zum Hauptinhalt
Über den Palmen. Vom Stahlgerüstturm der Power-Turbo-Rutsche hat man einen allumfassenden Blick auf das Retortenparadies von „Tropical Islands“. Wer mag, kann dort auch übernachten – im Sand, im Zelt oder im Zimmer.

© dpa

Zum Tropical Island-Jubiläum: Urlaub im künstlichen Paradies - ein Selbstversuch

Als Luftschiffhalle geplant, als Ferienparadies genutzt: Seit zehn Jahren gibt es „Tropical Islands“. Unser Reporter schaute sich einen Tag lang um. Ein Selbstversuch im künstlichen Gewächshaus für Urlauber.

Der aufregendste Blick? Natürlich von ganz oben. 117 Stufen den Stahlgerüstturm hinauf zur Power-Turbo-Rutsche, vorbei an der Schlange der Feiglingen, die sich mit ihren Gummireifen nur bis zur Anfängerrutsche trauen oder zu der harmlosen Spirale, immer weiter nach oben, wo die Stufen immer schmaler zu werden scheinen und immer steiler sowieso. Ganz oben wackelt die Plattform im nicht vorhandenen Wind und unten liegt... die Welt. Also der warme, sonnige und begehrenswerte Teil der Welt. Afrika, Asien, Südamerika, ein bisschen Tropenwald und Südsee sowieso.

Blau aufgemalter Himmel

Das sind mehrere Paradiese in einem, die Berliner sind bekanntlich von allen ein wenig abgehängt. Da trifft es sich jedenfalls gut, dass knapp 50 Kilometer südlich der Baustelle, aus der irgendwann mal ein Flughafen wachsen soll, ein Ersatzparadies aus dem märkischen Sand ragt. Das Paradies ist 360 Meter lang, 210 Meter breit und 107 Meter hoch. Hier sollten mal Luftschiffe gebaut werden, aber weil daraus nie etwas geworden ist, haben sie das Paradies reingesteckt. Mit angekarrtem Sand, blau aufgemaltem Himmel und einer Sonne, deren Licht aus riesigen Lampen kommt. Vor zehn Jahren, am 13. April 2004, hat der erste Besucher das Drehkreuz passiert in der virtuellen Urlaubswelt namens Tropical Islands. Es hat damals einen hübschen Skandal gegeben, weil der Brandenburger Wirtschaftsminister den Umbau mit Steuergeld subventioniert hat. Aber was sind schon geschätzt 17 Millionen Euro für ein Paradies, und immerhin funktioniert die Entrauchungsanlage.

Bummel im Regenwald.
Bummel im Regenwald.

© dpa

Der Strand ist kein Strand, das Meer kein Meer

Früher war auf dem Gelände der Luftschiffhalle mal die Rote Armee stationiert und noch früher die SS. Jetzt geht man hier der friedfertigsten aller Beschäftigungen nach, dem Müßiggang. Die Autos auf dem riesigen Parkplatz tragen zur einen Hälfte Kennzeichen aus Deutschland und zur anderen aus Polen. Die Hinweisschilder drinnen sind alle dreisprachig gehalten, was ein wenig überdimensioniert wirkt, denn wer braucht hier schon Englisch? An der Bar trinken Deutsche mit Polen und Polen mit Deutschen, weiter unten am Südseestrand kreisen hineingeschmuggelte Bierdosen, es gibt ja auch eine Zeit nach dem Frühstück. Die Stimmung? Harmonisch. Wahrscheinlich hat sich seit Willy Brandt niemand mehr um das friedliche Zusammenleben von Polen und Deutschen so sehr verdient gemacht wie jener malaysische Unternehmer, der die Idee mit den Tropical Islands hatte.

Für Kulturpessimisten nimmt in Tropical Islands der Untergang des Abendlandes seinen Lauf. Eine Art dreidimensionale Playstation, in der allen die Welt vorgegaukelt wird und keiner mehr die Welt sehen muss. Da ist was dran. Die Tropen sind ein bisschen mehr als nur Wasser Sand und Sonne, es gehören zum Beispiel echte Tropenmenschen dazu und nicht nur Tagesausflügler aus Berlin, Brandenburg und Polen und gut 500 Bedienstete aus Brandenburg. Aber wer hier in der brandenburgischen Steppe seinen Ersatz-Tropen-Urlaub macht, zählt in der Regel ohnehin nicht zum Kreis derer, die eine mehrwöchige Fernreise nach Südostasien planen. Viele Eltern mit noch mehr Kindern, gern auch Großfamilien samt Oma und Opa. Und ob sich die echten Tropenmenschen wirklich so sehr darüber freuen, dass immer mehr Wohlstandstouristen für ein paar Wochen bei ihnen die Sau rauslassen.

Der Strand ist kein Strand, das Meer kein Meer und der Himmel kein Himmel, aber die virtuelle Welt von Tropical Islands ist etwas Eigenes. Nicht Brasilien, aber auch nicht Brandenburg. Auch die Eintönigkeit hat ihre Abwechslung. Es kommt schon mal vor, dass sich das Wasser in der Südsee rot färbt, an ausgewählten Tagen kommt zur Freude der Kinder Urmel aus dem Ei zu Besuch oder ein anderer Freund aus einer anderen virtuellen Welt.

