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Gewimmel. Die Bildhauerin Alexandra Ranner, im Kolbe-Museum fotografiert vor ihrer Filmprojektion „Flur“ von 2016.

© Thilo Rückeis

Alexandra Ranner im Porträt: Du schöne Traurigkeit

Die Künstlerin Alexandra Ranner baut Räume für Sinnsucher. Jetzt ehrt das Kolbe-Museum sie mit einer Werkschau. Eine Begegnung mit ihr in Berlin

Sechzehn Jahre ist es her, da kam Harald Szeemann, der große Schweizer Kurator und Documenta-Macher, auf der „Art Basel“ an Alexandra Ranners Förderkoje vorbei – wie immer auf der Suche nach Talenten für seine nächste Biennale-Ausstellung im Arsenale in Venedig im Sommer darauf. Die Installation der Münchner Bildhauerin packte ihn sogleich. Zu sehen war ein stilisierter Innenraum, aufgebaut in einen begehbaren Kasten.

Der Messebesucher konnte durch eine Plexiglasschreibe blicken, um mit einer fiktiven Realität konfrontiert zu sein: Bett, Spiegel, Schrank, Waschbecken, nicht einfach reingestellt, sondern als Skulptur geschaffen. Der Betrachter hielt das Interieur zunächst für real und merkte doch irgendwann, dass etwas nicht stimmt. „So überhöht, ja überspitzt kann die Wirklichkeit gar nicht sein“, beschreibt die Bildhauerin den Moment der Erkenntnis. Dahinter steckt mehr als nur ein Spiel mit Mimikry oder Fake, der Übertritt in eine andere Welt vollzieht sich. Ranner eröffnet weniger einen konkreten als einen psychischen Raum. Die Grenzen zwischen Außen und Innen lösen sich auf.

Szeemann, dieser Seelensucher in der Kunst, war sogleich fasziniert und lud Alexandra Ranner nach Venedig ein. Es sollte der Startschuss für ihre Karriere sein, die damals für das Arsenale entwickelte Installation „Aprèslude“ befindet sich heute im Münchner Lenbachhaus. Über den Umweg Venedig hatte man dort bemerkt, was für eine Begabung in der eigenen Stadt lebte. In München hatte die Niederbayerin zunächst ein Figurentheater betrieben, später Kunst studiert.

Im Kunstmuseum in Wolfsburg konnte man Ranners "Schlafzimmer" sehen

Und doch zog es Alexandra Ranner wenige Jahre später mit ihrem Lebensgefährten, dem Maler Sid Gastl, nach Berlin. Die beiden folgten dem Tross so vieler Künstler, ob aus dem Rheinland, dem Süden oder Norden der Republik. Das eigene Atelier hatte sie schon gekündigt, die Münchner Zelte waren so gut wie abgebrochen, da erreichte sie der Ruf an die Berliner Universität der Künste – welch glückliche Fügung. Seit 2007 unterrichtet sie dort am Institut für Architektur und Städtebau Plastische und Räumliche Darstellung.

Das passt, denn die Künstlerin baut schließlich selber Einrichtungen, Räume, ja ganze Häuser, wenn auch nur en miniature. Und doch fühlt sich Alexandra Ranner immer noch nicht ganz angekommen. Wie in München fehlte in Berlin bislang die künstlerische Anerkennung, eine Galerie am Ort, eine große Ausstellung. Das dürfte sich mit ihrer Werkschau „Karmakollaps“ im Kolbe-Museum jetzt ändern. Wie einst bei Szeemann kam sie auf Umwegen zustande.

Diesmal brauchte es die Ausstellung „Interieur/Exterieur – Wohnen in der Kunst“ im Kunstmuseum Wolfsburg, wo Ranners „Schlafzimmer“ zu sehen war – ein Doppelraum, den nur scheinbar eine Spiegelscheibe trennt. Irgendwann merkt der Besucher, dass er hinübergehen kann. Ein anschwellendes Geräusch, das er mit seinem Eintreten ins eigentliche Schlafzimmer auslöst, hält ihn davon jedoch sofort wieder ab. Eine schizophrene Situation: Die gestörte Intimität setzt sich zur Wehr durch ein öffentlichkeitswirksames Alarmsignal.

