. Doch es gibt Hoffnung, dass sich was ändert.

Zurückbleiben, bitte? Immer öfter versuchen Ausflügler an Wochenenden vergeblich, mit dem Fahrrad in einen Zug zu kommen – und selbst wenn sie es schaffen, schlägt die Fahrt oft in Frust und Verdruss um. Bei schönem Wetter und an Wochenenden ist es voll in den Zügen ins Berliner Umland oder an die Ostsee – insbesondere in den Fahrradabteilen. Viele Ausflügler haben die Erfahrung gemacht, dass sie am späten Nachmittag oder am Abend keinen Platz mehr zurück nach Berlin finden. Auch viele Tourenleiter des Fahrradclubs ADFC kennen die Situation, dass sie ihre Gruppe nicht mehr nach Hause bekommen.

Beschwerden gibt es vor allem an den Regionallinien zur Ostsee, sagt VBB-Sprecherin Elke Krokowski – und verspricht Besserung: Im nächsten Sommer rollt auf beiden Regionalexpresslinien an die Ostsee ein Fahrradwagen mit. An den RE 5 nach Rostock wird ein fünfter Wagen angehängt, in dem das komplette Unterdeck ein Fahrradabteil ist. Auf einer Seite des Waggons werden die Klappsitze ausgebaut, damit normale Fahrgäste nicht die Stellflächen blockieren können. Beim RE 3 nach Stralsund, der schon jetzt mit fünf Wagen fährt, wird ein Wagen entsprechend umgebaut. In ein solches Großabteil passen dann mehrere Dutzend Fahrräder. Die Odeg fährt schon seit April dieses Jahres auf den Linien RB 60 (über Eberswalde nach Frankfurt/Oder) und RB36 (über Beeskow nach Frankfurt) an Wochenenden ihre Triebwagen mit sogenannten „Fahrradverstärkern“. Die Mehrkosten trägt das Land Brandenburg – weil es vom Tourismus profitiert.

Klappsitze sind häufig belegt

Der Fahrradclub ADFC beklagt seit langem den fehlenden Platz. „Reisende ohne Rad und Kinderwagen werden offenbar geradezu magisch von den Klappsitzen angezogen“, heißt es in der jüngsten Ausgabe der ADFC-Zeitschrift „Radzeit“. Die Folge: Sind die Klappsitze belegt (auf denen man „so schön die Füße ausstrecken kann“, wie es beim VBB heißt), blockieren die Fahrräder dann den Eingangsbereich. Das produziert am nächsten Halt erneut Ärger. Viele Radfahrer bestätigen, dass die Schaffner sich so gut wie nie um missbrauchte Klappsitze kümmern. ADFC-Geschäftsführer Philipp Poll forderte am Freitag, dass die Schaffner es übernehmen müssen, die Fahrgäste in Mehrzweckabteilen zu bitten, sich einen anderen Platz zu suchen.

Das geräderte Dutzend. Mehr Räder dürfen hier nicht hinein.
Das geräderte Dutzend. Mehr Räder dürfen hier nicht hinein.

© Stefan Jacob

Auch die Berliner S-Bahn hatte das Problem erkannt und in einem Zug die Klappsitze testweise ausgebaut. Das war kurz vor Beginn der S-Bahn-Krise, das Programm wurde 2009 stillschweigend gestoppt und nicht wieder aufgenommen. Ein S-Bahn-Sprecher sagte am Freitag, dass man weiterhin „andere Sorgen“ habe. Mit dem Abschrauben der Sitze sei es nicht getan, hieß es damals. Denn um Platz für Fahrräder zu schaffen, müssen auch die senkrechten Haltestangen versetzt werden. Diese sind jedoch Teil der konstruktiven Stabilität des Waggons.

Der Berliner Senat will den Anteil der Kombination aus Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr von derzeit drei auf fünf Prozent steigern, so steht es in der „Radverkehrsstrategie“. „Zu normalen Zeiten sind die Kapazitäten ausreichend“, sagt die VBB-Sprecherin, bei schönem Wetter werde es aber „schwierig“. „Es gibt dann keine Garantie, dass jedes Rad mitkommt“, sagte Krokowski

Nicht nur an die Ostsee ist es sehr voll, gefürchtet sind auch die ohnehin immer vollen Züge des RE 1, aber auch die RB 26 Richtung Küstrin, wo nur kleine Triebwagen fahren. Zwischen Potsdam und Berlin haben Radfahrer oft das Nachsehen. „Bitte durchtreten“, rief ein Radfahrer kürzlich am späten Nachmittag in Wannsee in den gestopft vollen „Talent“-Triebzug hinein – um dann sein Rennrad hochkant zwischen die stehenden Fahrgäste zu pressen. Zahlreiche andere Radfahrer blieben draußen stehen. Denn in diese neuen einstöckigen Triebwagenzüge passen deutlich weniger Fahrräder als in die Doppelstockwagen. „Der Talent ist für den Berliner Verkehr völlig ungeeignet“, sagte der frühere Fahrradbeauftragte des Senats, Benno Koch. Auch in den neuen Doppelstockzügen der Odeg gebe es oft Streit, sagte Koch, weil die Radabteile schlecht konstruiert seien. Mehrfach hätten Schaffner die Polizei geholt, weil zu viele Radfahrer eingestiegen seien.

Im Fahrplan sind besonders volle Züge markiert

Der VBB verteilt zwischen Berlin und Potsdam jetzt einen Pendlerfahrplan, in dem die „besonders stark nachgefragten Züge“ farblich markiert sind. Nach VBB-Angaben wird derzeit auch überlegt, auf Bahnsteigen Markierungen anzubringen, wo an einem einfahrenden Zug die Fahrradabteile zum Stehen kommen.

Im Jahr 2012 wurden fast 900 000 Einzeltickets für Fahrräder verkauft, zudem knapp 100 000 Monatskarten fürs Rad. Hinzu kommen die Studenten, da im Semesterticket das Rad gratis ist. Unumstritten sind Räder im Zug nicht. „Im Vergleich zu den Einnahmen nehmen Räder viel Platz weg“, heißt es bei Verkehrsunternehmen, zudem verlängern sie die Fahrzeiten. Eine Beobachtung aus dem März: Gut zwei Dutzend ältere koreanische Touristinnen steigen am Bahnhof Zoo mit ihren schweren Mieträdern in den RE1 – und in Park Sanssouci wieder aus. Dem Zug bescherte das eine Verspätung von zehn Minuten. „Die hätten sich die Räder auch in Potsdam mieten können“, seufzte die Schaffnerin.

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