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Kultur: Aischylos in Arkansas

FORUM „Shotgun Stories“ von Jeff Nichols zeigt den Fluch der Provinz

Sie heißen Son, Boy und Kid. Merkwürdige Namen, lieblos ausgewählt. Als hätten die Eltern ihren Kindern keine Persönlichkeit zugestehen wollen, als wären sie nur ein zufälliges Abfallprodukt, das halt anfällt, wenn Mann und Frau zusammenkommen. Schon das sollte aufhorchen lassen. Und bald wird sich herausstellen: In der Familie Hayes ist tatsächlich einiges verkehrt gelaufen.

Der Vater, ein brutaler Alkoholiker, hat die Jungs früh wegen einer anderen Frau und jüngeren Halbbrüdern verlassen. Die verbitterte Mutter hat sie im Hass gegen den Vater erzogen. Dort, wo die drei herkommen, ist das kein gutes Omen für einen Start in ein erfolgreiches oder auch nur genügsames Leben: Hinterland von Arkansas, tiefster Süden, Redneck-Country, dort, wo die Baumwollfelder weit und die geistigen Horizonte eng sind. Zwei Jungs arbeiten in einer Fischfarm, der dritte verplempert die Zeit in seinem Wagen oder auf dem Basketballplatz. Ansonsten hängen sie auf der Veranda herum und schlürfen Dosenbier. Son verprasst sein Geld im Casino. Amerikanische Unterschicht, nur einen winzigen Schritt vom White Trash entfernt. „Wie ein Rudel Hunde“, sagen die Leute über die drei, hinter ihren Rücken.

Bedächtig wie ein großer Mühlstein kommt der Film in Fahrt. Aber man spürt von Anfang an ein wühlendes Unbehagen, das sich zusehends steigert, je weiter die Handlung voranschreitet. Schon der Titel „Shotgun Stories“ verheißt nichts Gutes, die erste Einstellung enthüllt sogleich einen Rücken voller Narben: Schrotflintenwunden, die widerlichen Pusteln ähneln. Auch das eine Warnung: Das alles kann nicht gutgehen.

Als der verlorene Vater eines Tages stirbt, kreuzen Son, Boy und Kid bei der Beerdigung auf. Doch der Auftritt hat nichts mit Trauer zu tun. Ihre vier Halbbrüder, geliebt vom Vater und mit echten Namen versehen, sitzen in stiller Andacht vor dem Sarg. Dann ergreift Son, von Michael Shannon in manischer Christopher-Walken-Manier und mit ähnlich durchdringenden Augen gespielt, das Wort. Er schmäht den Vater und spukt auf den Sarg. Der Fehdehandschuh ist hingeworfen. Zum Rachedrama im griechischen Stil ist es von da an nicht mehr weit: Aischylos in Arkansas, amerikanische Atriden, gefilmt in Cinemascope. Sogar einen einäugigen Seher gibt es hier, der fatale Gerüchte streut und immer da ist, wenn etwas danebengeht.

Unaufhaltsam wie ein Zahnrad im großen Motor der Zeitläufte werden die Figuren vorangetrieben. Auf Gewalt folgt Gegengewalt. Durch die Bande des Blutes werden die drei Jungen immer enger zusammengezurrt, genauso wie das Quartett der Halbbrüder auf der Gegenseite. Bis in alle Ewigkeit könnte das so gehen, weitergereicht an die nächste Generation von Söhnen, die schon jetzt unter der Gewalt der Väter leiden. Der Hass ist der Fluch des Hauses Hayes.

Tatsächlich? Es könnte sein, dass der 28-jährige Regisseur Jeff Nichols da anderer Meinung ist. In seinem vielversprechenden, angesichts des Themas erstaunlich ruhigen Regiedebüt ist er nicht an Action oder Gewalt interessiert, die er fast immer ins Off verbannt. Auch die aggressiven Rituale machistischer Männlichkeit stehen nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Vielmehr wirft Nichols die zwingende Frage auf: Sind wir determiniert durch das Schicksal, die Geschichte, die Natur – oder wie immer man diese metaphysischen Konstrukte auch nennen mag? Oder gibt es einen freien Willen, der sich dem Sturm der Gewalt wie ein Wellenbrecher entgegenstellt?

Nichols baut seinen Film so auf, als gäbe es kein Entrinnen – weder für die Protagonisten, noch für den in ihren Sog geratenen Zuschauer. Doch dann lässt er plötzlich eine Macht walten, die größer, schöner, besser ist als jeder Hass: die Vernunft. Damit weist Nichols’ Antwort weit über das Hinterland von Arkansas hinaus – tief hinein in alle Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt.

Heute 12.30 Uhr (Cinestar 8), 16. 2., 22.15 Uhr (Cubix 9), 17. 2., 17.30 Uhr (Arsenal)

Julian Hanich

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