Ranners „Schlafzimmer“ fand damals ebenfalls einen besonderen Fan, die Kuratorin des Kunstmuseums, Julia Wallner. Als die Kunsthistorikerin die Leitung des Berliner Kolbe-Museums übernahm, erreichte Alexandra Ranner wenig später eine Mail. Es sei langsam Zeit für eine erste Einzelausstellung, stand darin. Das liegt zwei Jahre zurück. „Selten habe ich mich so über eine Nachricht gefreut,“ erinnert sich die Bildhauerin im Café K, das zum Kolbe-Museum gehört. Sie steckt an diesem Tag mitten im Aufbau ihrer Schau, die sowohl das historische Atelier Georg Kolbes als auch den modernen Anbau einnimmt.

Prominentestes Stück: das „Schlafzimmer“. Der Besucher stößt als Erstes auf die von außen mit Schraubzwingen zusammengehaltene Kiste, die innen ein Psychodrama birgt. Vier Tage lang malte Sid Gastl die Wände an, immer feiner in diversen grünlichen Abstufungen, um den perfekten Raumeindruck, gedimmtes Licht zu suggerieren. Der Teppich befindet sich gerade in der Reinigung, er wurde bei der letzten Präsentation der Installation in der Hamburger Kunsthalle zu stark strapaziert.

Ranner schätzt die Mischung aus Traurigkeit und Schönheit

Noch sieht es nicht danach aus, dass einmal alles fertig sein könnte. Das Häuschen mit der Filminstallation „Ich habe genug“ im Museumsgarten aber steht. Es stammt aus der Sammlung Wemhöhner und wurde in Herford ab- und in Berlin wieder aufgebaut. Der Besucher erhascht durch schmale Fensterschlitze den Blick auf einen im Fluss treibenden Männerkopf, der Johann Sebastian Bachs gleichnamige Arie singt, seiner Vorfreude auf das ewige Leben damit Ausdruck verleiht. Orpheus, der unverdrossene Sänger der griechischen Unterwelt, inspirierte Alexandra Ranner zu diesem widersprüchlichen Bild. Schließlich lasse der sich ebenfalls nicht unterkriegen, erklärt sie. Wie sie das lachend, mit zurückgeworfenem Kopf sagt, steckt darin der ganze Kampfesgeist einer Künstlerin, die sich auch ihrer eigenen Nachtseiten erwehrt – mit den Mitteln der Poesie und des Humors.

Mit dem Werk sind Figuren in ihr Schaffen wieder zurückgekehrt. Die neuesten Arbeiten sind komplexe filmische Inszenierungen, an denen sich viele beteiligt haben: „Teamarbeit“, wird die Künstlerin nicht müde zu betonen. Und: „Nennen Sie Markus Bühler, der Kamera, Postproduktion, Filmtechnik gemacht hat. Unbedingt!“ Für Ranner gehören die Helfer zum kreativen Prozesses, nächtelang wird gemeinsam an Details getüftelt. Wer ihr jüngstes Werk betrachtet, schlicht „Flur“ betitelt, glaubt das sofort. 25 traurige Gestalten bewegen sich in diesem imaginären Flur, der sich in einer Klinik, einem Arbeitsamt oder einem Hotel befinden könnte und doch vollkommen absurd erscheint. Die Darsteller sitzen, hocken, liegen in diesem Schlauch, springen plötzlich auf, kreuzen tänzerisch den Gang, als versuchten sie innere Befindlichkeiten auszudrücken.

Das surreale Treiben besitzt einerseits Komik, andererseits eine tragische Seite. Genau diese Ambivalenz sucht die Künstlerin in ihren Werken: „Traurigkeit und Schönheit ergeben eine Spannung“, sagt sie. Dass ihre jüngsten Häusermodelle aus Gips, Plexiglas und Holz aktuell an die Ruinen von Aleppo erinnern, ist weniger in ihrem Sinne. So konkret sollte die Bezugnahme zu realen Gegebenheiten gar nicht sein. „Die Kunst hat mit der Welt zu tun“, versucht die Bildhauerin eine weitere Erklärung für das nur schwer Erklärbare. Lachen und Weinen liegen da häufig nah beieinander.

Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, bis 8. Januar, tägl. 10–18 Uhr.

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