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Guido Eckert

© Nathalie Bothur

Absturz eines Topjournalisten: Kündigung ist Kopfschuss

Als Magazinschreiber und Talkshowredakteur verdiente er 10000 Euro im Monat - dann stürzte er ab. Über seine Erfahrungen als Verkäufer schrieb Guido Eckert unter Pseudonym das Buch "Möbelhaus". Nun hat er sich geoutet – und schreibt weiter.

Literatur, die sich mit der Alltagswirklichkeit in Fabriken und Bergwerken, Büros und Kaufhäusern beschäftigte, war lange Zeit vor allem eins: gut gemeint. Die Autoren des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt folgten in den siebziger Jahren den Maximen des sozialistischen Realismus, gingen in Betriebe und kehrten mit anklägerischen Texten zurück. Günter Wallraff brachte seine Reportagen „aus der unterschlagenen Wirklichkeit“ bis in die Bestsellerlisten, allerdings wurde das Genre später vom Satiriker Wiglaf Droste mit dem Zweizeiler „Ich stand / Am Band“ verspottet. Es galt bereits als scheintot, bis es, passend zur neuen ökonomischen Polarisierung, mit Büchern wie dem Suhrkamp-Sammelband „Schicht!“ wiederbelebt wurde, in dem Autoren wie Bernd Cailloux, Dietmar Dath und Kathrin Röggla „Arbeitsreportagen für die Endzeit“ versammelten.

Niemals sitzen, immer lächeln

„Niemals setzen, niemals gähnen, immer ansprechbar sein: Wir stehen unter permanenter Beobachtung der Geschäftsleitung“, schreibt Robert Kisch in „Möbelhaus“, einem „Tatsachenroman“ über seine Arbeit als Möbelverkäufer. „In meinem vorigen Leben war Freiheit mein kostbarstes Gut. Heute: laufe ich.“ Gute Verkäufer sind am Tag bis zu zehn Kilometer unterwegs. Im Möbelhaus, sagt ein Kollege dem Berufseinsteiger, herrsche Krieg, „und es fließt Blut“. Der Druck ist groß, denn die Mitarbeiter bekommen kein Gehalt, nur Provisionen. In seinem vorigen Leben war der Ich-Erzähler, Ende vierzig, ein preisgekrönter Journalist, eine sogenannte Edelfeder, die es zu Kleinfamilie und Eigentumswohnung gebracht hatte. Nun, nach dem Sturz in die Arbeitslosigkeit, lernt er die weniger ausgepolsterten Seiten des Kapitalismus kennen und muss sich die Parole des Abteilungsleiters anhören: „Mehr Umsatz machen.“

„Möbelhaus“ war ein Überraschungserfolg auf dem Buchmarkt, verkaufte sich 15 000 Mal und wurde von Kritikern für seine „Emphase“ (FAZ) gelobt sowie dafür, dass es unerschrocken die „Brutalität von Dienstleistung auf Provisionsbasis und ihre Folgen für den Einzelnen und die Gemeinschaft“ (taz) zeige. Doch die Preisfrage lautete: Wer steckt hinter dem großspurigen Pseudonym Robert Kisch, das auf den legendären Reporter Egon Erwin Kisch verweist?

Hartz IV ist die Peitsche

Sie ist beantwortet, der Kölner Journalist Guido Eckert, für seine eigenwilligen Seite-Drei-Geschichten in der „Süddeutschen Zeitung“ mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet, hat sich als Autor geoutet. Früher verdiente er als Talkshowredakteur und Magazinschreiber 10 000 Euro im Monat, heute müsse er sich immer wieder sagen: „Auch wenn du kein Geld hast, bist du wertvoll“, gesteht Eckert im „Stern“. Denn seinen Job im Möbelhaus verlor er, als der Chef von dem Buch erfuhr, nun lebt er vom Arbeitslosengeld. Er fürchtet, in den Hartz-IV-Status abzurutschen, denn „Hartz IV ist eine Peitsche. Hartz IV ist Hoffnungslosigkeit“.

„Möbelhaus“ führt in ein Milieu, das Soziologen als „neues Dienstleistungsprekariat“ bezeichnen. Die meisten seiner Kollegen, schreibt Kisch/Eckert, waren so wie er abgestürzt aus ihrer früheren Biografie, der Laden fungierte als „Auffangbecken deutscher Mittelschichtsbiographien, gekündigter und nicht mehr vermittelbarer Randexistenzen“. Angst treibt die Verkäufer an, Angst der nächsten Kündigungswelle, denn Entlassung wäre ein „Kopfschuss“. Deshalb lügen sie den Kunden das Blaue vom Himmel herunter, um sie zur Unterschrift unter einen Kaufvertrag zu bewegen. Deshalb lächeln sie, wie angeordnet, den ganzen Tag. Deshalb machen sie Überstunden, unbezahlt und selbstverständlich „freiwillig“.

Auf der Suche nach dem Glück

Und nun? Das neue Buch von Kisch/Eckert heißt ausgerechnet „Glück“ (Droemer, München 2016, 316 S., 14,99 €). Dabei beginnt es mit dem Kündigungsgespräch und ist durchzogen von der Furcht vor „den großen Buchstaben in meinem Hirn mit dem H am Anfang“ (Hartz IV). Irgendwann aber kommt dem Aussortierten die Erkenntnis: „Dann kannst du doch auch endlich leben!“ Er möchte eine Pilgerreise beginnen und unternimmt stattdessen Tagesreisen zu Menschen, die ihm erklären sollen, was das ist, Glück. Von einem Hirnforscher erfährt er, dass der menschliche Geist unerreicht ist, denn „ein Computer kann keine Schlüsse ziehen“. Ein Unternehmensberater sagt ihm, dass man Angst begrenzen kann, wenn man sich auf den Atem konzentriert.

Der Erzähler beginnt eine halbherzige Liebesaffäre, notiert Skurrilitäten aus dem Leben auf dem Lande, verliert sich im Esoterischen. Aber die Angst schwindet im Laufe des Buches, auch deshalb, weil der Held viel zu Fuß unterwegs ist. „Gehen blockiert das Grübeln“. Man muss sich Guido Eckert als glücklichen Menschen vorstellen. Christian Schröder

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