Später am Nachmittag wird es ein bisschen lauter. Eine kubanische Kamarilla trommelt sich an der Südsee entlang und erinnert an die Abendshow. Eintrittskarten gibt es im Jabarimba, einem der 13 Gastronomiebetriebe, sie teilen sich auf in Restaurants, Bars und Lounges. Das Geld machen die Betreiber aus Südostasien nicht mit den Eintrittkarten, sondern mit dem ganzen Drum und Dran. Gastronomie, Souvenirs und Übernachtungen, es entstehen alle paar Wochen neue Möglichkeiten, im Paradies mehr als nur eine zu Nacht verbringen. Früher, also in den Jahren nach der Eröffnung, blieben oft nur der brandenburgische Südseestrand und eine der gewöhnungsbedürftig harten Liegen aus Teakholz. Heute gibt es Zelte und Hotelzimmer und Lodges und Ferienhäuser, für die Sommersaison werde gerade wieder neue gebaut, natürlich außerhalb der Halle, denn der Platz dort ist begrenzt. Eine Million Gäste kommen jährlich, aber ob das für die Gewinnzone reicht, weiß nur ein innerer Zirkel, und der mag keine genauen Zahlen veröffentlichen.

Flamingos im größten überdachten Regenwald der Welt

Es wird jedenfalls nicht alles dem Kommerz gewidmet, und das ist die eigentliche Überraschung bei diesem Jubiläumsbesuch. Sommer, Sonne und Wasser sind die eine Sache. Die andere ist der tropische Regenwald. Ein sehr schöner Blick auf dieses Biotop bietet sich von der obersten Plattform des wackligen Rutschenturms vor der Power-Turbo-Rutsche. Es lohnt sich das Verweilen vor der senkrechten Höllenreise mit 70 Stundenkilometern. Der Regenwald teilt den Mikrokosmos zwischen Südsee und Bali-Lagune, wie es den Anden zwischen Atlantik und Pazifik zu eigen ist. Es handelt es sich um den größten überdachten Regenwald der Welt mit 50 000 Pflanzen in 600 Arten. Und zehn Flamingos.

"Papi, warum sind die Vögel rosa?"

An den Flamingos kommt keiner vorbei, der den kürzesten Weg von der Südsee zur Lagune nehmen will oder zurück. Ganz und gar nicht unscheinbar sind sie ins dunkle Grün platziert, sie stehen auf einem Bein oder staksen im Kreis und provozieren bevorzugt zur besucherintensiven Mittagszeit regelmäßig Menschenaufläufe. Vor allem Kinder drängen sich um das Federvieh und lassen Fragen prasseln auf ihre zuweilen doch sehr ratlosen Eltern. „Papi, warum sind die Vögel rosa?“ - „Mami, gibt’s die auch an der Ostsee?“

Das sind schon bemerkenswerte Fragen in einer Zeit, da viele Kinder oft nur noch den Ikea-Elch kennen oder die Milka-Kuh. Und es passt nicht in die gängige Vorstellung von FerienErlebnisParadiesen, die doch in der Regel jeden Quadratzentimeter nutzen, um den lieben Kleinen und den genervten Großen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Auch das Brandenburger Paradies ist keine der Allgemeinbildung verpflichtete Einrichtung, aber sie wirkt doch um ein vielfaches sympathischer durch diese grüne Oase zwischen den Schwaden von Frittenöl und kubanischen Trommelattacken. Wer einmal von den Flamingos angefixt ist, lässt sich von seinen Kindern gern dazu überreden, weiterzugehen, weiterzusuchen, weiterzuforschen. Auf einem aufwändig angelegten Expeditionspfad, durch den Mangrovensumpf, vorbei an Fischen und Aras und Schildkröten. Ein gar nicht unerheblicher Teil der Tropical Islands kommt daher wie ein Botanischer Garten mit eher reduziertem akademischen Anspruch. Das relativiert auch ein wenig die in der Tat diskussionswürdige Energiebilanz in dem riesigen Osterei, das auch in den härtesten vorsibirischen Wintern Tag für Tag 24 Stunden lang auf 26 Grad erhitzt werden will.

Brüderschaft trinken mit der polnischen Großfamilie

Langsam sinkt die Sonne, ihr Lauf ist durch die riesigen Panoramafenster stets zu verfolgen und interessiert doch nur am Rande. Die Gäste im Paradies unterscheiden nur noch zwischen Tag und Nacht, zwischen Hell und Dunkel. Wenn es dunkel ist, dann müssen die Tagesgäste gehen, und es wird ein bisschen leerer.

Wer die Nacht über bleibt, macht sich fertig zum Essen oder zum Besuch der kubanischen Show. Es wird dann doch noch einmal lauter. Unten an der Bali-Lagune, wo zwei Jungs ihre alkoholhaltigen Erfrischungsgetränke raffinierterweise in Kaffeebecher gefüllt haben und jetzt grölend durch das Wasser tanzen und Brüderschaft trinken wollen mit einer polnischen Großfamilie. Das geht drei, vier Minuten gut, dann kommt ein Guard, und die clevere Tarnung fliegt auf.

Kurz vor Mitternacht. Am Strand wird das Licht heruntergedimmt, die Party geht weiter, mit reichlich Alkohol und Musik. Weiter hinten bereichert das Rattern von Rollkoffern den Sound der tropischen Brandenburger Nacht. Der Check in ist 24 Stunden lang geöffnet und wird auch 24 Stunden lang in Anspruch genommen. Genauso die Bali-Lagune und die Bar am Südseestrand auch. „Wird noch ein bisschen länger dauern“, sagt der Mann an der Theke, „die Leute haben nun mal Durst“, besonders am Wochenende, und wenn einer zu viel Durst hat und partout nicht gehen will, „dann helfen wir mit sanftem Druck nach“. Kommt aber nur selten vor. So ein Tag im Paradies mit Sonne, Sand und Wasser ist anstrengend, auch für späte Stammgäste an der Bar.

Zur Startseite