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50 Jahre Kursbuch: Runter vom Kommandohügel

Das 1965 von Hans Magnus Enzensberger gegründete "Kursbuch" feiert 50. Geburtstag und stellt sich zum Jubiläum die Frage aller Fragen: "Wozu?" Ein Blick in Ausgabe Nummer 182.

Von Gregor Dotzauer

Kapitalismuskritik war schon immer die schönste Kritik. Sie hat oftmals einen guten Grund, manchmal ein klares Ziel – und leider nur so gut wie nie einen identifizierbaren Adressaten. „In dem Maße, wie das Kapital sämtliche Fasern der Gesellschaft nach seinen Bedürfnissen durchformuliert“, schrieb etwa Peter Schneider 1969 im „Kursbuch 16“ unter dem Leitthema „Kulturrevolution“, „verliert die Phantasie in der Wirklichkeit ihren Existenzboden.“ 50 Jahre nach Hans Magnus Enzensbergers Gründung der Zeitschrift betreibt Schneider im „Kursbuch 182“ (Murmann Publishers, 220 Seiten, 19 €), nun Selbstkritik. Es gebe, gesteht er, keinen anderen Text von ihm, „der sich durch ein solches Nebeneinander von Hellsichtigkeit und haarsträubendem Unsinn, von Erkenntnis und Verstiegenheit auszeichnet.“

Die Jubiläumsausgabe, die im Anhang die Cover aller je erschienenen „Kursbücher“ abbildet, fragt aber nicht nur in mehreren Beiträgen: Wozu Kritik? Sie macht es sich gleich noch schwerer. „Das Kursbuch. Wozu?“, prangt auf dem Umschlag. Darüber kann man sich tatsächlich den Kopf zerbrechen. Denn als der Münchner Soziologe Armin Nassehi und der Publizist Peter Felixberger im Februar 2012 nach dreieinhalbjährigem Exitus das „Kursbuch“ wieder belebten, hatte es seinen Ruf als intellektuelle Institution verspielt. Auch die Frankfurter Publizistin Cora Stephan, getreue Mitarbeiterin aus den Zeiten von Karl Markus Michel, war, wie sie nun im einzigen nostalgisch gestimmten Stück des Hefts preisgibt, für ein Ende in Würde. Das Wozu des Titels ist bei näherem Hinsehen aber nur die intelligentere, zukunftsträchtigere Version des früheren Wogegen.

Wenn Armin Nassehi in seinem anregenden Essay „Mehr Kritik, bitte!“ das Grundproblem vieler Formen von Kapitalismuskritik darin sieht, dass sie den Grundkonflikt ihres Gegenstands übergeht, „einerseits mit den Gleichheitsversprechen der politischen Aufklärung umzugehen und andererseits mit den Ungleichheitseffekten des Ökonomischen“, erklärt er auch einleuchtend, warum das antikapitalistische Weltrettungspathos von Naomi Klein Unsinn ist.

Die Wahl, die sie in ihrem jüngsten Buch „Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima“ zu treffen fordert, beruht zwar auf Spannungen, die sich zwischen privatwirtschaftlichen (und massiven volkswirtschaftlichen) Interessen und Umweltfolgen sehr wohl ergeben können. Deren Interdependenz, die auch sie anerkennt, lässt sich aber nicht dadurch auflösen, dass eine „zivilgesellschaftliche Massenbewegung die Dynamik der Gesellschaft“ aufhält, wie Nassehi moniert. Gegen die Komplexität politisch kaum noch steuerbarer Prozesse richtet auch die multiplizierte Moral des Einzelnen auf vielen Gebieten wenig aus. Sie schafft höchstens eine zweifelhafte Selbstberuhigung.

Am Beispiel von Naomi Klein lässt sich nachvollziehen, warum die Kritik vom „Kommandohügel“, der das „Kursbuch“ im Editorial so vehement misstraut, keineswegs erledigt ist. Nur: Auch die bescheidenste Kritik der jeweils neuesten Unübersichtlichkeit beansprucht ein gewisses Maß an Durch- und Überblick. Aus dieser Position lassen sich gewiss keine einfachen Rezepte entwickeln, aber sie muss jedesmal von Neuem herausfinden, wo Kritik einen konkreten Adressaten in einer konkreten Situation hat und zu sinnvollem Handeln führt.

Nassehi zeigt, wie die Arena-Moderne „die Zahl der legitimen Sprecher“ und deren Perspektiven und Interessen laufend erhöht hat, vom bürgerlichen über das proletarische bis zum queeren Publikum: „Emanzipation wird dann stets an so etwas wie eine Vergemeinschaftung der Unterschiedlichen gebunden.“

Offenbar macht sie inzwischen nicht einmal vor Sprechern halt, die sich gar nicht zur Sache äußern. Wen die Metapher vom Kommandohügel allzu antiquiert anmutet, der sollte daran denken, dass die kriegerischen Aspekte öffentlicher Debatten auch im Zeitalter von Kampfdrohnen unübersehbar sind. Gibt es nicht eine Parallele zwischen Militärs, die am Bildschirm den Flug ihrer Raketen verfolgen und den blind mit Meinungen um sich ballernden sozialen Netzwerkern, die sehnsüchtig darauf warten, dass irgendwann eine so richtig einschlägt?

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