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Ein Toningenieur, ein Detektiv (Amir Jadidi, l.) und ein Geologe recherchieren in einem mysteriösen (Selbst-)Mordfall.

© Abbas Kosan

"A Dragon Arrives!" bei der Berlinale: Das Wüstenschiff

Finale im Berlinale Wettbewerb: „A Dragon Arrives!“ ist eine fantastisch-surreale Parabel auf den Iran von Regisseur Mani Haghighi.

Zum Schluss kommen die Geister. Vielleicht fühlen sie sich ja provoziert von unserer lärmenden Gegenwart, rufen: Vergesst uns nicht, wir sind auch noch da. Im chinesischen Wettbewerbsfilm „Crosscurrent“ spuken die Wassergeister des Jangtse als Wiedergänger des alten China. Im Acht-Stunden-Epos „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“ irren mythische Heroen durch den Urwald, tapfere Zeitgenossen auf der Suche nach verschollenen Rebellen. Und im letzten Wettbewerbsbeitrag der 66. Berlinale, „A Dragon Arrives!“ aus Iran, steckt der Spuk schon im Titel. Wobei kein Drache auftaucht, sondern die Geheimpolizei.

Ein Geisterfriedhof in der Wüste. Bizarre Felsformationen, die tollste Landschaftskulisse des Festivals, davor ein gestrandetes Schiff. Detektiv Babak (Amir Jadidi als Cary-Grant-Verschnitt) fährt im orangen Chevrolet vor, um den Fall eines verbannten politischen Gefangenen aufzuklären, dessen Leiche im Schiff baumelt. Kein Selbstmord – aber wer sind die Täter? Und wieso beschränkt sich das Erdbeben in der Nacht auf den Friedhof, ein geologisches Unding? Warum reißt der Höllenschlund auf? Was steckt hinter den mysteriösen Geräuschen? Was bedeuten die Schriftzeichen an den Wänden der Arche? Babak heuert einen verrückten Geologen und einen noch verrückteren Toningenieur an – es folgt die Wüstenversion von „Drei Männer und ein Baby“, denn ein Baby finden sie auch noch.

Wir schreiben die sechziger Jahre, es ist die Zeit des Savak. Der berüchtigte Geheimdienst des Schahs ließ Leute verschwinden, überwachte, folterte, mordete, zensierte. Sogar Shakespeare-Theaterstücke wurden verboten, alle, in denen ein König ermordet wird (also fast alle). Regisseur Mani Haghighi hat aus dieser finsteren Epoche der Paranoia kein Politdrama destilliert, sondern eine herrlich unreine Mischung aus Scheherazade, Western, Roadmovie, Krimi, Farce, Schauermärchen und Doku. Tausendundeine Geschichten, wie Matrjoschka-Puppen ineinander verschachtelt.

Haghighi verwirbelt den Zeitfluss und verwirrt die Erzählstränge

In der äußersten Rahmenhandlung tritt der Regisseur selbst auf. Er ist an alte Tonbänder und Materialien geraten, aber die Aufzeichnungen der Geheimdienstverhöre mit Babak sind unvollständig – also forscht Haghighi nach. Die Totenruhe stören, die Geschichte entziffern, die Gegenwart seismografisch vermessen: Erneut veranstaltet Haghighi ein virtuoses Vexierspiel mit Realität und Fiktion. „Basierend auf einer wahren Geschichte“, heißt es im Vorspann – wer’s glaubt.

Haghighi, Jahrgang 1969, studierte in Kanada, kehrte nach 17 Jahren in seine Heimat zurück, schrieb Drehbücher für den Oscar-prämierten Asghar Farhadi und dreht eigene, surreal-sarkastische Filme über sein Land. Zweimal war er auf der Berlinale im Forum zu Gast, mit „Men At Work“ (2006) und „Modest Reception“ (2012), surrealen Parabeln auf die Bigotterie der iranischen Gesellschaft zwischen Diktatur und Kapitalismus.

Es sind gewitzte, wütende Filme. Diesmal geht Haghighi noch fantastischer zu Werke, verwirbelt den Zeitfluss, verwirrt die Erzählstränge. Auch wenn man vor lauter Raffinesse manchmal kaum folgen kann – dass zum Wettbewerbs-Finale wieder von der verschwiegenen, aber machtvollen Vergangenheit die Rede ist, passt gut zu einem Jahrgang, bei dem die Frage von Herkunft und Identität mit besonderer Dringlichkeit kursiert. Außerdem möchte man auf der Stelle in diese atemberaubende Felswüste reisen, bei Qeshm am Persischen Golf.

20.2., 15 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 21 Uhr (HdBF), 22.30 Uhr (International); 21.2. 14 Uhr (Cinemaxx 7)

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