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Kultur: ... und Raumzauberer

Magisch: die brasilianische Nachtfantasie „Paulista“.

Von Maris Hubschmid

Rausch oder Rücksichtnahme? Freiheit oder Sicherheit? Sex oder Liebe? Das Leben ist geprägt von Verzicht – und von Kompromissen aller Art. Schon gar in einer Metropole wie São Paulo, die viele umgarnt, aber niemanden umarmt. Doch Großstädte sind stets verheißungsvoll und ziehen vor allem junge Menschen an. „Paulista“ erzählt die Geschichten dreier Suchender, die in einem Wohnkomplex an der Avenida Paulista, Brasiliens Fifth Avenue, zusammenkommen. Marina (Sílvia Lourenço) bricht mit ihrem Provinzdasein, um ihre Schauspielkarriere voranzutreiben. Der neurotische Jay (Fábio Herford) sucht den Schriftstellerruhm. Und dann ist da Suzana (Maria Clara Spinelli), Marinas kontrollierte, zuweilen etwas gallige Vermieterin. Die ambitionierte Scheidungsanwältin hat an einem schweren Geheimnis zu tragen.

Alle drei sind sie auf der Suche nach Anerkennung – und nach den großen Gefühlen: „Bleib doch mal länger als eine Stunde.“ Jay, der sich heftig zu der Prostituierten Michelle hingezogen fühlt, will nicht länger Kunde, sondern Liebhaber sein. Suzana lässt sich nach einigem Zögern auf eine Nacht mit ihrem Kollegen Gil ein. Und Marina stürzt sich in ein Abenteuer mit der Sängerin Justine, die ein offensichtliches Drogenproblem und auch anderweitige Sorgen hat.

Zählt im Leben, wer man ist – oder doch mehr, wer man sein will? Dieser zentrale Zweifel treibt Roberto Moreiras Episodenfilm voran. São Paulo scheint die Antwort tausendfach herauszuschreien. „Ich lebe auf der Avenida Paulista“, sagt Marina glücklich. Und die Bilder (Kamera: Mercelo Trotta), leuchtende Szenerien, künden von Aufbruch und Energie. Lebe deinen Traum! Fantastisch-entrückt erklingt dazu der Sound von Radiohead. Bis die Stimmung kippt und sich – angesichts der Gesetze der Großstadt von Fluktuation und Ersetzbarkeit – alle auf einmal zu verlieren drohen. Die Biografie ist der Ballast, dessen man sich nicht entledigen kann. Demaskierungen und Demütigungen lassen bald alle Figuren desillusioniert zurück.

Den stärksten Eindruck in diesem Low-Budget-Metropolenreigen macht die Schauspielerin Maria Clara Spinelli, die für ihre Rolle bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. „Paulista“ überzeugt als ebenso berührende wie verstörende Studie über das Gefangensein zwischen Wunsch und Wirklichkeit, über sexuelle Identität und moderne Beziehungen. Am Ende lässt sich die Wirklichkeit nur so lange weglachen, wie sie nicht mit den Wünschen der anderen kollidiert. Zum Beispiel Gil: Er kann sich nicht einlassen auf das, was Suzana sein will. Nur weil ihre Vergangenheit sich nicht vereinbaren lässt mit dem, was er sein will: einfach ein Mann, der mit einer Frau zusammen ist. Maris Hubschmid

Brotfabrik, Eiszeit, Xenon (alle OmU)

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